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POV Melina
Schweigend schlenderte ich herum. Es wurde langsam aber sicher dunkel, und ich entschied mich aus meiner extremen Müdigkeit und Hilflosigkeit heraus dafür, einfach draußen zu übernachten.
Ich wusste, dass das vermutlich eine der dümmsten Ideen meines Lebens war, aber egal.
Ich lief schüchtern zum Hauptbahnhof, da ich dort schon bei meiner Ankunft war und mir sicher war, noch den Weg zu kennen. Ausserdem hoffte ich, das Gebäude schützt mich vor dem kalten Wind, der trotz der Jahreszeit durch die Nächte in Köln wehte.
Nervös schaute ich mich um.
Hier war alles voll von Menschen, die auf ihren Zug warten oder gerade ausgestiegen sind.
Ich lief orientierungslos herum, ein paar Treppen hoch und wieder runter und die überfüllten Gänge entlang, bis ich schliesslich an einem unterirdischen Schienensystem ankam. Am Ende des Ganges war es fast menschenleer, und als ich dort war, wurde mir auch klar wieso: Ein paar weiß-rot gestreifte Absperrbänder versperrten den Durchgang zum Gleis.
Ein paar Warnschilder wiesen darauf hin, dass das Gleis aufging von Wartungsarbeiten zur Zeit stillgelegt ist und ein dickes "Betreten verboten" Schild hing direkt darunter.
Mit klopfendem Herzen schaute ich herum um sicher zu gehen dass mich niemand beobachtete, bevor ich blitzschnell das unterste Band hochhob und hinunter durchkroch. Schnell lief ich hinter die Wand um aus dem Sichtfeld der anderen Leite zu verschwinden und stellte mit einem Blick um die Ecke erleichtert fest, dass mich niemand bemerkt hat. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, als ich das leere Gleis entlang huschte.  Jeder meiner Schritte hallte. Auf einmal hörte ich ein Geräusch. Es glich einem leisen Flüstern. Mein Herz setzte für einen kurzen Moment aus und ich bleib wie in einer Schockstarre stehen.
Ich hatte zu starke Angst, dass ein Bahnmitarbeiter die Gänge entlang lief und mich entdeckt. Nicht nur dass ich mir riesigen Ärger einhandeln würde, ich müsste garantiert mit meinen Personalien rausrücken und meine Eltern würden informiert werden.
Auch wenn ich mir darüber bewusst war wie dumm und aussichtslos meine ganze Situation war, zuhause konnte ich mich erst recht nicht mehr blicken lassen.
Erneut dieses Flüstern, gefolgt von einem Rascheln. Das Blut gefeierte in meinen Adern und meine Nackenhaare stellten sich auf. Ich schlich ein paar Schritte weiter durch den halbdunklen Gang.
Schliesslich war ich kurz vor dem Ende des Ganges.
Der einzige Weg um weiter zu kommen ging nach links, und da ich immer noch keinen geeigneten Platz zum schlafen gefunden habe weil ich auf eine Art Nische oder Ecke gehofft habe, warf ich einen Blick in den Seitengang.
Ich erschreckte mich schier zu Tode, als ich die Geräuschquelle sah: Ein Mensch, an diesem verzweigten und abgelegenen Ort! Mir entwich ein leiser Schrei. Die Frau funkelte mich mit warnendem Blick an.
Ihre stechend kaltblauen Augen funkeln aus ihrem Gesicht.
Sie hatte strähnige, ungekämmte und wilde Haare, die ihr in dunkeln Locken die schmalen Schultern herunterhingen.
Sie war eingewickelt in staubige Tücher und alte Klamotten.
Allem Anschein nach war sie um die 50 und schon seit längerer Zeit obdachlos. Unschlüssig was ich tun sollte, bleib ich regungslos stehen.
Die Frau schien meine Unsicherheit zu bemerken.
,,Lass mich raten.", fing sie an zu sprechen.
,,Du bist noch sehr jung, wahrscheinlich noch minderjährig, von zuhause weggelaufen und hast jetzt keine Ahnung, wo du schlafen sollst. Du bist zum Bahnhof, in der Hoffnung nichts so sehr zu frieren. Du hast dieses Gleis gefunden und wolltest dir still und heimlich einen Schlafplatz suchen, wo dich niemand bemerkt."
Fassungslos starrte ich die alte Frau an. Woher weiss sie das alles?
,,Weisst du, vor knapp 30 Jahren ging es mir genau so wie dir.
Planlos von zuhause weg, aber nicht alles lief so wie erhofft.
Seitdem sitze ich auf der Strasse. Zum Glück ist seit ein paar Wochen dieses Abteil abgesperrt, wo dich niemand findet und verscheucht.
Schau dich an Kind.
So dünn und hilflos, ich sehe selbst aus drei Metern Entfernung, dass du zitierst.
Keine richtige Jacke...
Setz dich zu mir. Ich habe eine warme Decke für dich und einen besseren Platz findest du sowieso nicht."
Meine Gedanken prasselten auf mich ein und verursachten ein Wirrwarr und eine Unschlüssigkeit.
Mein Verstand sträubte sich gegen das alles, sich neben die ungewaschene und ungepflegte Frau in den Dreck zu setzen und sagte mir, ich solle mein Geld zusammenkratzen und mich in die nächstbeste Bahn Richtung zuhause setzen.
Mein Herz hingegen sagte mir, ich sollte meine Oberflächlichkeit mal abstellen und das Angebot annehmen. Auch Luna, Ardy und der andere Typ von dem ich mir den Namen nicht merken kann waren nett und nahmen mich auf, auch wenn sie so schlimm aussahen. Aber die Frau konnte doch nichts Gutes wollen, so wie sie aussieht...
Schliesslich überwand ich mich, hörte auf mein Herz und lief näher zu der Frau. Ein Lächeln flog über ihre trockenen Lippen,
als ich mich neben sie setzte. Ich legte meinen Rucksack ab und nahm dankend die alte, dicke Decke an, die sie mir gab.
Ich wickelte mich in sie ein und sofort stieg mir ein muffiger Geruch in die Nase. Ich versuchte dies zu ignorieren.
,,Wie heisst du, mein Kind? Und wie alt bist du?", fragte mich die Obdachlose.
,,Melina, ich bin 17." brachte ich mit krächzender Stimme heraus.
,,Noch nicht mal erwachsen, genau wie ich gesagt hab. Ich bin früher im gleichen Alter wie du zuhause weggelaufen, das ist schon so lange her..." Die Frau redete und redete. Ich würde immer müder und irgendwann antworte ich ihr nicht mehr.
Sie erzählte von ihren Eltern, dass sie Sara heisst, von ihrem Hund den sie früher hatte...
Irgendwann musste ich dann wohl eingeschlafen sein.

True Friends [DAT ADAM]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt