27. Das Ja-Wort

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SELIM

„You are the love that came without warning;
You had my heart before I could say no."

„Okan?", überrascht blickte ich dem verzweifelten Jungen in die Augen, „was tust du hier um die Uhrzeit? Wo ist Verâ?" Er stand mitten in der Nacht vor meiner Haustür und sah alles andere als froh aus.
„Ich kann mein Versprechen nicht halten, verdammt", seine Kiefer versteifte sich. „Welches Versprechen?", ich spürte, wie sich meine Augenbrauen zusammenzogen und ich kritisch zu meinem besten Freund blickte. „Ich hatte Mihriban und Mislina versprochen mit ihnen nach Priština zu fahren. Vorhin habe ich mit Hajdar telefoniert, um zu fragen, wann es denen denn am besten passt", er atmete tief durch. „Komm erstmal rein", ich zog Okan ins Innere des Hauses, bevor er weitersprechen konnte und lief mit ihm die Treppen zu meinem Zimmer hoch.

„Und jetzt erzähl mir alles in aller Ruhe", bat ich Okan. Seine verzweifelte Haltung war alles andere als gewohnt, weswegen ich den ernst der Lage realisierte. „Mihriban und Mislina vermissen die Bajrami Geschwister, was ja auch völlig verständlich ist", leitete Okan ein. „Ich hatte ihnen versprochen, dass wir die besuchen gehen, einfach um die Sehnsucht zu stillen", er griff aufgebracht nach meinem Kissen und boxte darauf ein. „Hajdar hat Angst, dass er schwach wird, sobald er Mihri sieht. Deswegen möchte er weder, dass wir kommen, noch hat er vor uns in nächster Zeit zu besuchen. Dieser Trottel wird Valdetja und Lirian zu eurem Standesamt rüberschicken, weiß er denn nicht, dass Mihriban ihn braucht und nicht seine Geschwister?", die Lautstärke von Okans Stimme stieg, sodass ich erst überrascht die Augen aufriss, doch als ich realisierte, was er gesagt hatte, spannte sich meine Kiefer unwillkürlich an. „Aber wir müssen ihn auch verstehen", versuchte ich Okan einige Augenblicke später zu besänftigen, „der Verlust seines Vaters ist noch so frisch. Er ist der älteste Sohn der Familie, muss für alle sorgen. Er könnte nicht zurück, wenn er einmal herkommen würde. Egal wie schmerzhaft die ganze Situation für uns ist, der Kampf, den er austrägt ist viel schwerer." Laut aufatmend ließ Okan sich rücklings aufs Bett fallen und richtete seine Blicke an die Decke. „Ich weiß, es ist alles so... verzwickt."

„Sitzt meine Krawatte?", fragte ich meinen Vater — dabei spürte ich deutlich, wie der Adrenalinspiegel in meinem Blut anstieg. „Du siehst gut aus, jetzt los", er schob mich aus der Tür und lachte über mich. „Du brauchst dich jetzt gar nicht über mich lustig machen, Mama hat mir schon öfter erzählt, wie du bei eurem Standesamt drauf warst", ich warf ihm einen bösen Blick zu, den er nur mit einem Lachen quittierte.

„Du bist ab heute mit deiner großen Liebe verheiratet", er grinste breit, als wir in meinem Wagen saßen und in die Richtung des Rathauses fuhren. „Ja", ein breites Lächeln zierte mein Gesicht — kein Wort der Welt würde beschreiben können, wie glücklich mich diese Tatsache machte. „Ich bin so froh, dass sich alles zum Guten gewendet hat", er legte mir eine Hand aufs Oberschenkel und sofort erfüllte mich seine väterliche Liebe. „Danke, Baba. Für alles. Für jeden Kampf, den du wegen mir austragen musstest. Dafür, dass du mich trotz allem so gut erzogen hast. Für jede liebevolle Geste, die alles andere als selbstverständlich ist", ich blickte kurz zu ihm und versuchte so meine Worte zu bekräftigen — seit meinem Gespräch mit Hajdar in Priština konnte ich ihm nicht oft genug für alles danken, denn das Leben war kürzer, als wir dachten. „Ich bin dein Vater — vielleicht nicht biologisch, dafür aber mit dem Herzen. Meine Aufgabe ist es dir beizustehen und dich zu unterstützen. Wieso sollte es mich sonst geben?", er grinste leicht und doch wusste ich, dass auch ihm bewusst war, dass all das gar nicht so selbstverständlich war — schließlich hatten mir selbst meine leiblichen Eltern klargemacht, dass auch sie egoistisch sein konnten. „Du sollst einfach nur wissen, dass ich dir dankbar bin — auch wenn es für dich überflüssig ist, es zu hören", ich zuckte leicht mit den Achseln und blickte ihm tief in die Augen, als wir an einer roten Ampel zum Stehen kamen.

Mein Leben für DeinsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt