Eleven

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Meine Synapsen feuern wie verrückt, ein wahres Feuerwerk der Emotionen. Mein Körper ist wie auf Autopilot, während mein Herz in tausende Stücke zerbrochen ist. Ich sehe die Scherben, winzig kleine Teile, die niemals wieder zusammengerückt werden können.

Mein Herz wird also nie wieder so sein wie es vor ein paar Minuten noch war, bevor es von Dean auf brutale Art und Weise zerstört wurde. Es ist fast so, als hätte er es mir herausgerissen während des noch schlug. Er hielt es in seinen Händen, ein pulsierender Muskel der so lebensnotwendig wie die Luft zum Atmen ist. 

Und genau dieses Organ hat er zerstört und hat mich somit getötet. Doch ich stehe noch da. Atme noch. Aber emotional bin ich bereits irgendwo zwischen Himmel und Erde. Eine Parallelwelt in der all die zerstörten Mädchenherzen herumwandeln, in der Hoffnung auf ein Happy End. Doch das gibt es nicht. 

Diese Hoffnung hat er mir genommen, genau wie so vieles andere auch. Meine Würde zum Beispiel. 

Wie soll ich ihm jemals wieder unter die Augen treten und wieso mache ich mir überhaupt Gedanken darüber

Er sollte mir nicht mehr unter die Augen treten. Genau so! 

Wenigstens hat er meinen Stolz dagelassen, oder er war nie weg, ich weiss es nicht. Irgendwann kriecht mir die Kälte in die Knochen und ich beginne wie Espenlaub zu zittern. 

Ich muss dringend ins Warme, also gehe ich zu den Umkleiden und ziehe mich um. Um die verpasste Sportstunde mache ich mir keine Gedanken, entweder sage ich es meinen Eltern, oder ich fälsche ihre Unterschrift auf der Entschuldigung. Seit wann mache ich mir solche Überlegungen? Ich weiss es nicht. Erschrocken über meine Gedankengänge schüttle ich den Kopf, um sie ein für alle Mal los zu werden. 

Und das am besten so schnell wie möglich. Fertig angezogen mache ich mich auf den Weg ins Schulgebäude und warte darauf, dass die nächste Stunde beginnt. Die Zeit vergeht so schleichend, als wäre sie zäh wie Kaugummi. Endlich erklingt die Schulklingel und ich schliesse mich dem Strom der anderen Schüler an. Geschichte. Ein Fach das mir mehr als alles andere liegt. Doch auch wenn ich die Erste im Klassenzimmer bin, so fühle ich mich deplatziert. 

Als gehöre ich nicht hierher, weder in diese Schule, noch in diese Stadt, noch in dieses Leben. Was sich noch verstärkt, als die anderen aus meiner Klasse, angeführt von Dean, den Raum betreten. Sofort erklingt Gelächter und das Getuschel geht wieder los. Ich starre in mein Buch, Gott sei Dank verdecken meine langen Haare das Gesicht. 

So sehen sie nicht, wie nahe ich davor bin wieder zu weinen. Wenigstens ziehen sie nicht weiter über mich her, was auch unsere Geschichtslehrerin unterbricht. Mrs Margot ist eine gute Seele und die einzige, die mich versteht. Das habe ich wenigstens das Gefühl und das gibt mir ein klein wenig Sicherheit zurück.

„Wir beschäftigen uns den Rest des Semesters mit dem Thema Industrialisierung. Kann mir jemand sagen, wann diese Zeitepoche anfing und endete?", erklingt ihre Stimme. Mrs Margot stammt eigentlich aus Deutschland und das merkt man ihrem starken Akzent auch an. 

Aber ihre braunen Augen strahlen eine solche Wärme aus, dass man das gar nicht mehr achtet. Keiner meldet sich, das war ja klar. Also strecke ich meine Hand nach oben und höre wieder wie einige hinter mir zu tuscheln beginnen. Doch das ist mir egal, denn hier bin ich die Beste und keiner hier kann mir etwas anhaben.

„Ja, Emily?", sagt sie und sieht mich auffordernd an. Ich nehme meine Hand nach unten und streiche mir die Haare aus dem Gesicht. Die Tränen sind verschwunden und ich kann wieder richtig durchatmen. Wenigstens für eine Stunde lang.

„Sie begann im späten achtzehnten Jahrhundert und endete neunzehnhundertvierzehn mit dem ersten Weltkrieg", sage ich und höre wieder wie einige sich etwas zuflüstern. Dieses Mal riskiere ich einen scheuen Blick nach hinten und begegne Deans Blick. In dem ich nicht viel erkennen kann, ausser Bewunderung und Reue. Doch das ändert nichts an der Tatsache, dass er mir das Herz gebrochen hat. Also drehe ich mich wieder nach vorne und ernte von meiner Lehrerin ein wohlwollendes Nicken.

bernsteinfarbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt