Kapitel 6

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Als ich den roten Vorhang am Eingang auseinanderziehe, und an dem noch immer reglosen Kenny vorbeilaufe, schlägt mir angenehm kühle Nachtluft entgegen. Doch ich habe keine Zeit, um kurz durchzuatmen, denn ich muss Teja finden. Ich versuche mein Glück noch einmal bei Kenny: „Hey, wir kennen uns ja schon", ich komme mir in diesem Moment gewaltig dumm vor, „Hast du zufälligerweise eine schwarzhaarige große Frau gesehen und weißt, wo sie hingelaufen ist?". Ich habe keine Reaktion von dem grantigen Türsteher erwartet, doch Kenny hebt langsam einen Arm und ich blicke in die Richtung, in die sein Finger zeigt. Er deutet auf ein kleines 24-h-Burgerrestaurant gegenüber, das ähnlich aussieht, wie das mit dem schmalzigen Inhaber, bei dem ich vor einigen Tagen versucht habe, an einen Job zu gelangen. Tejas eindrucksvolle Gestalt ist schon von weitem im Fenster zu erkennen. Sie sitzt, einen Burger in der Hand, an einem Tisch mit Blick aus dem Fenster und scheint die einzige Person zu sein, die sich so spät noch in dem Imbiss befindet.

Flüchtig schaue mich um, laufe über die Straße und öffne die Tür. Prompt schlägt mir der Geruch fettiger Pommes entgegen und leichte Übelkeit steigt auf. Ob das die Nervosität ist, oder der Hunger (Ich hatte seit heute Abend vor meiner anstrengenden Schicht im Juicy Lucie's nichts mehr gegessen), kann ich nicht genau sagen. Der Kellner schaut kurz zu mir hoch, und deutet gelangweilt Kaugummi kauend auf einen freien Tisch in einer dunklen Ecke. Teja hat mich noch nicht entdeckt, sie hat mit Kopfhörern in den Ohren das leise Bimmeln nicht gehört, das einen neuen Kunden ankündigt, der durch die Tür tritt. Ich laufe, den Wink des Kellners ignorierend, in Richtung Fenster und tippe Teja auf die Schulter. Diese wirbelt erschrocken herum und ein Ausdruck des Erstaunens macht sich auf ihrem Gesicht breit und sie zieht mit einer schnellen Bewegung die Stöpsel aus den Ohren. „Hey! Was tust du denn hier? Ich hatte die Hoffnung aufgegeben, dich wiederzusehen, nachdem wir uns gegenseitig abserviert haben...", sie lacht und entblößt zwei strahlend weiße Reihen perfekter Zähne. „Ich habe dir wohl ein wenig zu auffällig hinterhergeschaut, das hat sogar meine Chefin gemerkt, was ein wenig peinlich war. Dann hat sie mir den Rest der Nacht freigegeben, sodass ich dich suchen kann! Vorher war ich einfach extrem im Stress und irgendwie nicht so hundertprozentig bei der Sache.", erwidere ich schnell. Tejas Augen weiten sich und ich lächle. Dann beugt sie sich vor und gibt mir einen schnellen Kuss auf die Wange: „Ich freue mich sehr, dass wir endlich einmal Zeit haben uns zu unterhalten." In diesem Moment steht der Kellner neben unserem Tisch und ich bestelle mir auch einen Hamburger mit Pommes. Dann ziehe ich meine Jacke aus und schiebe mich auf den Hocker neben Teja. Das Herz klopft mir bis zum Hals und der Fleck, wo ihre Lippen meine Backe berührt haben, kribbelt angenehm. Teja blickt mich mit ihren dunklen Augen an: „Wie kommt's denn, dass du in diesem Nachtclub arbeitest? Das ist ja schon ein bisschen zwielichtig dort?", ich erzähle ihr die ganze Story, dass ich angelogen wurde, was meine Künstlerkarriere angeht, dass ich keine Arbeitsgenehmigung habe und natürlich von meiner Begegnung mit Bella und Kento. Sie ist fasziniert. „Wow, da hast du ja eine ziemlich heftige Story hinter dir! Vor allem den Part mit dem Ladendiebstahl finde ich ja ziemlich amüsant.", sie zwinkert mir zu. Mir stößt es sauer auf bei dem Gedanken an diese höllisch gruseligen Minuten voller Adrenalin und Panik, doch ich versuche mir das nicht anmerken zu lassen. Ich möchte die Stimmung nicht senken. Wir verbringen noch eine ziemliche Weile in dem Burger Laden und bestellen uns Bier. Teja erzählt mir von ihrer Kindheit in Hawaii und dass sie nach Los Angeles gezogen ist. Früher bestand ihr Leben hauptsächlich aus surfen und zelten in der freien Natur. Das ist ein ziemlicher Kontrast zu dem hektischen Leben, mit dem sie seit fast 10 Jahren in Los Angeles konfrontiert ist. Teja stammt von einer hawaiianischen Ureinwohnerin und einem amerikanischen Vater ab, ist aber nach ihrem Studium, das sie erfolgreich in Fotografie abgeschlossen hat, in einen kleinen Altbau in Hollywood gezogen, gemeinsam mit ihren Mitbewohnern, die sie nicht ausstehen kann. Aber Los Angeles ist nun mal nicht gerade das billigste Pflaster.

Jetzt verbringt sie den ganzen Tag mit diversen Fotoshootings und zeichnet nebenher. Die Prints lassen sich gut verkaufen und wenn das Geld knapp wird, fotografiert sie auf Hochzeiten und anderen Events. Die eigenartigen Zeichnungen, die ich auch in meinem kurzen Besuch in ihrer Galerie gesehen habe, zeigen Bilder und Eindrücke aus ihren Träumen. Ein richtiger Durchbruch ist ihr allerdings damit auch noch nicht gelungen und sie kriecht, genau wie ich, ein wenig am Rande der Existenz herum. Ich fühle eine Verbundenheit zwischen uns, die mir davor noch nie so aufgefallen ist zu einer Person, die ich erst wenige Stunden kenne. Wir unterhalten uns noch eine Weile, bis Teja erschrocken auf ihre Uhr schaut: „Oh man, ich sollte langsam echt gehen, morgen früh geht der Flug und ich sollte eigentlich schon noch so ein paar Stunden schlafen. Mit dir kann man wirklich die Zeit vergessen!", ich nicke und wir bezahlen jeder unsere Rechnung. Als wir auf die Straße treten, hat das Juicy Lucies schon geschlossen, es ist halb vier morgens. Vom regen Treiben vor ein paar Stunden ist nichts mehr zu sehen, alle sind wohl nach Hause gegangen. Wir machen uns auf den Weg zur nächsten U-Bahn, die Teja zu ihrem Motel bringen soll, als plötzlich einige Gestalten hinter uns im Schatten einer kleinen Gasse auftauchen. In der Gasse stehen durchwühlte Mülltonnen herum, in denen einige Katzen sich laut schreiend um die Überreste aus dem Burger Laden zanken. Mir wird ein wenig mulmig zumute und ich beschleunige meine Schritte. Teja folgt mir eilig. Wie aus Reflex greift sie nach meiner Hand und wir beginnen zu rennen. Die Gruppe folgt uns nahezu geräuschlos und wir hetzen um die nächste Straßenecke. Panik steigt in mir auf und ich spüre plötzlich eine immense Kraft in meinen Beinen hochsteigen. Noch drei Blocks trennen uns von meiner sicheren Wohnung, in deren Richtung Teja ich nun ziehe, beflügelt von dem Adrenalin, das durch meine Venen pulsiert. In einem anderen Kontext hätte ich es bestimmt romantisch gefunden, Hand in Hand durch das nächtliche New York zu laufen, die Sterne über uns und um uns herum die schillernden Lichter, doch in diesem Moment richtet sich mein Tunnelblick nur auf den hässlichen Betonblock mit den sicheren Eisengittern vor

Fenstern und Türen, in denen sich meine Wohnung befindet. „Wohin laufen wir?", ruft Teja keuchend, einen halben Meter hinter mir rennend. Sie sieht nicht aus, als würde sie dieses Tempo noch lange durchhalten „Ich wohne dort vorne, da ist es sicher!" Unsere Verfolger sind uns noch immer dicht auf den Fersen, werden aber gebremst, aus Angst von einem der vorbeifahrenden Taxis erkannt zu werden. Im Nachhinein eigentlich seltsam, keiner der Taxifahrer würde sich selber in Gefahr begeben und seinen sicheren Blechkasten zu verlassen, für eine in diesem Viertel wohl alltägliche Verfolgungsjagt. Endlich ragt das hohe Haus vor uns auf und wir rennen durch die Drehtür, die uns noch vom Foyer trennt. Vor der Eingangspforte bleiben wir stehen, ich zeige meinen Ausweis, der mir fast aus den zitternden, nassgeschwitzten Händen fällt und der müde Portier winkt mich desinteressiert vorbei. Die Gruppe bleibt in einiger Entfernung stehen und traut sich nicht in die Nähe des Uniformierten. Zum Glück. Wir bleiben völlig außer Atem eine Zeit lang in der Halle stehen und ich stütze mich auf meine Oberschenkel, um wieder richtig Luft zu bekommen. Diese Verfolgungsjagt schreit ja förmlich nach einer neuen Wohngegend!

Teja blickt mich von der Seite an. Sie hat sich wieder ein wenig gefangen: „Oh Gott, ich habe den Schreck meines Lebens bekommen, so etwas ist mir davor noch nie passiert!", ich schaue sie mit großen Augen an: „Wem sagst du das!", wir beginnen beide zu lachen und ich nehme wie selbstverständlich ihre Hand. „Lass uns eine Weile nach oben gehen und wieder zu Atem kommen, dann kannst du dir nachher ein Taxi rufen. Ich will nicht, dass du jetzt nochmal hinaus gehst, die Typen geistern bestimmt noch immer hier vor dem Block herum." Teja nickt und wir steigen die vielen Stufen bis zur Wohnung 4b hinauf.

Ich ziehe die Wohnungstür hinter mir zu, da packt mich Teja von hinten an der Hüfte, ich wirble herum. Für einen Augenblick schauen wir uns in die Augen und sie durchdringt mich mit ihren Blicken. Dann, es kommt mir fast wie eine Unendlichkeit vor, berühren sich unsere Lippen. Erst sanft, dann immer forscher. Ihre Hände schieben sich sanft aber bestimmt unter mein Shirt und ich erwidere ihre Küsse immer lustvoller. Das Shirt landet auf dem Boden. Ich ziehe Teja zu meinem Bett herüber und befreie ihren schlanken, muskulösen Körper von den störenden Klamotten. Ihre Küsse bahnen sich meinen Hals hinab zu meinem Bauch bis zur Innenseite meiner Oberschenkel. Ich stöhne leise und vergrabe meine Hände in Tejas Haaren. Sie packt meine Hände über meinem Kopf, sodass es mir unmöglich ist, mich zu rühren. Dann verlieren wir uns völlig ineinander und alles verschwimmt während wir uns lieben bis zum Morgengrauen.


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