11. Schlaflos

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Mit leerem Blick starrte ich in die Tiefen meines Schließfaches. Vor mir befanden sich unzählige, tonnenschwere Bücher. Von Mathe, über Geografie bis hin zu Sozialkunde und Geschichte. Geschichte... Wie soll ich sagen.. Es war noch nie mein Lieblingsfach. Persönlich gesprochen beinhaltete es einfach immer viel zu viele tote Menschen. In dem einen Jahrhundert ging es um irgendwelche verträumten Politiker, anschließend diskutierten wir über die grotesken Denkweisen verwirrter Philosophen und zwischendurch sprangen wir von einem Dreißigjährigen Krieg zum anderen. Es hatte mich noch nie auch nur ansatzweise tangiert zu erfahren, was all die jemals geleistet hatten. Jedoch lag dies wohl eher an der trockenen Unterrichtsweise unserer früheren Lehrerin. Hach ja, Mrs. Brighton.. Nun wie soll ich sagen? Ich fürchte ich habe sie nicht im geringsten vermisst. Versteht mich jetzt bitte nicht falsch, sie war mit Abstand eine der nettesten Lehrerinnen an dieser Schule, aber ihr Unterricht... Nun ja, wie soll ich es formulieren, er war so staubtrocken wie der ausgedürrte Kuchenkrümel, der sich nach jeder Mittagspause an ihrem Mundwinkel befand. Ich wünschte dieser Kuchenkrümel wäre dort wenigstens geblieben. Aber wie jeder normale alternde Lehrer, spuckte auch sie, die gute Mrs. Brighton. Nicht nur einmal kam es vor das meine werten Mitstreiter nach dem Unterricht mehr Sommersprossen hatten, als zuvor...

Doch mit Ms. Morgan änderte sich meine Grundeinstellung gegenüber diesem tristen Fach. Sie machte es lebendig. Ebenso schaffte sie es in mir wieder einen Funken Leben zu erwecken. Ich wusste es war falsch. Gefühle für eine Lehrerin zu hegen war weder erlaubt noch in irgendeiner Art realistisch. Ich meine, in welcher Dimension hatte ich schon eine Frau wie sie verdient. Sie spielte nicht nur in einer anderen Altersklasse, sondern auch in einer ganz anderen Liga. Doch niemand hatte etwas gegen Träumen gesagt. Niemand hatte mir verboten mir die wunderschönsten, absurdesten und einzigartigsten Träume auszumalen. Und in diesen lebte ich. Jede Geschichtsstunde. Jede Deutschstunde. Jede verschissene Minute meines erbärmlichen Lebens.

Aber wieso? Was war mein Problem? Ich hatte alles. einen muskulösen Freund, eine Gang, gute Schulnoten, eine glänzende Zukunft und Eltern die mir wenigstens nie auf den Sack gingen, nun ja... Sie waren ja schließlich auch nie da. Aber hey, ich hatte ein Leben, ein angenehmes wenn ich sogar behaupten darf. Doch es reichte nicht. Wie jeder Mensch träumte auch ich von den Sternen, war dabei jedoch kurz davor in deren Staub zu ersticken. Die Last meines Gewissens schien mich zu erdrücken. Meine Gefühle wurden zu einer Qual. Jede Nacht fiel ich in einen wunderschönen Traum, in dem ich mir eine Welt mit ihr teilte. Und jede einzelne Nacht wachte ich knapp zwei Stunden später auf, da diese Welt an einer unvorstellbaren Katastrophe zerbrach. Ich litt an Schlafmangel. Augenringe verunstalteten mein kleines Gesicht. Trauer füllte meinen Magen und drohte mich von innen zu ertränken. All dieses Dinge machten mir mein Leben mit einem einzigen Wunsch unvorstellbar schwer. Eben diese Dinge waren Gründe dafür, warum ich die stillen Momente stets zu schätzen wusste. Momente, in denen ich Stumm auf die viel zu dicken, eingezäunten Bücher in meinem kalten Schließfach starrte.

Zwei massive Hände schlangen sich um meine Hüfte und rissen mich aus meiner Traumstarre. Doch ich war nicht überrascht. Es war seine typische Art mich zu begrüßen. Ben 'umarmte' mich unsanft von hinten. Wenn man es so nennen konnte. Er konnte genau so wenig gut umarmen, wie romantisch sein und Essen kochen. Aber was soll's? Er liebte mich, nicht wahr?

Langsam drehte ich mich um. Ich starrte Ben direkt in seine grün-braunen Augen. Leere. Sie waren nichts weiter als Grüne Matschklumpen in seinem kantigen Gesicht. Sie erzählten keine Geschichte, verrieten keine Emotion, ließen mich kalt. Er legte seine Hand an meinem Kopfrücken und kam mit seinem Gesicht immer näher. Ich spürte seinen stinkingen Atem auf meiner Haut und kurz darauf seine Lippen auf meinen. Fordernd drückte er mich gegen das Metall der Schließfächer und eines der Zahlenschlosse bohrte sich unerbittlich in meinen Rücken.

But Honey, It's just LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt