Kapitel 2

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 Es bleibt nicht bei dem einen Tequila. Natürlich nicht.
Sobald ich Ida zurück zu ihrer Mutter gebracht habe, steuert Calum erneut die Bar an. Ich bestelle bewusst nur eine Cola (man muss ja nicht gleich notgeil rüberkommen). Wir nehmen uns vor, einen ruhigen Platz zu suchen und sammeln auf dem Weg noch Nina, eine meiner Großcousinen, und einen meiner Cousins (Luke) ein, den Calum irgendwoher kennt. Luke und ich wohnen im selben Haus, unsere Mütter sind Schwestern. Ich kann ihn nicht ausstehen. Die beiden Wichtigtuer müssen sich natürlich erstmal über die unterschiedlichen Preise für Marihuana in London und Manchester unterhalten, wobei sie feststellen, dass wir in London eindeutig im Nachteil sind. Ein Thema, bei dem ich leider überhaupt nicht mitreden kann. Also tue ich so, als wäre ich zu cool für dieses Gespräch und trinke meine Cola. Was dazu führt, dass diese zum Ende des Gespräches leer ist und Calum anbietet, neue Getränke zu holen. Ich zucke mit den Schultern und die beiden Jungen verschwinden Richtung Bar, um einige Minuten später mit fünf Gläsern wieder aufzutauchen.
Ich sehe sie fragend an, als Calum die Getränke vor uns abstellt.
Cola Vodka für dich“, er schiebt mir das Glas zu, „und eine für dich“, das zweite Glas landet vor Nina auf dem Tisch, „einmal Sex On The Beach für Luke und diese beiden für mich.“
Gleich zwei? Ich hebe meine Augenbrauen missbilligend. Auf diese Geste bin ich sehr stolz, aber Calum zuckt nur unschuldig mit den Schultern.
„Wenn's schon mal alles umsonst gibt...“
Irgendwie hat er ja recht. Das ist die einmalige Möglichkeit, mich durch alle Cocktails zu probieren. Dann habe ich wenigstens beim nächsten mal eine ehrliche Antwort parat, wenn jemand mich nach meinem Lieblingsdrink fragt und werde nie wieder so einen Fehler wie den Tequila Sunrise begehen...Außerdem reicht ja ein kleiner Schluck von jedem Drink.
Ich greife mir Lukes Sex On The Beach und nehme einen kleinen Schluck. Bäh, viel zu süß. Luke bedenkt mich mit einem pikierten Blick.
„Das war meiner!“
Mann, wie verklemmt kann man denn sein?
Ich habe mich nie besonders gut mit Luke verstanden. Wahrscheinlich, weil er anderthalb Jahre lang das einzige Kind in der Familie war, bevor ich kam. Oder weil ich besser Fußball spiele und wir grundsätzlich immer aneinander vorbeireden. Aber heute will ich mir nicht die Laune von ihm verderben lassen, ich kann seine Anwesenheit ja einfach ignorieren.
Ich koste von meinem eigenem Getränk. Gar nicht so schlecht, wenn man den bitteren Beigeschmack des Vodkas ignoriert.
Meine rechte Hand wandert in Richtung Calums' Gläser und ich sehe ihn mit großen, bittenden Augen an. Lächelnd schiebt er mir die Gläser zu und ich trinke als erstes von einem sehr bunten Getränk. Ekelhaft. Vorsichtig nehme ich einen kleinen Schluck des zweiten Drinks, es sieht wie Cola aus. Ein süßlich-würziges Aroma füllt meinen Mund. Himmlisch! Gierig trinke ich noch mehr und setze erst ab, als der Sauerstoff langsam knapp wird.
„Was ist das?“
„Cuba Libre“
Calum hat sich sein ekeliges buntes Getränk wieder genommen und ich falle über seinen Cuba Libre her.
Und so kommt es, dass gegen 22 Uhr bei mir alle Alarmglocken schrillen und Kontrollverlust melden. Ich habe sonst nie mehr als ein Glas Sekt zu Silvester getrunken und ich bin schon so etwas wie ein Kontrollfreak. Ich habe keine Ahnung, wie ich auf Alkohol reagiere. Aber ich habe schon genug kotzende, sich peinlich verhaltende Betrunkene erlebt, um jetzt Panik zu schieben.
Ich habe eine Art Tunnelblick und in der Dunkelheit scheinen sich viele Gestalten zu bewegen. Ich versuche, mich zu konzentrieren. Wie es aussieht, habe ich den anderen gerade von Harry erzählt. Vor ein paar Minuten kam mir das wie eine Superidee vor, aber jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. Ich sehe mich um. Die Welt wackelt ein Bisschen. Ich brauche wieder mehr Kontrolle, sofort! Panisch springe ich auf und laufe Richtung Bar. Luke und Calum grölen, aber ich versuche angestrengt, mich auf meine Füße zu konzentrieren. Soweit ich das beurteilen kann laufe ich ziemlich gerade. Aber ich bin im Moment sehr unsicher, was mein Urteilsvermögen angeht...Waren da nicht vorher viel weniger Menschen? Und weniger Tische? Und warum leuchtet alles so?...Argh, ich will nicht zu den Teenagern gehören die sich auf Dorffesten sinnlos besaufen!
Zu meiner Zufriedenheit schaffe ich es, auf dem Weg zur Bar nicht gegen irgendwelche Tische oder Menschen zu stoßen. Und das sogar in Absatzschuhen! Ich bin stolz auf mich, ich scheine Alkohol gut zu vertragen. Schließlich habe ich jetzt schon...vier? Oder sechs? Ähm, auf jeden Fall einige Drinks hinter mir.
An der Bar bestelle ich mir zwei große Wasser. Das eine kippe ich mir auf dem Rückweg über den Kopf, das andere trinke ich in wenigen Zügen leer. Der Effekt ist nicht ganz so groß, wie gehofft, aber es hilft ein Bisschen. Ich kann wieder klarer denken. Als ich wieder zu unserem Tisch komme, sind die anderen verschwunden. Ich verteile unsere zahlreichen Gläser auf die umstehenden Tische, damit sie nicht so auffallen. Plötzlich ertönt ein lautes Lachen vom Dorfteich. Hoffentlich ertränken die anderen sich nicht. Ich mache mich auf den Weg und muss feststellen, dass meine Wahrnehmung immer noch beeinträchtigt ist. Alles klingt dumpf und ich brauche mehrere Anläufe, um ein Loch in der Hecke zu treffen.
Die anderen stehen am Ufer und sind glücklicherweise noch nicht ersoffen. Eigentlich wäre Baden doch jetzt gar keine so schlechte Idee...
Nein!, sagt eine Stimme in meinem Kopf.
Warum nicht?, frage ich.
Mal sehen...Es ist kalt, du trägst Klamotten...
Beleidigt schweige ich. Dann eben nicht!
Ich habe keine Lust, mich zu den anderen zu stellen und laufe stattdessen den alten Holzsteg entlang auf die Mitte des Sees zu. Jemand überholt mich von hinten. Calum.
„Vorsicht, der Steg ist dort zu Ende“, rufe ich sicherheitshalber, weil er ziemlich torkelt. Kurz bevor er ins Wasser fällt, stoppt Calum und breitet lachend seine Arme aus.
„Wie bei Titanic!“
Ich habe diesen Film noch nie zu Ende geschaut, ist meiner Meinung nach nicht besonders gut. Welcher Junge zitiert denn bitte Titanic?
„Da fehlt aber noch was“, stelle ich trocken fest, gespannt auf seine Reaktion wartend. Normalerweise wäre ich nie so unbeklemmt, aber ich muss Calum ja nicht wiedersehen, falls ich mich irgendwie blamiere. Ein bisschen Experimentieren kann außerdem nicht schaden.
Er wirft mir über die Schulter einen Hundeblick zu.
„Stimmt, mir fehlt meine Rose
„Ich meinte eigentlich das Schiff“
Ich versuche unbeeindruckt zu klingen, kann mir aber ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen, als ich mich umdrehe um Luke am Badengehen zu hindern.

 Am nächsten Morgen werde ich um 6:42 von meinem Wecker aus dem Schlaf gerissen. Irgendwie habe ich gestern noch einen ultimativen Plan entwickelt, um Luke so richtig schön auf die Nerven zu gehen. Schlaftrunken schalte ich mein Handy ein und tippe eine SMS an ihn.
                Guten Morgen :)
                Schon wach? Ich suche mein Halstuch, hast du es gestern irgendwo gesehen?
Zufrieden schicke ich die Nachricht ab und nur Sekunden später kommt die Antwort.
                Klaope du srhlamfe, ih wikl pennen
Selbstzufrieden tippe ich meine Antwort.
                Haha, viel Spaß :D Ich gehe jetzt 'ne Runde joggen. Ich weiß aus sicherer Quelle,
                dass eure Aspirin alle sind. Wenn du welche brauchst, komm doch einfach mal vorbei :P
Kaum habe ich den Text abgeschickt, kuschle ich mich wieder in meine Decke und schlafe bis in den Nachmittag durch. Mission Completed!

 Als ich um 14:30 Uhr aufwache, fühle ich mich allerdings nicht mehr so gut. Ich habe leichte Kopfschmerzen und mache selber vorsorglich von unseren Aspirin Gebrauch.
Auch mein Hals ist völlig trocken. Nachdem ich gefühlte hundert Liter Wasser getrunken habe, ohne den gewünschten Effekt zu erzielen, steige ich auf Tee mit Honig um. Leider ebenfalls erfolglos. Komischerweise habe ich auch überhaupt keinen Appetit. Schlecht gelaunt schleppe ich mich zum Zimmer meiner Eltern, um nach meiner Mutter zu sehen. Sie war gestern sogar noch besoffener als ich, sodass sie meinen Zustand gar nicht bemerkt hat. Mein Vater war zwar nüchtern (er musste ja schließlich das Auto fahren), aber so sehr damit beschäftigt meine Mutter von spontanen selbstvernichtenden Aktionen abzuhalten, dass auch er meinem angeheiterten Zustand keine Aufmerksamkeit geschenkt hat. Meine Mutter schläft friedlich in ihrem Bett und mein Vater ist nirgends aufzufinden, sodass ich mich kurzerhand wieder in mein Bett lege, in der Absicht bis zum nächsten Morgen durchzuschlafen. Leider durchkreuzt meine Mutter diese Pläne, indem sie um Punkt 16 Uhr mit ihrem Ernüchterungs-Programm beginnt. Dieses beinhaltet leider unter anderem sehr laute klassische Musik und das Aufräumen der Küche (jetzt fragt mich bitte nicht, warum meine Mutter der Meinung ist, sie würde vom Tellerstapeln nüchtern werden. Ich habe wirklich nicht die leiseste Ahnung). Nachdem ich eine halbe Stunde lang verzweifelt meinen Kopf unter dem Kissen versteckt habe, beschließe ich zu Emely zu gehen. Ich ziehe mir einfach einen großen Hoodie über den Schlafanzug und mache mich auf den Weg, doch der Weg zum Internat ist so weit und das Wetter so schön...dass ich mich schließlich in einem Park direkt in unserer Straße auf die Wiese lege und weiterschlafe.

Tequila (Calum Hood)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt