12/04/18

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Hi Theo.

Das hier wird der allererste Brief an dich.

Auf diese doch recht eigenartige Idee kam ich heute Abend auf dem Nachhauseweg mit Oskar. Ich habe mich spontan dazu entschlossen mit ihm gemeinsam den gesamten Weg von meinen Eltern bis zu mir zu laufen, statt mit der Bahn zu fahren und während ich mit Oskar im Dunklen herumstreunerte, habe ich an so viele Dinge gedacht, die ich dir erzählen möchte, aber da du mir selten schreibst und ich das (um ganz ehrlich zu sein) nur schwer aushalte, dachte ich, es wäre vielleicht irgendwie eine gute Alternative.

Der Plan ist es, dir all das zu erzählen, was ich dir unbedingt (aus welchen seltsamen Gründen auch immer) erzählen möchte und wer weiß, vielleicht überlasse ich dir diese Ansammlung an schriftlichen Erzählungen, kitschige Briefe, irgendwann.

Wenn du das alles hier gerade liest, dann ist dieser Fall wohl eingetreten und ich frage mich, aus welchem Grund das wohl geschehen ist. Habe ich entschieden, dass es inzwischen genug Briefe sind und möchte nun, dass meine schiefen Zeilen geschrieben mit der Tinte meines Kugelschreibers lebendig werden, indem du sie liest?

Vielleicht bin ich der Briefe aber gar nicht überdrüssig geworden, womöglich habe ich ja auch einfach nur die Geduld verloren (das passiert mir leider öfter, denn wie du inzwischen vielleicht weißt, mag ich es überhaupt nicht, zu warten) und möchte einfach nur, dass du all diese verstreuten Briefe endlich liest?

Oder vielleicht haben wir längst nichts mehr miteinander zu tun, vielleicht bin ich ja längst schon in deine Vergessenheit geraten und möchte nach all dieser stillen Zeit noch einmal melancholisch in deinem Leben nachhallen. Wobei ich mir nicht ganz sicher bin, ob ich überhaupt wüsste wie dich diese Briefe nach solch einer Vergessenheit erreichen sollten. Aber es bleibt dennoch eine Option.

Mir fallen außerdem zwei weitere Möglichkeiten ein, weshalb du diese Blätter jetzt in deinen Händen hältst.

Entweder weil es vorbei ist oder weil es beginnt.

Es kann gut sein, dass ich dir diese Briefe nun überlasse, weil es eine Art Abschied ist. Ein Abschluss mit allem, was wir einst gewesen sind. Ein Abschluss mit allem, was wir noch hätten werden können. Im Moment kann ich es dir nicht sagen, aber du wirst es wissen, Theo.

Es könnte auch sein, dass du diese Briefe hier aus dem schönsten Grund bekommen hast. Nämlich der, dass ich mich bedingungslos und wahrhaftig in dich verliebt habe und dir hiermit ganz genau zeigen kann wie und wann. Und wer weiß, vielleicht ist das hier ja gar keine Tragödie sondern ein Glücksfall, weil du genauso fühlst wie ich. Aber das kann ich nicht beurteilen. Vielleicht nicht einmal jetzt wo du diese Briefe lesen kannst. Und vielleicht wird das auch immer ein Rätsel für dich und mich bleiben.

Es könnte auch sein, dass du diese Briefe hier liest, weil ich jetzt tot bin und man sie irgendwo in meiner Unordnung zwischen Krimskrams und Erinnerungen gefunden und nun dir übergeben hat. Aber das wäre zu dramatisch. (Trotzdem eine Option.)

Wie auch immer. Irgendeinen Grund wird es haben, dass du nun Besitzer dieser Zettel bist.

Sich zu fragen warum, jetzt wo wir uns noch kaum kennen und vielleicht nie etwas größeres werden, ist enorm interessant. Das gibt der ganzen Sache einen gewissen groben Grad der Spannung. Was es umso reizvoller macht, dir diese Briefe überhaupt zu schreiben.

Ich würde es gern wissen. Den Grund. Wie es ausgeht. Und eines Tages werde ich es wissen. Nur eben jetzt nicht. Das macht es für mich so hochphilosophisch. Ich hoffe, du kannst das auf irgendeine Weise nachvollziehen. Aber ich denke das kannst du. Zumindest wissen wir den aktuellen Grund dafür, warum ich diese Briefe an dich überhaupt erst schreibe. Ich schätze, das muss vorerst reichen.

So etwas habe ich übrigens noch nie gemacht. Ich glaube, das macht es zu etwas Besonderem. Zumindest empfinde ich es gerade als besonders, aber das hat wahrscheinlich auch eine Menge mit dem Empfänger zu tun und weniger mit der Sache an sich. Aber das spielt jetzt erstmal eine allzu große Rolle. Wer weiß, vielleicht verbrenne ich diese Blätter auch einfach irgendwann.

Wahrscheinlicher ist es aber, dass das nicht passieren wird, weil ich tatsächlich will, dass du das alles hier eines Tages mal liest. Was und wann auch immer das sein wird.

Was ich dir im Vornherein noch sagen möchte: das hier ist die Verkörperung meiner Gedanken. Mein Herz in Materie. Jedes Wort ist rein und pur. Offenbart. Es gibt keine Zensur. Ich werde diese Briefe mit dem höchsten Maß an Ehrlichkeit schreiben. Weil ich keinen einzigen Gedanken vor dir verstecken will, egal wie unsere Geschichte ausgegangen ist.

Ich will, dass du alles weißt.

Und weil ich es nicht mag, so zu tun als wären knapp 50 Jahre Lebenszeit lang genug, um nicht in jeder wertvollen Sekunde davon offen und ehrlich zu sein. Ist es nämlich nicht. 50 Jahre sind nicht lang genug, das ist rational betrachtet eine verdammt kurze Zeitspanne und ich habe nicht vor, diese mit Lügen oder Zögern zu vergeuden. Das ist es mir nicht wert. Ich lebe nach meiner eigenen Philosophie. Und das ist sie.

Also kannst du auf jedes geschriebene Wort vertrauen. Im Grunde habe ich ja auch überhaupt keinen Grund dich in irgendeiner Weise anzulügen oder dir etwas vorzumachen, vor allem in diesen Briefen nicht. Denn es ist immer leichter, das was man fühlt, schriftlich zu übermitteln, weil man dann nicht die Reaktion als endgültiges Urteil über das Offenbarte bezeugen muss und das ist meistens besser, weil man so große Angst davor hat.

Deine Reaktion auf diese Briefe werde ich womöglich nie zu Gesicht bekommen. Oder zu Ohren. Was mich etwas traurig macht, aber nicht von meinem Plan abbringt.

Außerdem schreibe ich gern, in jedem Sinne und zurzeit schreibe ich vor allem dir sehr gern. Wobei ich dir gern öfter schreiben würde als einmal am Tag, aber leider schreibst du mir eben so selten. Ich frage mich seit Tagen, warum. Und ob das an mir liegt oder vielleicht sogar nur an dir. Oder an etwas völlig anderem.

Ich habe vor, dich das bald zu fragen. Weil ich es einfach wissen muss. Ich muss es verstehen können. Und da ich so gern schreibe, schreibe ich dir alles. Jedoch ohne dich zu nerven. Ganz still und heimlich.

Und irgendwann platzen diese Briefe mit einem lauten Knall in dein Leben. Ich kann es kaum erwarten.

𝐁𝐫𝐢𝐞𝐟𝐞 𝐚𝐧 𝐓𝐡𝐞𝐨Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt