3~Kehr zu ihm zurück

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Keine zehn Minuten, nachdem sie gegangen war, tauchte meine Mutter wieder in meinem Zimmer auf und hinderte mich daran, noch tiefer in meine Erinnerungen und meinem einnehmenden Selbstmitleid zu tauchen.
"So, das reicht mir jetzt. Mach dich fertig, wir gehen jetzt raus."
Sie stemmte ihre Hände auf die Hüften und sah mich voller Motivation an. Die Bedrückung hatte sie sich aus dem Gesicht gewaschen und hatte ein sicheres Lächeln aufgesetzt, auch wenn es sie Kraft kostete.
"Raus? Wie, wo raus? Musst du nicht arbeiten?"
"Ja, raus. Wie gehen erstmal schön frühstücken und dann shoppen wir ein bisschen was. Ich habe mir extra für dich frei genommen."

Ich musterte sie einen Moment und hätte am liebsten abgesagt. Mir wurde mulmig bei der Vorstellung, raus zu gehen, unter Menschen zu kommen.
Doch schuldete ich ihr das.

"Ok."
Sie runzelte überrascht die Brauen, weil sie wohl nicht erwartet hatte, dass ich so leicht zustimmte aber gleich darauf freute sie sich und klatschte euphorisch in ihre Hände.

Als ich nur in einem Pulli, einer alten Jeans und unordentlichen Dutt rausgehen wollte, fiel sie fast in Ohnmacht vor Schreck. Ich hatte nicht einmal vorgehabt das wenige aber sichtbare Blut von meinen Händen aus meinen Haaren zu waschen.
"Nein!", schimpfte sie mit strengem Zeigefinger und zwang mich, mich zu duschen, anständige Kleidung anzuziehen und mich zu schminken.
Sie legte immer großen Wert darauf, perfekt und glücklich zu erscheinen. Diese Macke hatte sie erst nach der Scheidung mit meinem Vater, weil sie jedem zeigen wollte, dass sie eine starke Frau war und ihren Mann nicht brauchte.
Ich hatte wohl meinen früheren Charakter von ihr. Immer darauf aus, Stärke zu zeigen und Gefühlen nicht die Oberhand gewinnen zu lassen.
Das hatte auch funktioniert. Bis Brian gekommen war.

Jede Bewegung, jeder Versuch, gut auszusehen, schien mir sinnlos. Als würde nur Brian der Sinn für alles in meinem Leben sein. Als wäre jede Bewegung nur dem Ziel unterlegen, zu ihm zu gelangen und jedes Schmücken meines Äußeren nur für seine Augen bedacht.

Als ich dann zum ersten Mal nach so vielen Tagen aus der Wohnung in die frische Herbstluft und dann in die Bahn voller Menschen trat, wäre ich am liebsten wieder zurück in mein Bett gekrochen.
Die Welt schien jetzt einfach komplett verändert.
Komplett trist und überfordernd. Jede Stimme, jedes Lachen, jedes verdammte Geräusch um mich herum, reizte meine Nerven immens.

"Warum bist du so genervt. Glätte mal die Falten auf deiner Stirn", ermahnte mich meine Mutter, als ich genervt darüber, warum alle Menschen um uns herum im Café so glücklich waren, in meinem Kaffee herumrührte. Ich setzte mir ein Lächeln für sie auf aber sie sah genau den Zwang dahinter, seufzte traurig und strich sich ihre dunklen, braunen Haare hinter die Ohren. Ich schaute wild um uns umher, als ich wie schon den ganzen Morgen über das Gefühl hatte, beobachtet zu werden. Als würden mich fast alle Menschen im Café irgendwie angucken, erkennen und über mich reden.
Doch vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.

Wenn wir mal die Straße überquerten und ich einen Jungen mit braunen Haaren sah, wachte umgehend in mir die Sehnsucht, es sei er und die direkt Sekunde darauf, erkennend dass seine Augen nicht denen unergründlichen braun-grünen, die mir immer das Herz auf eine wunderschöne Art erwärmten, glichen, musste ich schwer schlucken, um die Enge in meiner Kehle nicht die Tränen hochkommen zu lassen.

Ich wollte ihn sehen.
Ich wollte ihn bloß einmal sehen.

Doch immer, wenn ich ein schwarzes Auto, insbesondere einen Van sah, lief es mir kalt über den Rücken und ich erinnerte mich an die ganzen Gründe, warum ich ihn nicht sehen durfte, warum ich nicht in seiner Nähe sein durfte, warum ich ihn nicht lieben durfte.
Und dass es wohl besser so war, wenn ich ihn nicht sah.

More Than Just Love ~Unser VertrauenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt