Kapitel 14

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Am nächsten Morgen werden wir vom Dröhnen eines laufenden Motors aus dem Schlaf gerissen. Wir sind gestern nach einigen Stunden der Stille und einer hitzigen Diskussion über unsere Perspektivlosigkeit auf den ungemütlichen Sitzgelegenheiten aneinander gelehnt in einen unruhigen Schlaf gefallen. Das ist das letzte, an das ich mich noch erinnern kann. Ich erwarte fast, einem alten Busfahrer in die Augen zu schauen, der uns zurück ins Gefängnis schleifen will, doch als ich meine Augen öffne und sich diese langsam an die unangenehme Helligkeit gewöhnen, erkenne ich im grellen Sonnenlicht einen roten Chevrolet mit einer Blondine am Steuer. Als ich näher hinschaue, kommt sie mir erstaunlich bekannt vor. Ich erkenne Bella, wie sie hinter dem Steuer sitzt und wild in ihr Smartphone hämmert. Ich rüttle an Teas Schulter, die verwirrt aufblickt, und gehe auf den Oldtimer zu. Bella sieht mich entgegenkommen und steigt aus dem Wagen. Dann schließt sie mich in ihre Arme: „Oh mein Gott, es tut mir alles so leid, ich habe gehört was passiert ist! Kento hat mir nie ein Wort erzählt, und als nach ihm gefahndet wurde, wegen des Jeeps, ist er spurlos verschwunden. Ich habe eure Kaution gezahlt um euch hier wieder rauszubekommen, schließlich war ich euch beiden das irgendwie schuldig. Dann bin ich den ganzen Weg nach West Virginia gefahren, um euch bei eurer Entlassung zu holen, doch es ist einfach ein unglaublich weiter Weg, deshalb tauche ich jetzt erst hier auf.", ich bin sprachlos und erwidere ihre Umarmung schlaff. „Du bist ja ganz durchgefroren! Steigt schon ein!", sie schiebt Tea und mich hastig auf ihren Wagen zu. Also hatte nicht einmal die scheinbar wichtigste Person in Kentos Leben eine Ahnung von seinem kriminellen Dasein. „Das kann ja nicht wahr sein! Bella! Mein Beileid, wie kann man sich nur so in einem Menschen täuschen!", meldet sich Tea hinter mir zu Wort. Bella blickt leer zu Boden. Ihre Augen sehen verheult aus und sie trägt kein Make-Up, was für sie wirklich ungewöhnlich ist. Tea nimmt Kentos blasse Ex-Freundin in den Arm und streicht ihr beruhigend über den Rücken, als sie erneut bitterlich zu weinen beginnt. Wir steigen in das Auto ein, die komplett aufgelöste Bella platzieren wir auf dem Beifahrersitz. Tea lässt den Motor an und wir begeben uns, nach einem kurzen Halt an einem Drive-Thru, auf den Rückweg nach New York City. Nachdem wir unsere fettigen Hamburger verputzt und mit einem zuckersüßen Erdbeermilchshake heruntergespült hatten, sagt keiner mehr ein Wort.

Es ist eine lange, unangenehme Reise, die wir auf zwei Etappen aufteilen, doch Tea und ich sind einfach nur froh, dass dieser Gefängnisalptraum nun ein Ende hat. In New York angekommen, setzt uns Bella an meiner Wohnung ab und fährt weiter zu Kentos und ihrem gemeinsamen Apartment. Die Polizei war schon dort und hat alles Verdächtige, was nicht viel war, eingezogen und Bella fühlt sich nun sehr unwohl dort, jeder Winkel erinnert sie an ­Kento und alles ist durchwühlt, ihre komplette Privatsphäre umgestülpt und an die Öffentlichkeit getragen. Ich würde sie gerne einladen, bei uns zu wohnen, doch Bella versteht mein Platzproblem in der Ein-Zimmer-Wohnung und lehnt dankend aber bestimmt ab. Wir verabreden uns für morgen zum gemeinsamen Abendessen und für eine Lagebesprechung und treten in die kleine Wohnung ein. Alles sieht aus, als wären wir niemals von hier fort gewesen, und mir treten Tränen in die Augen beim Anblick dieser angenehmen Normalität, nach der ich mich in den letzten zwei Wochen so sehr gesehnt habe. Ich bin endlich wieder zuhause angekommen und wir legen uns nach einer langen, heißen Dusche schnurstracks ins Bett. Als ich mich an Tea kuschele, fällt endlich alle Anspannung der letzten Zeit von mir ab und ich falle schnell in einen erholsamen, tiefen und vor allem sehr langen Schlaf.

Am nächsten Morgen, oder besser gesagt Mittag, bleiben wir noch lange liegen. Nach einem schnellen Sandwich zum Mittagessen im Imbiss gegenüber gehen wir die Straße hinunter zum Asialaden. Auf dem Weg dorthin entsorgen wir gleich noch die widerlichen Zivilklamotten aus dem Gefängnis in einen stinkigen Altkleidercontainer. Bella erwartet uns schon hinter der Glastüre und wir laufen durch den unbeleuchteten Lagerraum zu einer kleinen Wendeltreppe, die in die Wohnung über dem Laden führt. Wir sind schon einige Male hier gewesen, es ist eine relativ große Wohnung, die fast schon an ein Penthaus grenzt. Sie ist hell und besteht aus drei luftigen Räumen, die alle eine große Fensterfront mit Blick auf einen kleinen Garten bieten. Er ist grün und zugewuchert und man kann mithilfe einer Leiter durch die kleine Glastür im Wohnzimmer herabsteigen. In dieses führt Bella uns nun schnurstracks, um gleich darauf wieder in die Küche zu laufen. „Bella sieht heute schon deutlich besser aus, als damals vor dem Gefängnis.", bemerkt Tea erleichtert mit einem Seitenblick in die Richtung, in die Bella verschwunden ist. Ich nicke und sie trägt eine Kanne mit Tee und drei Gläsern auf einem Tablett hinein. Sie stellt diese auf dem kleinen Couchtisch ab, setzt sich neben mich und verschränkt die Arme. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht ist unergründbar, doch ich meine einen Funken wilder Entschlossenheit darin zu erkennen. Schon auf der Rückfahrt nach Hause haben wir beschlossen, der Sache mit Kento auf den Grund zu gehen. Bella hat uns erklärt, dass mit der Zahlung unserer Kaution der Fall aufgelöst und die Ermittlungen abgeschlossen wurden. Wir sind uns also alle einer Meinung gewesen, die Wahrheit selbst herauszufinden. Es ist unfair gegenüber allen Beteiligten, das Verschwinden von Kento einfach auf sich sitzen zu lassen und wir sind Bella, die dem Entlarven ihres Exfreundes eine wilde Entschlossenheit entgegenbringt, ein wenig Hilfe schuldig. Vor allem nachdem sie die fünfstellige Kaution gezahlt und uns dazu genötigt hat, ihr das Geld nicht mehr zurückzugeben. Wir haben wirklich versucht, es ihr mit allen möglichen Tricks irgendwie unterzujubeln, doch das war unmöglich. Bella ist eine der zähesten Personen, die ich je getroffen habe und es ist nicht einfach ihr zu widersprechen. Doch wie und vor allem wo sollen wir anfangen zu suchen? Kentos Laptop, und auch der Rest seines Besitzes, der irgendwelche Informationen über sein Tun verraten könnte, wurde konfisziert. Wir sitzen also ratlos herum und Bella versucht sich an einige Leute zu erinnern, mit denen Kento viel unternommen hat. Doch sehr zu ihrem Schrecken kamen die einzigen gemeinsamen Freunde des Paares von ihrer Seite der Beziehung. Auf Teas Frage hin, ob ihr das nie seltsam aufgefallen war, schüttet sie verdutzt den Kopf. Das sei ihr so gar nicht bewusst gewesen, meint sie. Tea zieht verständnislos eine Augenbraue hoch und ich stupse sie genervt an, um ihr zu bedeuten, Bella nicht zu verspotten. Zum Glück ist diese gerade mit dem Eingießen einer weiteren Tasse Tee beschäftigt.

Wir kommen auch im Laufe des Tages zu keinemSchluss, nicht einmal zu einem ersten Hinweis, und ich zweifle langsam daran,worauf wir uns hier eingelassen haben. Wir verlassen die Wohnung einige Stundenspäter nach einer großen Portion Nudeln mit Hackfleischbällchen wieder undverabreden uns für übermorgen. Hand in Hand schlendern wir zurück zu derhässlichen Hochhaussiedlung durch die neblige Nacht.

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