Kapitel 3

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 Die Vögel zwitschern laut. Zu laut. Vor meinem Fenster gibt es keine Vögel. Und in meinem Zimmer gibt es kein Gras. Vorsichtig öffne ich die Augen. Ich sehe sehr viel Grün. Ich hebe den Kopf ein Stück und stelle fest, dass ich im Park auf der Wiese liege. Jetzt fällt mir auch wieder ein, wie ich hier hergekommen bin. Ich stehe auf und zupfe mir ein paar Blätter aus den Haaren. Eine Spinne krabbelt über meinen Hoodie und ich erschaudere. Ich würde ihn mir gerne vom Körper reißen, aber das geht leider nicht, weil mir rechtzeitig einfällt, dass ich darunter nur einen Schlafanzug trage. Ich entscheide, nachhause zu gehen, weil es schon dämmert und ich morgen wieder in die Schule muss. Vermutlich habe ich noch eine Menge Hausaufgaben zu tun. Ich muss an meine Mutter denken und verlangsame automatisch meinen Schritt. Ich habe keine Lust auf ein Zusammentreffen mit ihr.

Vor unserem Haus bleibe ich nachdenklich stehen und betrachte es. Es ist ein Zweifamilienhaus, wir bewohnen die rechte Hälfte und Mams Schwester wohnt mit ihrer Familie in der anderen. Sie sehen genau Identisch aus. Es gibt eine gemeinsame Haustür und auf der anderen Seite einen gemeinsamen Garten, den man durch Verandatüren in den Wohnzimmern betreten kann. Die Küche und ein weiteres Zimmer sind auch im Erdgeschoss. Luke hat Glück, er hat dieses Zimmer bekommen und kann jederzeit durchs Fenster im Garten einsteigen. Mein Zimmer ist im Zweiten Stock und das Fenster geht zur Straße, ich könnte also nicht einmal über den Kirschbaum im Garten einsteigen. Dafür ist es aber ein bisschen größer.

Wir teilen uns aber nicht nur die Haustür und den Garten, sondern auch den Dachboden, der auf beiden Seiten durch eine Luke in der Decke zu erreichen ist. Unsere ist direkt neben meinem Zimmer. Ich versuche, zu entscheiden, was schlimmer ist. Mam oder Luke?

Schließlich gehe ich um das Gebäude herum und klopfe an Lukes Fenster. Keine Reaktion. Ich klopfe noch einmal und stelle fest, dass das Fenster geöffnet ist. Luke ist nicht zu sehen.

Hausfriedensbruch!, sagt die verklemmte Stimme in meinem Kopf, die sich Gewissen schimpft.

Garnicht!, erwiedere ich, wir sind doch verwand und außerdem will ich ja nur schnell durchgehen.Und schon bin ich durchs Fenster geschlüpft. Die Unordnung in Lukes Zimmer ist echt katastrophal, und dabei bin ich selbst nicht die ordentlichste. Klamotten liegen kreuz und quer und auf dem Schreibtisch stapeln sich Papier und Geschirr. Auf dem Computerbildschirm ist eine Facebook-Unterhaltung geöffnet. Ich trete ein Stück näher. Natürlich nicht, um die Unterhaltung zu lesen. Eine herumliegende Gitarre hat mir den direkten Weg zur Tür versperrt.

Privatsphäre!, sagt die Stimme.

Verpiss dich, antworte ich.

'Cal Hood', lese ich auf dem Bildschirm. Und den Jungen auf dem Foto daneben kenne ich. Calum, oder auch Breitnase...wobei, bei genauerem Hinsehen ist seine Nase garnicht so breit. Klitschkos ist breiter. Ich möchte gerade anfangen, zu lesen, als die Klospülung über mir geht. Ich sollte dann mal verschwinden, vielleicht vertritt Luke ja die gleiche Meinung wie meine fiese Stimme, was Hausfrieden und Privatfähre angeht. Ich husche aus dem Zimmer, die Treppe hinauf und sprinte am Badezimmer vorbei. Die Klappe quietscht ein bisschen, als ich sie öffne, doch ich hangel mich so schnell wie möglich durch die Öffnung in der Decke und ziehe sie hinter mir zu. Dunkelheit und der vertraute Geruch nach Dachboden umgeben mich. Ich liebe diesen Ort. Früher habe ich hier Stunden verbracht, aber jetzt habe ich dafür keine Zeit mehr. Ich weiß allerdings noch genau, welche Dielen knarzen und komme beinahe geräuschlos bis zu unserem Eingang. Mit dem Ohr an den Boden gepresst versuche ich herauszufinden, ob jemand sich im Flur unter mir befindet. Als ich nichts höre, öffne ich die Falltür und lasse mich, unsanfter als geplant, auf den Boden fallen. Mein Hintern schmerzt ein wenig, aber ich verschwinde trotzdem so schnell wie möglich in meinem Zimmer und schließe mich ein. Meine Eltern haben mir zwar den Schlüssel weggenommen, aber ich hatte mir schon einen Zweitschlüssel anfertigen lassen. Ich bin ja nicht ganz blöde.

Tequila (Calum Hood)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt