05.September.1676
Das Zimmer in dem der Junge lag war mit Vorhängen dunkel verhängt worden. Draußen hörte man das platschen des Reges, gefolgt von einem konstanten pfeifen des Windes und zwischen durch immer wieder ein klopfen wenn etwas vom Wind an die Fensterscheibe geweht wurde. Schon seit einer Stunde lauschte der Junge diesem Konzert des Regens und beobachtete die Schatten die sich an der Decke bildeten. Verursacht durch den schmalen Spalt im Vorhang. Es war kein helles Licht was da ins Zimmer herein kam. Doch verglichen mit der Dunkelheit im Zimmer genügte es und Schatten spielen zu lassen.

Die Kälte im Zimmer ließ Iwans Atem sichtbar werden, doch er merkte kaum etwas davon. Durch seinem Körper ging eine pulsierende Wärme. Sein Atem hatte ich wieder beruhigt, doch er konnte sich daran erinnern, dass er kurz nachdem er aufgewacht war noch sehr schnell gegangen war. Als Iwan hatte aufstehen wollen hatten seine Muskeln geschmerzt und nachgegeben.

Nur langsam kehrten die Erinnerungen zurück. Diesmal war es plötzlich und unerwartet gekommen. Wenn er sich erinnerte, hörte er immer noch wie die Dienerin die ihn begleitet hatte plötzlich anfing zu schreien. In solchen Momenten, wenn er verkrampft am Boden lag, hörte er kaum etwas, bis auf das Rauschen seines Blutes. Doch der entsetzte Schrei des Mädchens war bis zu ihm vorgedrungen. Hinterher konnte er sich meist an kaum etwas erinnern. Es war, als hülle sich seine Wahrnehmung in einen dicken Nebelschleier und sein denken setzte aus.

In einem tiefen Seufzer atmete Iwan aus. Es würde immer so bleiben. Es würde sich nie etwas ändern.

Vorsichtig versuchte er sich zu bewegen. Er streckte und dehnte seine Muskeln. Und schließlich schaffte er es sich aus dem Bett zu erheben. Noch wacklig auf den Beinen ging er zum Fenster und zog den Vorhang zurück.

Er war nun schon seit fast einer Woche hier, und der Anblick des Hofes, des golden geschmückten Schlosses kam ihm nun schon fast vertraut vor. Auch hatte er sich an den geregelten Tagesablauf gewöhnt. Um acht stand er auf. Pünktlich um diese Zeit kamen auch die Mädchen die ihm beim ankleiden helfen sollten und darauf achteten, dass er auch wirklich pünktlich aufstand. Gleich darauf holte ihn seine Schwester Sofia, persönlich ab und begleitete ihn zum gemeinsamen Frühstück. Den Vormittag verbrachte er dann mit seinen Schwerstern, meistens mit Sofia. Sie zwang ihn zu Gesprächen, wodurch sie herausbekommen hatte, dass Iwan Grundkenntnisse im Schreiben besaß. Seit dem testete und lehrte sie ihn. Wobei diese Lehrstunden meist nicht gerade angenehm waren. Sofia war sehr grob und besonders wenn sie schlecht gelaunt war, was anscheinend sehr oft vor kam, fand sei bei Iwan immer Fehler. Pünktlich um zwölf gab es Mittag. Anschließend musste er noch bei seinen Schwestern verweilen, dann konnte er allein etwas machen. Entweder in seinem Zimmer, oder im Schloss, wobei er dazu einen Diener mitnehmen musste.

Leise seufzte Iwan. Er verspürte eine eigenartige Sehnsucht nach etwas was er nicht benennen konnte. Er fühlte sich einsam und fühlte das Bedürfnis zu reden. Natürlich musste er bei seiner Schwester ständig reden, was auf die Dauer sehr anstrengend wurde, doch er sehnte sich nach jemanden dem er seine Sorgen, Wünsche und Hoffnungen erzählten konnte. Jemanden dem er vertrauen konnte. Hier gab es niemanden.

Hoffnungsvoll sah der Junge aus dem Fenster. Ob es da draußen jemanden gab der mit ihm spielen würde? Iwan wusste es nicht. Er war noch nie draußen gewesen. Die einzige Vorstellung die er von der Welt außerhalb der Palastmauern hatte stammte aus den Erzählungen der Diener und durch kurze Kontakte mit der Außenwelt.

* * * * * * * * * *

06.September. 1676

Iwan war den ganzen Tag schon unruhig gewesen, doch nun hielt er es kaum noch aus. Nur noch das Mittagessen und dann würde er auf sein Zimmer gehen können. Still beobachtete er seine Schwestern. Marfa, die zweit-älteste hatte ihre langen dunklen Haar zu einem langen Zopf geflochten, der ständig nach vorne viel, so dass er fast auf ihrem Teller landete. Ärgerlich versuchte sie jedes mal ihn hinten zu behalten, was ihr jedoch nicht gelingen wollte. Feodossija amüsierte sich über Marfas störrische Haare, wodurch ihr Marfa wiederum böse Blicke zuwarf. Jewdokija bemerkte als erste, dass mit Iwan etwas nicht stimmte.

"Iwan? Was ist denn mit dir? Warum isst du nichts?" Sie sah ihn besorgt an. Jewdokija mochte Iwan am meisten. Sie war gegenüber ihren Schwestern fast so ruhig wie er selbst und war ihm gegenüber sanft und liebevoll. Nur sahen sie sich fast ausschließlich zum Mittag.

Iwan deutete ein entschuldigendes Lächeln an. "Ich habe gerade keinen Hunger." Die anderen Schwestern wurden auf ihn aufmerksam. "Er sieht blass aus." meinte Marfa. Worauf Iwan leicht den Kopf senkte. Sofia musterte ihn mit ihrem üblichen strengen Blick.

"Geht es dir nicht gut?" Jewdoijka wartete keine Antwort ab. "Vielleicht ist er noch krank, wegen gestern."

Es blieb eine Weile still und Iwan ließ den Kopf gesenkt. Schließlich ergriff Sofia das Wort. "Dann geh auf dein Zimmer, Iwan und leg dich ins Bett." Daraufhin fing sie wieder an zu essen.

Iwan nickte leicht, stand vom Tisch auf und ging. Als er dann draußen im Gang stand atmete er tief ein und aus. Das war ja leichter als gedacht, dachte er lächelnd.

Ein Diener begleitete ihn zu seinem Zimmer. Dort legte er sich wie befohlen ins Bett und wartete bis die Schritte im Gang verhallten. Dann sprang er wieder aus dem Bett und zur Tür hinaus auf den Gang. Schnell rannte er, immer darauf bedacht so wenig Töne wie möglich von sich zu geben und niemanden zu begegnen. Im diesem Schloss war das einfacher hinauszugelangen als im Kreml. Dort gab es die Mauer die ständig und überall bewacht wurde, doch in diesem Schloss konnte man durch den Dienstboteneingang hinaus und dann durch den Garten in die Stadt. Und genau das war der Ort wo Iwan hinwollte.

Die Sonne schien, doch das Gras war vom Regen noch nass und die Erde rutschig. Er passierte mehr Mals, dass Iwan ins schlittern geriet.
Der Atem des Jungen ging schnell und beschwerlich, doch er hörte nicht auf zu rennen. Auf seinen Lippen lag ein glückliches Lächeln. Er hatte sehr lange davon geträumt so weit rennen zu können. Er rannte durch die Straßen Moskaus so dass der Dreck der Straße spritzte und sich Frauen fluchend nach ihm umwanten. Doch er rannte weiter und kam erst zum stehen als es nicht mehr weiter ging.

Die Söhne des Zaren Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt