Am nächsten Tag kommt Anna. Tante Maggi und ich holen sie ganz früh vom Flughafen ab. Anna und ich müssen heulen, obwohl wir uns doch erst vor anderthalb Wochen zuletzt gesehen haben. "Ach, Mädels. Ihr macht was mit", meint Tante Maggi und hat auch ein paar Tränchen in den Augen. Sie hatte mich gestern gefragt, ob sie heute lieber zur Arbeit gehen soll, damit Anna und ich alles in Ruhe besprechen können. Aber ich habe gesagt, dass sie es auch angeht, was wir zusammen besprechen.
Wir fahren wieder zurück und Anna und ich halten die gesamte Fahrt über Händchen.
"Ich mach mal Kaffee", sagt Tante Maggi sofort als wir zur Tür hereingekommen sind. Wir streifen uns die dicken Winterklamotten ab und setzen uns in die warme gemütliche Küche.
Anna rückt sofort mit der Sprache heraus als Tante Maggi ihr den Kaffee zuschiebt: "Maya. Was wird denn jetzt? Was hast du vor?"
Ich seufze und trike erst einmal einen großen Schluck Kaffee. "Ich weiß es noch nicht so genau", sage ich dann.
Tante Maggi setzt sich zu uns. Wir alle schauen stumm in unsere Becher. Dann sage ich: "Ich will dich nicht alleine lassen Anna. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich dich einfach in Deutschland zurück gelassen habe." Anna schaut empört hoch. "Du hast mich doch nicht zurückgelassen. Ich habe dich doch mit Mama und Papa damals zurück gelassen. Weil ich mit Tristan nach Berlin gezogen bin."
"Mädels", unterbricht Tante Maggi uns, "Hier trägt niemand die Schuld, weil irgendwer irgendwann irgendwohin gegangen ist. Anna hat ein Leben in Berlin. Jeder zieht mal von Zuhause aus, das gibt dir auf keinen Fall die Schuld am Tod eurer Eltern." Wir beide nicken. "Und jetzt solltest du einfach nur abwägen, was du für dich am besten findest, Maya."
Ich reibe mir mit meiner Hand über die Stirn. "Ich weiß nicht, ob es das Richtige ist, hier zu bleiben, weil ich nicht weiß, was ich nach der Schule machen soll. Ich habe das Gefühl, dass Jasper keine Arbeit für mich hat."
"Aber das ist nun wirklich kein Problem", sagt Anna. "Du wirst doch eh den besseren Abschluss hier machen. Wenn du willst, kannst du dann in Deutschland studieren. Oder du bleibst in Kanada und gehst auf ein College."
Tante Maggi nickt zustimmend. "Okay. Anna, nehms mir nicht böse, aber ich glaube, dass ich jetzt noch nicht bereit dazu bin, nach Deutschland zu kommen. Und ich weiß, dass du glaubst, ich sei dir nicht im Weg. Aber früher oder später bin ich dir und Tristan ein Klotz am Bein. So ist das einfach. Und ich glaube, dass ich einfach anfangen sollte, mir ein neues Leben aufzubauen und die Trauer zu verarbeiten."
Anna und Tante Maggi schauen mich mit großen Augen an. "Das hast du aber schön gesagt, Schätzchen." Ich weiß, dass ich ein kleines bisschen nach Coles Schnauze geredet habe, aber der zugefrorene Wasserfall hat mich von Jasper überzeugt. Ich glaube fest daran, dass ich hier die Antworten auf all meine Fragen finden kann.
"Also willst du wirklich hier bleiben?", fragt Anna. Ich nicke entschlossen "Ja. Ich werde mir hier noch eine Seelsorge suchen. Dann kann ich ein bisschen aufräumen hier drin", ich tippe mir an den Kopf.
"Es ist alles deine Entscheidung und ich bin froh, dass du dich so schnell entscheiden konntest", sagt Tante Maggi. Sie wird wohl auch froh sein, dass ich hier bin. So weit ich weiß hat sie seid etwa zwei Jahren keinen Mann mehr an ihrer Seite gehabt. Ihr letzter Freund hat mit ihr Schluss gemacht, was ich überhaupt nicht veratehen kann. Ich strahle die beiden an. "Und was machen wir jetzt?" Tante Maggi schlägt vor, dass wir zusammen ins Dorf fahren können und dann brunchen gehen können.
"Ich gehe morgen auch wieder zur Schule", verkünde ich als wir uns vom Büfet eines kleinen Cafees genommen haben. "Wann soll ich fliegen?", fragt Anna. "Wann musst du denn spätestens wieder in der Uni sein?", frage ich. "Freitag, weil ich da einen Bericht abgeben muss." Wir machen aus, dass Anna Mittwoch abend fliegt. Also haben wir noch heute und dann noch zwei volle Tage zusammen. "Hier gibt es zwar nicht so viele interessante Dinge, aber ich denke, dass es das Wichtigste ist, dass ihr beide zusammen seid", sagt Tante Maggi mit vollem Mund. Ich beiße Herzhaft in mein Brötchen mit Spiegelei.
Jetzt fühle ich mich befreit und brauche keine Angst mehr zu haben, weil ich weiß, dass Anna und Tante Maggi hinter mir stehen. Genauso, wie ich immer hinter den beiden stehen werde.

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Jasper's Traum
Teen FictionMaya zieht nach einem schlimmen Jahr in Deutschland zu ihrer Tante Maggi nach Kanada. In dem kleinen Dorf "Jasper"hofft sie die Vergangenheit endlich hinter sich lassen zu können und neu anfangen zu können. Doch Maya muss feststellen, dass das Verga...