-Flashback-

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Ich überlege kurz doch nicht mit zum feiern zu kommen. Ich schaue mir die jubelnden Leute an und muss mich wieder an Zuhause erinnern. Was die jetzt wohl alle machen? Ich schreibe bei Facebook immer mit meinen Freunden, aber ich habe das Gefühl, da kommt immer weniger. Ich glaube, dass wir uns immer weiter von einander entfernen. Jeder geht eben seine Wege und ich glaube, dass die Anderen denken, dass ich eh nie wieder nach Deutschland komme. Dabei habe ich auch in letzter Zeit darüber nachgedacht nach meinem Abschluss wieder nach Deutschland zu kommen. Vielleicht will ich studieren oder eine Ausbildung machen. Aber egal, wo ich hingehe, ob ich hier bleibe oder zurück nach Deutschland gehe, ein Teil meiner Familie ist weit weg.

Ich stehe auf dem Eis und schaue wieder den jubelnden Leuten zu. Was mach ich hier eigentlich? Warum bin ich nach Kanda gekommen? Plötzlich ergreift mich die Panik. Was ist, wenn ich die falsche Entscheidung getroffen habe? Ich will einfach schnell hier weg. Aber mit Schuhen auf dem Eis laufen zu wollen ist keine so gute Idee. Besonders nicht, wenn man wie von der Tarantel gestochen losrennt. Mich hätte es fast aufs Maul gelegt, hätte mich nicht Jemand von hinten gegriffen und festgehalten. "Oh, Gott. Alles ok bei dir? Was ist denn los?"

Ich kann gar nichts sagen. Mein ganzer Körper ist starr vor Schreck und meine Gedanken wirbeln immer noch durcheinander. "Maya, was ist los? Du siehst gar nicht gut aus. Hey!"

Vor meinen Augen spielt sich eine grausame Szene ab:

Ich sitze vor dem Fernseher. Schaue irgendeine dumme Sendung. Es klingelt an der Tür. Ich habe erst Angst aufzumachen. Meine Eltern sind auf einem Geburtstag. Es klingelt nochmal. Ich mache auf. Zwei Polizisten sagen mir, dass mein Vater tot ist.

Meine Mutter liegt im Koma. Ich begreife nicht.

Ich halte meiner Ma die Hand. Bin müde. Anna ist auch da. Sie hält die andere Hand. Plötzlich schlägt das EKG aus. Der Ton bleibt stehen. Anna springt auf und schreit. Ich kann mich nicht bewegen. Ärtze stürmen herein.

"Sie ist tot", sagt ein Arzt mit grünen Augen.

"Scheiße Maya, was ist mit dir", schreit mich der Junge an. Ich blinzel und erkenne endlich, dass es Cole ist, der mich im Arm hält. "Mir ist gehts nicht so gut", bringe ich hervor. Meine Stimme ist heiser und mein Mund trocken. "Okay, versuch einfach gerade stehen zu bleiben, ich schieb dich zur Bank. Dann kannst du dich hinsetzen und was trinken." Er schiebt mich vor sich hin. An der Bank drückt er mich runter. Ich kann mich nicht richtig bewegen, alles fühlt sich taub an. Cole setzt sich neben mich und zieht seinen Helm ab. "Sag mal, hast du geweint?"

Ich fasse mir an mein Gesicht. Tatsächlich ist es ganz nass. Ich reibe mir mit dem Ärmel alles nasse weg. "Tut mir leid. Ich hab nur.. Ich wollte nicht", stammel ich. "Ist gut. Trink erstmal was."

Mir ist richtig peinlich, dass ich ausgerechnet vor Cole einen Nervenzusammenbruh hatte. Dankbar nehme ich die Flasche, die er mir entgegenhält und trinke in kleinen Schlücken. Ich will die Flasche gar nicht absetzen, weil ich nicht weiß, was ich Cole sagen soll. "Schon gut, du brauchst nicht so tun, als ob du durstig wärst. Du musst mir nichts erzählen, wenn du nicht willst. Geht mich ja auch nichts an. Das nächste Mal solltest du nur aufpassen, wo du ausrastest", er erhebt sich und setzt mit seinen Schlittschuhen an um wegzufahren. "Cole, warte mal bitte." Ich weiß auch nicht, warum ich das gesagt habe. Cole dreht sich um und setzt sich wieder zu mir auf die Bank. Dann fange ich an zu erzählen.

Ich erzähle Cole einfach alles. Dass meine Eltern einen Autounfall hatten. Dass mein Papa sofort tot war und dass meine  Mama erst zwei Wochen nach dem Unfall im Krankenhaus gestorben ist. Dass ich mit Anna jeden Tag an ihrem Bett saß und gehofft habe, dass alles wieder gut wird. Und dass ich jetzt hier bin, weil Tante Maggi in Deutschland einfach keine Arbeit gefunden hat und sie und Anna meine einzigen verbliebenen Familienmitglieder sind. Cole hört aufmerksam zu. Als ich zuendegeredet habe, bereue ich sofort, mich Cole geöffnet zu haben. Ich wollte alles in Deutschland lassen. Wollte hier ganz neu anfangen. "Ich bin froh, dass du mir alles erzählt hast. Hier weiß keiner davon, oder?" Ich schüttel mit dem Kopf. "Maya, dass kann gefährlich werden. Du darfst dir doch nicht alles reinfressen. Was wäre, wenn du woanders einen Flashback bekommen hättest? Auf der Straße zum Beispiel." Ich hätte nie gedacht, dass Cole sich einmal so Sorgen um mich machen würde. Ich nicke nur stumm. "Das mit deinen Eltern tut mir sehr leid. Du wirkst aber auf mich sehr stark." Eine Zeit lang sagen wir beide nichts. Dann nimmt Cole mich plötzlich in den Arm. "Ich weiß, es scheint alles so aussichtslos und du kommst dir machtlos vor. Aber man lernt damit umzugehen." Cole riecht nach herbem Männerdeo und Schweiß und es fällt mir schwer ihm zu zuhören. Ich bin plötzlich sehr müde und würde am liebsten in seinen Armen einschlafen. Ich muss mich stark davon abhalten, nicht zufrieden zu summen. Irgendwie spiele ich heute komplett verrückt. "Kannst du mich nach Hause fahren, Cole?", frage ich vernebelt. "Klar. Ich zieh mich nur schnell um und sag den anderen Beischeid, mit denen du hier bist." Er springt auf und saust auf seinen Schlittschuhen davon.

Ich fühle mich allein und müde und auch ein kleines bisschen krank.  Ich weiß nicht wie lange ich da auf der Bank sitze und warte, aber irgendwann kommt Cole wieder. "Meinst du, du kannst aufstehen?" "Mhhh", sage ich schläfrig. Er greift mir unter die Arme und hilft mir auf. Langsam schleppe ich mich durch den Wald zu Coles Jeep. "Ach Mist, jetzt verpasst du ja die halbe Aftershow Party", meine ich erschöpft. Er winkt ab und sagt nur:" Party machen ist eh nicht so mein Ding." Auf der gesamten Autofahrt spricht er kein Wort und ich dämmer leicht weg. Dann merke ich, wie Cole anhält und austeigt. Langsam öffne ich meine Augen und sehe, wie er an der Haustür klingelt. Tante Maggi öffnet und schaut ihn erschrocken an. Cole zeigt auf seinen Wagen und bespricht irgendetwas mit ihr. Dann kommen die beiden auf mich zu. "Maya, was machst du denn für Sachen?", fragt Tante Maggi nachdem sie die Autotür aufgemacht hat und mich abgeschnallt hat. "Ich vermisse Mama und Papa, Tante Maggi", rutscht es mir heraus. Ich hatte mir im Flugzeug eigentlich geschworen Tante Maggi nie mit solchen Gedanken zu belästigen. Ich bekomme nur noch mit, wie sie  und Cole mich die Treppe hoch schleppen und Tante Maggi zu Cole sagt: "Danke Cole, das war sehr anständig von dir." Dann penne ich weg. Ich schlafe sehr unruhig und manchmal wache ich auf und schaue durch die Dunkelheit und stelle mir vor, dass meine Mutter neben mir im Bett liegt und den Arm um mich geschlungen hat. Dann realisiere ich, dass ich alleine bin. Nicht mal Anna ist da. Mir rollt eine Träne aus dem Augenwinkel. Ich will, dass alles wieder so ist, wie vor einem halben Jahr.

Jasper's TraumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt