3. Selbsthass

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SELIM

„Something inside is hurting you — that's why you need cigarettes or whiskey, or music turned so fucking loud you can't think."

„Selim", sprach Gençer mich an, während ich zwischen Azad und Okan hin und her schaute und ihr Gespräch über Augsburg verfolgte. „Ja, Bruder?", ich lächelte ihn an und blickte an ihm vorbei zu Mihriban, die gerade dabei war, den Tisch für das Abendessen zu decken. „Wann erzählst du uns freudig, dass du endlich deine Frau fürs Leben gefunden hast?", mit seiner Frage überforderte mich mein bester Freund, weswegen ich überrascht die Augen aufriss, mich an meiner Spucke verschluckte und anfing wie wild zu husten. Auch Mihriban schien neben der Spur zu sein, denn sie ließ einen Teller von etwa 30 Zentimetern auf den Tisch fallen. „Allahu Alem (Allah weiß es besser)", ich zuckte mit den Achseln, obwohl mir etwas anderes durch den Kopf ging.

Meine Frau fürs Leben ist Mihriban", würde ich gerne sagen und all meine Lasten loswerden. Stattdessen ließ ich meine Augen auf ihr ruhen — ich hatte sie in den letzten drei Jahren so sehr vermisst. Nachdem Mihriban erneut in der Küche verschwand, setzte Gençer erneut zum Sprechen an. „Soll ich Aysema fragen, ob sie Freundinnen hat, die zu dir passen würden?" Allein diese Frage fühlte sich so an, als hätte ich Mihriban betrogen. Mit geschlossenen Augen hoffte ich, dass sie diese Frage nicht mitbekommen hatte — es würde sie zerstören. „Ich weiß, dass du es nur gut meinst", ich lächelte Gençer gezwungen an, „aber das ist nicht nötig. Ich bin mit meinem jetzigen Leben mehr als zufrieden." Leicht lachte er und nickte verstehend. „Alles klar, Bruder."

Erst als Kamil Amca (Onkel) nach Hause kam, betrat Mihriban erneut das Wohnzimmer — somit bestätigte sich meine Angst, dass sie es mitbekommen hatte. Auch nachdem wir angefangen hatten zu essen, blieb sie still und rührte immer wieder in ihrer Suppe, ohne von ihr zu essen. Sie ließ sich immer wieder Gençers Worte durch den Kopf gehen, das wusste ich. Aber vor allem las ich es aus ihren Blicken, die sie mir zuwarf, wenn keiner es bemerkte. Sie flehte mich nahezu an, sie nicht zu verlassen, ihr kein anderes Mädchen vorzuziehen. Ein leichtes Lächeln bildete sich auf meinem Gesicht, als ich ihr versuchte mit einem Kopfschütteln die Sorgen aus dem Kopf zu schlagen. Jedoch verstand ich jeden ihrer Gedanken, jeden ihrer Sorgen, jeden ihrer Ängste — denn im Prinzip ging es mir mit Hajdar nie anders. Ich war immer wieder eifersüchtig auf das Verhältnis der beiden, nicht weil ich ihnen nicht vertraute, sondern weil ich mich zurückhalten musste, während er in nahezu jeder freien Minute bei ihr war. Die Angst zerfraß mich, es bestand schließlich immer die Wahrscheinlichkeit, dass ich sie verlieren könnte, an ihn verlieren könnte. Es war immer wieder ein absurder Gedanke — das wusste ich — aber mein Herz akzeptierte deren Verhältnis einfach nicht.

„Selim mein Sohn, möchtest du Nachschub?", Hülya Teyzes (Tante) Stimme riss mich aus meinen Gedanken und brachte mich unwillkürlich zum Lächeln. „Sehr gerne", ich nickte leicht und sofort erhob sich Mihriban und verschwand mit meinem Teller in der Küche.
Ein leichtes Grinsen schlich sich auf meine Lippen, als ich an unser zweites Aufeinandertreffen dachte, bei dem sie mir versprochen hatte, mir eines Tages etwas zu kochen — und verdammt, ich liebte ihre Kochkünste.

Am späten Abend verabschiedeten wir uns von der Ünal Familie und erschöpft stieg ich in meinen Wagen. Ohne zu zögern wählte ich Mihribans Nummer und hörte von den Lautsprechern ihre zitternde Stimme. „Ich dachte wir wollen uns voneinander fern halten", war das erste, was sie sagte. Unwillkürlich schlossen sich meine Augen schmerzerfüllt — das tat verdammt nochmal weh. „Ich lasse dich nicht bewusst leiden, Mihriban. Vergiss das, was Gençer heute gesagt hat!", seufzte ich laut und lenkte den Wagen durch die Straße. „Ich kann es nicht vergessen, weil die Wahrscheinlichkeit dafür, dass du eine andere heiratest vermutlich höher ist, als dass du mich heiratest." Der Schmerz in ihrer Stimme war kaum zu überhören und sorgte dafür, dass ich das Lenkrad fester umfasste. „Kannst du rauskommen?", fragte ich sie, ohne auf ihre Aussage einzugehen. „Es ist spät geworden, Selim. Gute Nacht", sagte sie und legte auch direkt auf. Ich fuhr den Wagen rechts ran, schloss schmerzvoll die Augen und spürte, wie meine Tränendrüsen ihr Sekret produzierten.

Mein Leben für DeinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt