DEAN
Jeder Knochen und jeder Muskel in meinem Körper schmerzt, vor allem wenn ich mich bewege. Was ich natürlich muss, auch wenn ich mir nichts mehr wünschen würde, als wenn ich im Bett bleiben könnte.
Doch heute würde mir meine Mutter- wie jeden Morgen- einen Strich durch die Rechnung machen. Denn sie kommt immer um die gleiche Zeit in mein Zimmer, um sicher zu gehen, dass ich- der grösste Faulpelz auf der ganzen beschissenen Welt- es auch pünktlich zur Schule schaffe, damit ich ja nicht so wie mein Versager von Erzeuger werde, an den ich sie ja sowieso tagtäglich erinnere. Es ist einfach nur zum Kotzen.
So schleiche ich mich heute früher aus dem Haus, damit sie die grünen und blauen Flecken- die mein Gesicht und meinen Körper bedecken- nicht sieht. Sie wird mich sowieso nicht vermissen, dazu ist sie viel zu beschäftigt mit arbeiten. Aber diese Leier will ich nicht mehr durchkauen, es ist nicht zu ändern.
Die kalte Morgenluft knallt mir ins Gesicht, als ich vor Sonnenaufgang das Haus verlasse. Trotz meiner stets aufrechterhaltenden Wärme, friere ich heute. Ich puste in meine Hände und hoffe, dass ich mich auf dem Weg zur Schule etwas aufwärme. Heute zieht es mich nicht dorthin, dennoch bewegen sich meine Füsse ganz automatisch in die Richtung, in der die Schule liegt. Ob es damit zusammenhängt, dass meine Gedanken seit gestern Abend nur noch um Emily drehen, oder ob es einen anderen Grund hat, weiss ich nicht.
Aber sicher ist, dass ich mich nur noch mehr in die Scheisse reite, wenn ich in ihrer Nähe bin. Das habe ich gestern eindeutig bewiesen, aber ich würde es jedes Mal wieder tun. Ihre Augen haben gestrahlt, als ich gesagt habe, dass ich immer zu an sie denken muss.
Als hätte sie das überrascht und irrsinnig gefreut. Was mich wiederum gefreut hat. Total bescheuert, ich weiss. Als ich an ihrem Haus vorbeikomme, registriere ich, dass alles dunkel ist. Normalerweise ist sie doch um diese Zeit bereits wach und macht sich für die Schule fertig.
Auch in ihrem Zimmer brennt kein Licht. Ich erinnere mich daran, wie ich sie dort sitzen gesehen habe. Wie nachdenklich sie ausgesehen hat und wie ich sie dann mit meinen Armen aufgefangen habe. Ein Lächeln umspielt meine Lippen, als ich daran denke wie warm ihr Körper war und wie zerbrechlich er gewirkt hat. Wie sie sich an mich gekuschelt und meinem Herzschlag gelauscht hat, als wäre es das Schönste was es auf der ganzen weiten Welt gibt.
Und verdammt, ich erinnere mich sogar noch daran wie süss ihre Haare geduftet haben. Ich schüttle den Kopf um die berauschenden Gedanken an sie zu vertreiben. Ich darf das nicht, nicht mehr und auch nie wieder. Ich presse die Lippen aufeinander, drücke so fest zu, dass es wehtut und es mir erschwert an ihre dunkelbraunen Haare zu denken, die sie als trist bezeichnet. Was nicht der Fall ist, denn es ist dunkel wie die Stellen im Fluss, dort wo die Steine auf den Boden liegen und es schimmert heller, dort wo die Sonne es küsst.
Gott, ich muss aufhören an sie zu denken, sonst wird aus mir noch ein Dichter.
Dieser Gedanke bringt mich dann doch zum Schmunzeln, auch wenn das Gefühl, welches mich auf einmal beschleicht, nicht ganz so lustig ist.
Soll ich bei ihr klingeln?
Nein, das wäre total bescheuert. Dann würden sie oder ihre Eltern denken, dass ich etwas von ihr will. Was ich ja eigentlich auch will, aber eben nicht kann. Herrgott noch mal! Wieso muss das alles so verdammt kompliziert sein? Mit dieser Frage im Hinterkopf setze ich mich wieder in Bewegung. Und bringe den Schulweg nach einer doppelt so langen Strecke- oder kommt es mir nur so vor?- endlich hinter mich.
Ich bin ziemlich früh dran und lungere vor dem Eingang herum, als würde ich auf sie warten. Und als ich mich dabei erwische, dass ich Ausschau nach ihrer zierlichen Gestalt- die mich an eine Elfe erinnert- halte, beschliesse ich, dass ich wirklich dringend etwas Ablenkung brauche. In welcher Form auch immer. Als es klingelt gehe ich endlich rein und spüre, dass dieses seltsame Gefühl- ist es Besorgnis?- zunimmt.
Denn ich kann Emily nirgends entdecken. Wo kann sie nur sein? Sie sollte schon längst an ihrem Spind sein, ihre Schulbücher rausholen und erleichtert- darüber, dass er sauber und nicht voller Müll ist- die Tür schliessen. Scheisse! Was bin ich nur für ein unglaublicher Arsch gewesen? Schuldgefühle keimen in mir auf, auch wenn ich mir immer wieder sage, dass ich das nicht muss, kann ich sie nicht abstellen.
Die erste Stunde am heutigen Tag ist Mathe, ein Fach das ganz okay ist, aber heute kann ich mich überhaupt nicht konzentrieren. Mein Blick ruht immer auf der Tür, als würde sie jeden Moment dort hindurch kommen. Doch das tut sie nicht, auch in der zweiten und dritten Stunde nicht. Als wir endlich eine grössere Pause haben, schaue ich mich genauer um, doch auch auf dem Schulhof kann ich sie nicht sehen.
Was mir wirklich Sorgen macht, denn sie hat in all der Zeit nicht ein einziges Mal gefehlt. Es muss also wirklich etwas passiert sein, deshalb schleiche ich mich auch weg und renne den Weg zu ihrem Haus. Ja ich renne, denn eine leise Stimme sagt mir, dass ich das muss. Mein Herz rast wie verrückt, pocht so heftig gegen meine Brust, dass es verdammt wehtut.
Doch ich beisse die Zähne aufeinander und drossle erst mein Tempo, als ich das Haus fast erreicht habe. An der Tür angekommen klopfe und klingle ich Sturm, doch es passiert nichts. Niemand öffnet mir. Panisch gehe ich zum Wohnzimmerfenster und presse mein Gesicht dagegen. Ich kneife die Augen zusammen, um besser erkennen zu können. Und was ich dort sehe, lässt mir einen eiskalten Schauer über den Rücken rieseln.
„Verdammte Scheisse!", zische ich und versuche mich nicht wie ein kopfloser Idiot zu verhalten. Doch das ganze Chaos im Wohnzimmer- das ganz sicher von einem heftigen Kampf herrührt- versetzt mich in Alarmbereitschaft. Emily muss etwas passiert sein und wenn sie darin liegt, ohne das ihr jemand hilft, dann werde ich meines Lebtags nicht mehr froh. Und als ich mich etwas gegen die Tür werfe, geht sie auf und ich kann rein.
„Emily? Bist du da?", rufe ich und schaue mich hektisch um. Das Wohnzimmer sieht schlimm aus, alles ist kaputt oder liegt auf dem Boden herum. Die Küche ist in Ordnung, aber leer. Also gehe ich nach oben, nein ich renne die Treppe hinauf, nehme immer drei Stufen auf einmal. Ausser Atem komme ich oben an und rufe immer wieder nach ihr. Schaue im Badezimmer und im Büro der Eltern nach, doch auch dort ist sie nicht.
„Emily? Verdammt! Sag doch etwas", das Letzte flüstere ich und bleibe vor der Tür zu ihrem Schlafzimmer stehen. Ich schlucke den Kloss in meiner Kehle runter und stosse die Tür auf, atme erleichtert auf, weil das Zimmer leer ist und sie nicht blutüberströmt auf dem Boden liegt. Den Blick starr an die Decke gerichtet und das ohne einen Herzschlag. Doch Gott sei Dank ist sie das nicht, also lebt sie noch. Hier sieht es ordentlich aus- wie immer- ihr Bett ist gemacht, sie hat also nicht darin geschlafen.
Verdammt! Wieso sind die Eltern von ihr immer weg?
Denn wenn sie hier gewesen wären, hätten sie etwas mitbekommen und hätten gehandelt. Doch so, so hatten die Täter leichtes Spiel. Mein Blick bleibt auf einem Buch hängen, es liegt aufgeschlagen auf dem Boden. Ich hebe es auf und betrachte den roten Buchrücken. Ein Band aus Sagen und Mythen. War ja klar, dass Emily auf so etwas steht. Ich schaue mir die aufgeschlagene Seite an und überfliege die Zeilen- als würden die mir etwas über ihren Verbleib sagen. Es handelt sich um eine Sage, um ein Mädchen das sich in einen Jungen verliebt hat, der sich in einen Wolf verwandelt.
Scheisse! Was soll das? Wieso passt das so verdammt gut auf unsere eigene Geschichte?
In der Geschichte wurde das Mädchen von den anderen Wölfen angegriffen und somit für immer in einen von ihnen verwandelt.
Ich lasse das Buch fallen, als mir eines klar wird. Blake und Shawn würden Emily meinetwegen verletzen und wenn das geschieht, dann ist alles kaputt. Ich kann ihr das also nicht antun, ich muss ihr helfen. Und das werde ich auch, auch wenn es das Letzte ist was ich tun werde.
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Kommt Dean noch rechtzeitig?
Eure Amanda
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bernsteinfarben
FantasyEs war einmal ein Mädchen und ein Wolf! Dichter Nebel umhüllt den dunklen Wald. Weiße Flocken fallen und bedecken den Boden mit einer dünnen Schicht. Schnelle Schritte sind zu hören. Schritte voller Hast. Schritte voller Angst. Äste knacken, Zweige...