04/01/19

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Theo.

Mein letzter Brief war ziemlich düster. Und traurig. Ich weiß noch nicht, ob ich das heute besser hinbekomme.

Es geht mir schon besser. Was nicht zuletzt damit zu tun hat, dass ich gestern einen gesamten Abend mit dir verbringen durfte.

Du hast mir geschrieben, weil du überlegt hattest, mich von Arbeit abzuholen. Doch ich war am Morgen beim Arzt und habe mich krankschreiben lassen.

Deshalb haben wir uns dennoch verabredet. Wir trafen uns am Nachmittag und liefen gemeinsam ins Café. Das war dein Vorschlag. Einen Kaffee trinken zu gehen. Wer hätte gedacht, dass wir das nach all dieser Zeit noch tun würden? Einen Kaffee trinken gehen. Was unser allererstes Treffen hätte sein sollen und nie geschehen ist. Der Grund, Grundlage meines seltsamen Begehrens, dich kennenlernen zu wollen, dich kennenlernen zu können. Ich finde es amüsant und charmant, dass es, entgegen jeder Erwartung und Erinnerung, doch noch passiert ist.

Diese Stunde im Café war wirklich schön. Du hast Cappuccino bestellt, ich einen Latte Machiato. Wir haben über belanglose Dinge geredet, uns nur selten in die Augen gesehen und uns hin und wieder so nichtssagend und gleichzeitig verräterisch angelächelt. Der Eine noch immer schüchterner als der Andere.

Als wir merkten, dass sich der Feierabend in diesem Café anbahnte, zogen wir weiter. Unser nächstes Ziel war ein Billiard Café in meiner Umgebung. Ich mag es, dass wir seit einigen Tagen immer Witze darüber machen, dass es mein sozial unterschichtiger "Ghetto-Bezirk" ist, und ich die Anführerin. Fast als hätten wir einen gemeinsamen Insider. Einer, der nur uns gehört. Etwas, das uns an irgendeinem Ende unserer Persönlichkeiten zusammenhält.

In der dieser mehr Bar als Café angekommen, verzogen wir uns wieder in die letzte Ecke. Diesmal bekamst du ein Radler und ich einen Wein. Dornfelder Lieblich. Ich wollte mir das merken, weil der tatsächlich gut war. Und getrunken in deiner Anwesenheit beim nächsten Genuss vielleicht nach dir schmecken würde.

In dieser Bar führten wir recht schnell eher ernstere Gespräche. Oder besser gesagt, lockere Gespräche mit ernstem Inhalt.

Wir redeten über einige Momente aus der Vergangenheit zwischen uns. Und so wie einen Tag zuvor in meinem letzten Brief, erzählte ich dir von all meinen psychischen Problemen.

Und davon, dass ich manchmal glaube, dass ich eine gewisse Sucht für diese Negativität in mir und über mich entwickelt habe. Dass ich gar nicht erst einsehen will, dass ich auch gute, wenn nicht sogar schöne oder gar faszinierende Seiten an mir habe. Und ich sagte auch, dass ich denke, dass all diese psychischen Störungen uns auseinander treiben würden, wenn wir uns weiter annähern. Dass ich dich damit nicht belasten will, es zwangsweise aber immer tun würde. Dass ich deshalb oft darüber nachdenke, mich von dir abzuwenden und dauerhaft fernzuhalten.

Aber das alles siehst du ganz anders. Du denkst, dass ich Zeit brauche. Zeit, um zu erfahren, dass ich gebraucht werde und damit zu erkennen, dass ich wichtig bin.

Du hast gesagt, dass es dir eine Ewigkeit lang auch so ging und dass diese große und bestimmende Komponente Zeit dir geholfen hat, aufzuhören über dich selbst nachzudenken. In all dieser Bitterkeit, die wir beide dabei empfinden.

Und du hast gesagt, dass meine psychischen Probleme für dich kein Grund sind, um das mit uns beiden, das mit mir, abzubrechen oder gar nicht erst zu versuchen.

Was das wirklich bedeutet, weiß ich nicht. Aber ein bisschen macht es mir Mut.

Es war befreiend, dir das zu erzählen. Das alles. Auch, dass ich mich so unwohl in meinem Körper fühle. Du hättest das Gefühl in mir spüren müssen, als du sagtest, du findest mich schön. Auch wenn du das in diesem Moment als du es sagtest, eher darauf bezogen hattest wie ich meine Haare im Café zuvor zugebunden hatte, aber das ändert im Wesentlichen an der Grundaussage nichts, denke ich.

Dieser Abend war wirklich unbeschreiblich schön. Das könnte ich alle zwei Zeilen wiederholen.

Ich wünschte, er hätte kein Ende genommen. Umso mehr ärgert es mich, dass ich diejenige war, die diesem Abend genau solches hinzugefügt hat, die sich zum Gehen wandte nach diesen wichtigen und Tiefsinnigkeit schaffenden Stunden.

Ich wollte nicht. Keine Faser meines Körpers stimmte der Moral meines Verstandes zu. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte ich mich tagelang nicht vom Fleck bewegt. Aber in gewisser Weise musste ich, es war meine Pflicht.

Es war schon spät. Und die Zeit erinnerte mich tadelnd, ja nahezu kopfschüttelnd, mit der Zunge schnalzend und gar verurteilend daran, er würde bald nach Hause kommen. Und mich um so eine unchristliche Zeit nicht dort vorzufinden, wo ich doch am allerwahrscheinlichsten sein müsste, hätte eine Menge zweifelnder Fragen in ihm aufgeworfen, die er mir mit diesem mir nur allzu vertrauten strafenden Blick und diesem peitschenden Klang in seiner Stimme schmetternd an den Kopf geworfen hätte.

Das wollte ich nicht. Nicht für mich, und auch nicht für ihn. Ich wollte vor ihm Zuhause sein, nicht damit ich meinen Fehltritt, meine Heimlichtuerei und mein abartiges Verhalten weiterhin verstecken könnte, nein, aber damit ich ihn nicht darüber anlügen müsste, wo ich so spät noch unterwegs wäre.

Ich wollte das einfach aus vielen verschiedenen, aber am Ende aus demselben Ursprung entstehenden Gründen vermeiden. Er hat das nicht verdient. Nichts davon. Ich hintergehe ihn. Treffe dich hinter seinem Rücken. Das ist so respektlos von mir, und das weiß ich auch. Ich hasse und schäme mich so sehr dafür.

Ich wollte ihm das einfach nicht antun. Wollte nicht diesen Samen von Zweifel und hasserfüllter Angst in ihm säen und aufkeimen lassen. Zu seinem eigenen Schutz. Denn ich weiß, er hätte diese gefundene Waffe gegen mich und gleichzeitig auch gegen sich gerichtet. Und dass es längst zu spät ist, um über diese möglichen Folgen nachzudenken und zu versuchen sie zu vermeiden oder auch zu umgehen, ist mir mehr als schmerzlich bewusst. Ich bin so angeekelt von mir selbst.

Ich weiß nicht, was ich tun soll.

Ich liebe ihn. Mehr als es scheint. Wahrscheinlich sogar mehr als ich es selbst weiß. Aber in dich bin ich verliebt und das macht mit mir etwas völlig anderes. Es macht mich anders. Es macht mich weniger schlecht. Du machst mich gut. Denn bei ihm, bin ich so wie er mit mir umgeht. An schlechten Tagen, und das sind mehr als ich zählen will, erkenne ich mich selbst nicht wieder. Nur das, was ich nicht sein will. Aber immer wieder bin, weil ich auf seine Verachtung, seine Wut, sein Missvertrauen und seine Eifersucht genauso reagiere wie er sie mir an den Kopf knallt. Und so will ich einfach nicht sein.

Er gibt mir dennoch eine Art von Beständigkeit. Wenn auch, aus all diesen Fehlern und eingerissenen zerstörerischen Mustern zwischen uns. Es gibt etwas, das mich bei ihm hält, etwas das ihn trotz all diesen Lasten, die ich mit ihm trage, auch zu demjenigen macht, der sie mir nimmt und von meinen Schultern hebt. Der mich an guten Tagen genauso lieben kann wie die Pflanze das Wasser, der mich genauso ansehen kann wie ein Wanderer das Meer. Er gibt mir Beständigkeit, aber du hast mein verdammtes Herz gestohlen.

Ich fühle mich von Tag zu Tag schrecklicher. Weil ich in einer Sackgasse stehe, die immer kleiner wird. Das kann so nicht ewig weitergehen. Das weiß ich. Ich muss einen Weg wählen. Aber ich habe Angst. Ich habe wahnsinnige Angst davor einen von euch beiden zu verlieren. Das würde ich nicht ertragen. Denn ich begehre das Sonnenlicht, in dem ich aufgehe und heranwachse doch ich lebe in der Dunkelheit, die mich schützend in sich einhüllt und vor der Welt versteckt hält.

Ich sehe keinen Ausweg. Doch ich habe mich ganz allein in diese Scheiße geritten und mir kann keiner dabei helfen, mich aus diesem selbstgespinnten Strick herauszuwinden. Mich kann niemand retten.

Ich fühle mich so hilflos.

𝐁𝐫𝐢𝐞𝐟𝐞 𝐚𝐧 𝐓𝐡𝐞𝐨Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt