Jasper's Traum

-Das Eishokeyspiel-

Die Woche vergeht unerwartet schnell. Die anderen sind unheimlich nett zu mir und über den Tag vergesse ich fast schon mein Heimweh nach Deutschland und besonders nach Anna. Doch Abends liege ich lange wach und drücke mein Handy ganz fest an die Brust. Jedes Mal nimmt das Verlagen ein wenig zu, Anna, oder wenigstens ein oder zwei Freundinnen anzurufen. Und dann muss ich weinen, weil ich im Grunde genommen alles immer noch nicht verstanden habe und einfach wieder zurück will. Ich will einfach Mama umarmen und ihr einen Kuss geben und ich will mit Papa lachen und blöde Witze reißen, die manchmal auch zu schmutzig sind. Und dann schlafe ich mit nassen Tränen und schwarzen Bildern ein.

In der Schule läuft es bei mir besser, als am ersten Tag. Langsam verstehe ich auch, was einige Lehrer von mir wollen und ich glaube, dass ich schon um einiges besser englisch sprechen kann- oder vielleicht traue ich mir mehr zu, mein Ruf als stilles Mäuschen habe ich sowie so nie wegen meiner Trottelikeit am ersten Tag bekommen. In der Clique haben sich alle viel Mühe gegeben mich aufzunehmen und mich in der Oberstufe der Jasper High zu integrieren.

Heute ist das große Hockeyspiel- das erste nach den langen Ferien. Alle sind furchtbar aufgeregt, was ich eigentlich gar nicht verstehen kann. In Deutschland wurde nie so ein Wirbel um irgendeinen Sport gemacht. Die Fußball WM hat man geschaut, aber keine Fähnchen und Plakate des Teams in der Schule verteilt. Ich habe das Gefühl, alle rasten aus. Als Ava mich am Morgen abholt, fällt mein Blick sofort auf ihre Fingernägel. "Nicht dein Ernst!", Ava hat sich doch tatsächlich ihre Nägel in den Farben der Mannschaft bemalt. "Oh, doch und du bekommst in der Schule auch noch welche aufgedrückt", sie grinst schelmig. Ich seufze und verdrehe meine Augen. Das einzig gute an diesem Tag ist, dass alle Schüler nur sechs Stunden haben und die meisten Lehrer früher Schluss machen, weil sie sich vor dem Spiel noch umziehen müssen. Ich weiß zwar nicht so genau, was alle damit meinen, aber ich bin glücklich, zumal es keine einzigen Hausaufgaben aufgibt. Am Mittag sitzen wir alle wieder an unserem Stammplatz. Nur die beiden Jungs Brian und Lucas sind nicht da, weil sich die Mannschaft auf den großen Saisonstart vorbereiten muss. Auch Olivia ist nirgends zu entdecken. Aber sie hat sich schon fast die gesamte Woche nicht bei uns blicken lassen und wenn sie einmal da war, war sie so mürrisch, dass wir alle froh sind, wenn sie uns mit ihrer schlechten Laune nicht auf den Geist geht. Ava hält ihr Versprechen und in Null komma nichts sind auch meine Nägel Grün-Gold bepinselt. Stolz betrachtet Ava ihr Werk. "Sieht echt gut aus", bemerkt Zack, der sich wieder sein Essen rein schaufelt als hätte er drei Tage nichts bekommen. Trotzdem ist der Junge dürr wie eine Nudel. "Naja, ich kanns heute Abend ja wieder abmachen."

  "Schäm dich, du Kunstbanause", sagt Ava beleidigt. Alyssa lacht.  Nach dem Mittagessen gehen alle Schüler nach draußen und wandern ein Stück in den Wald hinein. Auf einer Lichtung ist ein kleiner zugefrorener See mit einem abgestecktem Hockeyspielfeld. An beiden Seiten des Sees stehen Klapptribünen. Zack, Ava, Alyssa und ich setzten uns in die erste Reihe. Nach und nach füllen sich auch die anderen Reihen und unser Hockeyteam fährt auf den See um sich warm zu machen. Brian und Lucas kommen auf uns zu. "Bekomm ich noch meinen Glückskuss?", fragt Brian Alyssa. Sie lacht unter ihrer dicken Schicht aus Mütze, Schal und Jacke und gräbt ihr Gesicht hervor, um Brian einen romantischen Kuss zu geben. Ich werde ganz neidisch auf das, was die beiden haben. Lucas muss meinen Blick bemerkt haben, denn er stubst mich an uns sagt dann grinsend: "Na, bekomm ich auch einen Kuss?"

Ich weiß gar nicht, was ich antworten soll. Lucas lacht nur und sagt: "War nur ein Witz, mach dich locker." Dann kommt ein großer Spieler auf uns zu gefahren. Sein Gesicht ist von seinem großen Helm bedeckt. Als er bei uns angelangt ist, zieht er sich den Helm ab. Es ist Cole. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich nicht gewusst, dass Cole auch in der Mannschaft ist. "Captain, es geht gleich los", macht Cole sich bei Brian aufmerksam. Der nickt und streicht Alyssa noch einmal mit seinem Handschuh über die Wange. "Viel Glück", flüstert sie. "Los gehts, first assistent", scheucht Brian Lucas und beide machen sich auf den Weg auf die andere Seite des Spielfeldes. Cole dreht sich nochmal zu uns um und deutet auf meine nackten Hände "Coole Nägel hast du da", dann fährt er Lucas und Brian hinterher.

"Ich schwöre, das war das erste Mal, dass Cole mit mir gesprochen hat, obwohl ich in zwei Fächern direkt neben ihm sitze", sage ich verblüfft. "Na siehst du mal, dass meine Nägel doch zu was nützlich sind", bemerkt Ava. "Nein, Ava eigentlich nicht, weil ich mir jetzt meine Handschuhe anziehe und man die Nägel danach gar nicht mehr sieht. Es ist mal wieder arschkalt hier."

"Der Gedanke zählt", entgegnet Ava wieder beleidigt. "Wisst ihr, wo Olivia ist?", unterbricht Zack unsere kleine Auseinandersetzung. Wir schütteln unsere Köpfe. Dann ertönt eine Fanfahre und der Schiri fährt auf den Platz. "Es geht los", freut sich Ava.

"Ich geh mal Olivia suchen", sagt Zack und verschwindet hinter der Tribüne. Das Spiel nimmt schnell einen rasanten Lauf. Ich habe zwar keine Ahnung, wie Hokey funktioniert, aber es macht trotzdem Spaß die schnell schlitternden Spielern auf dem Eis zu beobachten. Ehrlich gesagt beobachte ich nur Cole. Er steht cool in seinem Tor und seine Schoner unterstreichen sein muskulöses Wesen.  Ach komm, ist doch jetzt nicht dein ernst, ermahne ich mich selbst. Erst eine Woche da und schon den Typen hinterher schauen.

Aber immer wenn Cole einen Puck abwehrt, macht mein Herz einen kleinen Hüpfer. Total bescheuert, aber solange keiner weiß, dass ich Cole attraktiv finde, ist es doch okay ihm hinterher zu schauen. "Alles Okay?", fragt mich Alyssa. "Du denkst so angestrengt nach." Ich fühle mich ertappt und werde unter meinem Berg von warmen Klamotten ein wenig rot. "Ach, ich habe nur grade versucht mich an die Spielregeln von Hokey zu erinnern", lüge ich.  Alyssa fühlt sich als Freundin vom Teamcaptain in ihrem Element und fängt an mir alle möglichen Regeln zu erklären und das Spiel zu kommentieren. Die erste Halbzeit verläuft nicht so gut. Unsere Jungs liegen im Rückstand und sehen in der Pause ein wenig bedröppelt aus. Und erst jetzt fällt Ava auf: "Wo ist Zack eigentlich? Der ist die ganze erste Halbzeit nicht wieder gekommen. Und Olivia hab ich auch nicht mehr gesehen." Wir schauen uns ratlos an. Aber genau in diesem Moment erscheint Zack. "Wo warst du denn?", fragt Alyssa genervt. "Wir hätten dich ruhig als Glücksbringer gebrauchen können."

Zack schaut uns entschuldigend an: "Ich hab mir nur Sorgen gemacht. Würdet ihr doch auch, wenn ihr nicht so mit dem Spiel beschäftigt wärt", sagt er dann wütend. Alyssa und Ava schauen betreten zu Boden. "Weißt du, auch wenn man schon sein ganzes Leben hier wohnt, man muss trotzdem aufpassen. Hier gibts wilde Tiere und der Boden ist ziemlich locker. Letztes Jahr ist der gute alte Jack vom Weg abgekommen und durch einen Erdrutsch ums Leben gekommen", klärt Zack mich auf. "Du hast Recht", gibt Ava zu. "Lass uns einfach jetzt in der Halbzeit alle nach Oliv suchen". Wir stehen auf und suchen alle Tribünen ab. Da entdeckt Alyssa Olivia in einer Tribünenreihe von den Fans der anderen Mannschaft. "Oliv, was machst du denn da? Wir haben dich schon gesucht", ruft sie ihr zu. Olivia kommt strahlend auf uns zu. "Ich hab mir ein paar Nummern von den Jungs aus der anderen Stadt besorgt. Mann, sind die heiß."

Ava schaut sie zornig an: "Wir haben uns echt Sorgen um dich gemacht. Hättest du nicht wenigstens Bescheid geben können, wo du bist?" Olivia schaut Zack seltsam an. Vielleicht sehe nur ich für einen kleinen Augenblick ihren zärtlichen Blick. Aber nach einem Augenschlag ist er verschwunden. Wahrscheinlich war es auch einfach nur die Freude darüber, dass wir uns Sorgen um sie gemacht haben. Wir setzen uns wortlos zurück auf unsere Plätze. Das Spiel geht weiter und die Jungs geben alles. In den letzten Minuten feuern wir tatkräftig an, sogar ich lasse mich mit den Anfeuerrufen der anderen mitreißen. Und springe sogar bei dem letzen Tor auf, das die Jungs knapp vor Ende schießen. Nicht umsonst, wir haben gewonnen. Unsere gesamte Tribüne liegt sich jubelnd in den Armen und auch ich freue mich mit den anderen.

"Kommst du heute Abend noch mit feiern?", schreit mich Zack an. Ich zucke mit den Schultern und nicke. Ava legt den Arm um mich: "Dann hol ich dich wieder ab, ich freu mich." Alyssa ist aufgesprungen und ist mit ihren Schuhen aufs Eis gelaufen. Sie umarmt Brian und reißt ihm danach den Helm ab um ihn zu küssen.

Die ganze Mannschaft jubelt und klopft mit ihren Schlägern aufs Eis.