Kapitel 7

38 2 0
                                    

Ich erwache, weil mein Arm eingeschlafen ist und unangenehm kribbelt. Eine Weile ist mir nicht klar, was letzte Nacht passiert war, und mein Kopf schmerzt. Die Nachmittagssonne scheint zwischen den hellblauen Vorhängen auf Tejas schlafendes Gesicht und ich lächle. Dann fällt mir siedend heiß ihr verpasster Flug ein und ich küsse sie sanft auf den Mund. Sie öffnet die Augen und schaut mich erst ein wenig verwirrt, dann schüchtern lächelnd an. Als sie die Sonnenstrahlen sieht, durchzuckt auch sie ein Blitz der Erkenntnis. „Mist! Ich habe ernsthaft den Flug verpasst oh nein!", hastig springt sie auf, greift nach ihrer Hose und versucht ihre verwuschelten Haare in eine halbwegs ansehnliche Ordnung zu bringen. „Hey, ganz ruhig, du bekommst den Flug jetzt sowieso nicht mehr!", versuche ich ihren Enthusiasmus ein wenig zu stoppen. Wir hatten eine wunderbare Nacht miteinander verbracht und ich war noch immer ein wenig benommen von den Folgen des ungewohnten Bieres. Da kam der Stress jetzt ziemlich ungelegen. „Ja natürlich nicht, aber meine ganzen Sachen sind noch im Motel und ich sollte heute Morgen auschecken! Ich habe Angst, dass die denken, dass ich verschwunden bin, und meine ganzen Werke entsorgt oder sonst wie verscherbelt haben!", erwidert Teja hektisch und ich kann Panik in ihrem Gesicht aufsteigen sehen. Ich versuche, sie zu beruhigen, doch sie ist schon fast aus der Tür gehastet. Halb angezogen und zerzaust. „Ich komme wieder! Nicht weglaufen!", die Tür schlägt hinter ihr zu.

Ich bin ein wenig überfordert, und jetzt dank dieser Action am Morgen hellwach. Nachdem ich mich angezogen habe, koche ich Kaffee und beschließe auf Teja zu warten. Mit Blick auf die Straße setze ich mich ans Fenster und die Sonne scheint in mein Gesicht. Circa eine Stunde später, ich bin fast schon wieder in meinem gemütlichen, senfgelben Sessel ein wenig weggedöst, klingelt es und ich öffne Teja wieder die Tür. Sie sieht ein wenig verschwitzt aus und ist bepackt mit Tüten, Posterrollen und Koffern. „Hey, kann ich das hier abstellen für heute? Ich mache mich nachher auf die Suche nach einem neuen Motel bis zu meinem nächstmöglichen Flug. Wir können ja erstmal gemütlich was essen und ein bisschen in den Park zusammen gehen, dann packe ich heute Nachmittag wieder meine Sachen, bevor du arbeiten gehst.", ich deute auf eine Nische neben der Tür: „Klar, du kannst dein Sach dort abstellen, dann hol ich schnell mein Geld und wir können los.", Teja küsst mich auf die Wange: „Danke dir, ich bin dir echt was schuldig, lass dein Geld mal daheim.", Sie zieht mich aus der Tür und prompt stehen wir wieder unten auf der Straße und winken einem Taxi. Ein letzter Hauch von Frühling weht mit einem warmen Wind zwischen den Wohnblöcken hindurch und ich schließe für einen Moment die Augen.

In der Stadtmitte angekommen, setzten wir uns in ein kleines, italienisches Restaurant, das sich direkt neben dem amerikanischen Naturkundemuseum befindet, mit Blick auf den Central Park. Der Park ist schnell mein Lieblingsort zum Nachdenken oder Ausspannen in meiner neuen Heimat geworden und ich genieße jede Minute, die ich im sonnigen Grün dort verbringe. Nachdem wir uns gesetzt, und Spaghetti Carbonara mit Salat bestellt hatten, beginnt Teja mir ihre Pläne für die nächsten paar Tage zu berichten.

Sie möchte so schnell wie möglich nach Los Angeles zurückkehren, doch es war ihr nicht möglich, in den nächsten drei Wochen einen bezahlbaren Flug zurück zu finden. Bald ist Thanksgiving und momentan will wohl jeder nach Hause oder weit weg zur Familie fliegen. Doch in zwei Wochen ist eine für sie sehr wichtige Vernissage, die sie in ihrer Karriere um Jahre voranbringen könnte. Das ist natürlich ein Problem und das Geld für weitere Nächte im Hotel geht auch langsam aber sicher zu neige. „Das einzig Gute ist, dass ich so noch länger Zeit mit dir verbringen kann. Vielleicht war das ja eine Fügung des Schicksals!", Teja lacht. Ich schmunzle ebenfalls: „Du bist mir auch ziemlich ans Herz gewachsen, ich will dich ungern gehen lassen!", doch wir beide wissen, dass ich hierbleiben werde und das Teja wieder nach LA zurückgehen wird. Stille breitet sich aus und ich bin froh, dass in diesem Moment der Kellner mit zwei dampfenden, mit Nudeln gefüllten Tellern an unseren Tisch tritt. Wir genießen schweigend das Essen.

Als wir bezahlt haben und wieder auf die Straße treten, sind wir noch immer zu keiner Lösung von Tejas Problem gekommen.

Wir beschließen, einmal quer durch den Central Park zu einer U-Bahn auf der anderen Seite zu laufen und dann wieder nach Bronx zurückzufahren, als mir plötzlich eine Idee kommt. Am Straßenrand gegenüber steht ein asiatisch aussehender Mann mit einem riesigen Rucksack, der ein Pappschild in der Hand hält auf dem in krakeligen Buchstaben „FLORIDA" steht. „Sag mal was hältst du davon, nach Los Angeles zu trampen?", Teja blickt mich stirnrunzelnd an, sie scheint von der waghalsigen Idee nicht sonderlich begeistert zu sein: „Das habe ich noch nie gemacht. Und alleine als Frau in das Auto von Fremden zu steigen, meinst du das ist eine gute Idee?" Ich denke einige Augenblicke nach: „Wenn du willst, kann ich mitkommen, mein Vertrag im Lucies beginnt offiziell erst Anfang nächsten Monat, das heißt ich muss eigentlich erst in zwei Wochen dort Vollzeit arbeiten." Teja ist nun ein wenig mehr angetan von meiner Idee. Als wir den Wohnblock hinauflaufen, kommen wir am 24h-Asialaden vorbei. Kento hat uns durch die Scheibe gesehen und winkt uns einen Moment hinein: „Hey ihr Beiden!", er zwinkert mir zu: „Wie war dein erster Abend im Lucies?". Ich erzähle ihm von gestern und stelle ihm Teja vor. Er wirkt sehr erfreut, dass ich sofort eine nette Person kennengelernt habe (die Romanze habe ich natürlich nicht an die große Glocke gehängt) und schenkt uns einen Tee ein. Es ist mal wieder kein Kunde im Laden und ich frage mich, wie es Kento und sein Vater schaffen nicht Pleite zu gehen ohne Umsatz. Teja erzählt Kento von der missglückten Ausstellung und dem verpassten Flug und ich schließe mit unserem Plan, nach Los Angeles zu trampen. Kento ist jedoch genauso wenig begeistert wie Teja anfangs: „Das ist aber alles ziemlich gefährlich, denkt nur daran, dass es durchaus sein kann, dass ihr einige Tage niemanden zum Mitfahren treffen könntet und dann in der Wüste festsitzt ohne alles." An die andersartige Vegetation als in Deutschland und die Gefahren, die diese mit sich bringt hatte ich nicht gedacht, muss ich jetzt gestehen. Teja schaut auch ein wenig kritisch und ich weiß nicht, wie ich diesen Einwand widerlegen kann. „Wir können uns ja doch mal ein Motel oder so nehmen." Kento weist auf die dünn besiedelte Strecke hin und dass die wenigen Motels auch ihren Preis haben. „Wenn ihr wollt, kann ich euch meinen Wagen leihen, ihr müsst also einzig den Sprit bezahlen", meint er dann nach einigem hin und her. Teja und ich schauen uns überrascht an, dann Kento. Dieser lacht: „Wieso schaut ihr denn so entgeistert? So etwas machen doch Freunde untereinander." Wir sind sprachlos und nehmen das Angebot dankbar an. Da müssen wir uns nachher aber einiges überlegen, wie wir uns revanchieren können. Kento überreicht uns den Schlüssel zu seinem Jeep und nennt uns die Adresse der Garage, die sich einige Blocks weiter befindet. Wir beschließen, morgen früh loszufahren. In diesem Moment hätte es mir schon komisch vorkomme sollen, dass Kento fast fremden Leuten sein Auto überlässt, um an die Westküste Amerikas zu düsen. Aber ich nahm es einfach hin und war freudig überrascht von der zuvorkommenden Art des Vietnamesen.


A Broadway LovestoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt