Kapitel 10

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Den nächsten Tag verbringen wir ganz entspannt mit Nichtstun. Wir sind beide zu müde für die mir versprochene Los Angeles-Sightseeing-Tour. Am Abend steht nämlich Tejas große Vernissage auf dem Programm, zu der ich, als ihre Begleitung, auch eingeladen bin. Gespannt steigen wir vor einem großen, weiß getünchten Gebäude aus dem Taxi. Ich habe mich mächtig in Schale geworfen und ein wunderschönes Satin-Abendkleid aus der Garderobe von Tejas verschollener Mitbewohnerin angezogen. Teja bleibt ihrem Stil treu und bildet so ein ziemliches Kontrastprogramm zu meiner Abendgarderobe. Sie trägt eine zerschlissene schwarze Hose und ein dünnes weißes Hemd darüber. Außerdem den obligatorischen Hut auf dem Kopf. Ihre Haare hat sie zu zwei dicken französischen Zöpfen zusammengeflochten. Ich gehe forsch die Stufen herauf und Teja zieht mich damit auf, dass sie doch eigentlich diejenige von uns beiden sein sollte, die vor Nervosität nicht mehr stillsitzen kann. Am Eingang zeigt Teja ihre Einladung und wir betreten einen Empfangsbereich mit hohen, getäfelten Decken. Überall stehen fein gekleidete Menschen herum und fachsimpeln mit Champagner in der Hand über die neuesten aufstrebenden Sternchen am Fotografenhimmel. Teja nimmt sich seelenruhig zwei Gläser mit der prickelnd goldenen Flüssigkeit vom Tablett eines Obers und ich betrachte die Menschen um uns herum. Ein Mann mit einer dicken Nase redet sehr energisch auf einen anderen, sehr wichtig aussehenden, Mann ein, der alle drei Sekunden nickt. Am anderen Ende des Raumes steht eine Frau, komplett in schwarz gekleidet und spielt mit der unglaublich grünen Federboa herum, die um die Schultern ihrer Mutter oder Freundin daneben drapiert ist. Diese schaut gelangweilt umher. Alle scheinen auf etwas zu warten und ich blicke Teja fragend an. „Die Eröffnungsrede wird dieses Jahr von dem Vorstandsvorsitzenden des Los Angeles Club of Photography gehalten, der seine Hände auch bei der Prämierung der besten Projekte im Spiel hat. Der Club ist dieses Jahr der größte Sponsor und Mr.Jones ist ein ziemlich hohes Tier demzufolge. In 15 Minuten sollte es beginnen.", gibt Teja mir Auskunft. Ich nicke wissend und sehe mich weiter im Raum um. Der Mann mit der dicken Nase hat das kleine Buffet in der Ecke entdeckt und lädt sich einen pinken Cupcake nach dem anderen auf den Teller. Als ich gerade auch in Richtung der Leckereien laufen möchte, räuspert sich eine Person hinter uns und Teja und ich drehen uns herum. Wir stehen einem dünnen Mann gegenüber, der ein kleines Kinnbärtchen trägt und mit seinem hellrosa Sakko ziemlich fehl am Platz wirkt. Er gibt Teja die Hand, die ihn zu kennen scheint, und ich stelle mich ihm vor. Er heißt Stellan und ist ein schwedischer Naturfotograf, einer der Bekanntesten weltweit. Stellan ist schon lange ein Bewunderer von Tejas Werken. „Ich freue mich sehr auf deine neuen Arbeiten. Worum geht es den dieses Mal? Ich nehme an, sie sind wieder in Raum Caesium ausgestellt, oder?", fragt dieser. Alle Räume in diesem Gebäude haben die Namen chemischer Elemente, denn früher war hier die Chemiefakultät einer Universität untergebracht. Teja nickt bedrückt: „Ja leider." Ich schaue sie stirnrunzelnd an: „Ist das denn ein Problem?", frage ich. Teja erklärt mir, dass die besten Arbeiten immer im großen Foyer aufgehängt werden um später eine Prämierung zu erhalten. Das sind meist auch die Einzigen, die Käufer finden. Damit hatte sie bis jetzt leider jedoch noch kein Glück. Stellan lächelt Teja gerade noch vielsagend an: „Man kann nie wissen was der Abend noch so bringt.", dann wird das Licht gedimmt und ein mittelalter Mann in einem stahlgrauen Anzug betritt die kleine Empore, die mir erst jetzt, im Licht des auf ihn gerichteten Spotlights, auffällt. Der Auftritt dieser schlanken Gestalt besitzt eine fast schon mystische Aura und die Menge verstummt augenblicklich. Ein Raunen geht durch die Menge und ich bemerke, dass auch Teja neben mir ein kleines bisschen Aufregung verspürt, selbst wenn sie sich aufführt wie die Ruhe selbst. Als er zu sprechen beginnt, füllt der tiefe Tenor seiner Stimme den kompletten Raum aus, und ich lausche gespannt seinem Vortrag. Er erklärt das Aufstreben des Kunstvereines und das Thema der diesjährigen Ausstellung. Sie heißt „Modelle" und die meisten Fotos zeigen Models. Auf dem Laufsteg, privat, ihre guten und schlechten Seiten, aber auch Gegenstände, vom Designerstück bis hin zur schnöden Kaffeetasse. Sie sind alle in schwarz-weiß fotografiert und aus möglichst interessanten oder ungewöhnlichen Perspektiven. Die besten Fotografien werden mit einem Preisgeld prämiert, das sich gewaschen hat. Verkündet werden die diesjährigen Gewinner am Ende des Abends. Doch vorerst wünscht uns der graue Herr noch eine schöne Vernissage und bittet die Sponsoren, Kunstliebhaber und Agenturen, kleine Klebepunkte an den Wänden der Fotografien zu fixieren, von denen sie später einen Abzug bestellen möchten. Nach einem nicht endend wollenden tosenden Applaus verläuft sich die Masse langsam in Richtung Treppe und auch Teja und ich betreten den ersten Ausstellungsraum. Wir sehen uns wunderbare Fotografien von Männermodels an, die alle einen kleinen Bauch haben, der als einziges im Fokus steht von einem Pariser Fotografen für eine Kampagne gegen Magermodels und staunen im nächsten Raum über die Schönheit der Einfachheit von „Schneewittchensärgen", ein Plattenspieler von Braun aus dem späten 19. Jahrhundert. Viele Räume zeigen Bilder von Models auf dem Laufsteg in Outfits, die selbst in Graustufen noch knallbunt und auffällig wirken. In Tejas Raum angekommen staune ich nicht schlecht. Mir kommt es so vor, als hätte sie jede Model-Berühmtheit, die es im Umkreis von Los Angeles zu finden gibt, abgelichtet, meistens zu Hause, beim Essen oder mit ihren Partnern. Sie unterscheiden sich jedoch kaum von den anderen Künstlern, obwohl sie alle faszinierend sind, und mir wird klar, wieso es für Teja so schwierig ist, herauszustechen. Sie ist eine wundervolle Künstlerin, doch hier spielen alle in der Top-Liga. Teja blickt mich an und ich bemerke, dass sie wenig zufrieden mit ihrer Arbeit ist, jetzt, wo sie die Fotos der anderen Bewerber zum Vergleich hat. Ich versuche sie aufzumuntern und klebe einen blauen Punkt neben ein Portraitfoto einer weinenden Cara Delevigne. Das zaubert ihr ein kleines Lächeln aufs Gesicht, als sie den Punkt schnell wieder von der Betonwand pult: „Ach Honey, das ist goldig, aber das kannst du dir doch gar nicht leisten!" Sie legt den Arm um meine Hüfte, küsst mich auf die Stirn und schiebt mich sanft weiter. Wir treten nach Bildern von Hamburgern und Pizzastücken aus billigen Take-Aways wieder in der Eingangshalle, die jetzt deutlich voller als vorher ist. Ich bin noch immer fasziniert von der unterschiedlichen Interpretation all dieser Künstler des Themas „Modelle" und hoffe, dass Teja wenigstens einige Werke verkaufen kann, da sie sich doch recht nah an die Vorlage des Wettbewerbs gehalten hat. Andere Künstler hingegen haben mit ihren mutigen Reihen den ein oder anderen „Aha-Effekt" ausgelöst und dadurch recht viele Käufer gefunden. Die Prämierung der besten Arbeiten soll in wenigen Minuten stattfinden und wir stellen uns nahe des Ausgangs. Teja meinte, sie würde gerne möglichst schnell verschwinden, wenn die Gewinner ausgerufen wurden, da es sonst zu einem furchtbaren Gedränge am Taxistand käme. Ich höre jedoch den deprimierten Unterton aus ihrer Stimme heraus, da ihre Fotos mit Abstand die mit den wenigsten blauen Punkten waren. Einerseits kann ich das durchaus verstehen, wenn sie nicht mit den Königen des heutigen Abends konfrontiert werden möchte, andererseits könnte sie doch wenigstens versuchen, noch einige Kontakte zu knüpfen und vielleicht ein paar Aufträge zu ergattern. Als ich jedoch Tejas verstimmte Miene sehe, halte ich es für sinnvoller, einfach zu nicken und nichts zu sagen.

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