3tes Kapitel

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3tes Kapitel

Dass sie keine Zeit hatte, war nur halb gelogen. Sie hatte noch einen Termin mit ihrem Psychotherapeuten. Allerdings erst nach dem Mittagessen ... Diese Therapie war sehr wichtig für sie, auch wenn der Mord an ihrer Mutter schon vier Jahre zurücklag.

„Kate, sie haben sich verändert. Was ist passiert?“ Man merkte es ihr schon auf diese Distanz an, dass sie sauer war? Aber er merkte alles. Er war einer der besten Psychologen von ganz New York. „Sie sehen lebendiger aus.“ Lebendiger. Ah ja. So konnte man es auch nennen. „Nein. Eigentlich bin ich nur sauer.“ Dann brach die ganze Wut aus ihr heraus. „Er kommt einfach mit einem Fernsehteam am meinen Arbeitsplatz, in meine Privatsphäre geplatzt!!“ Tränen rollten über ihre Wangen. Wo kommen auf einmal die ganzen Tränen her? „Entschuldigung, ich weiß auch nicht, warum ich in der letzten Zeit so nah am Wasser gebaut bin.“ Er sah sie mit seinem ruhigen Blick an. „Das ist ein gutes Zeichen. Es kommt was in Bewegung.“ Sie lächelte schief.

Nach der Therapiestunde war ‚Feierabend‘. Endlich. Auf dem Weg zum Auto wurde sie von vielen Menschen angeguckt, manche grinsten, manche grüßten. War das wegen diesem Fernsehauftritt? War das schon ausgestrahlt worden? Damned. Kino konnte sie heute Abend vergessen. Dazu war ihr die Lust vergangen. Nur wegen ihm! „Jetzt stiehlt er mir auch noch mein Wochenende“ dachte sie, auf das Übelste missgelaunt. „Warum lasse ich es eigentlich zu, dass es mich einschränkt?“ Aber die Lust aufs Kino war ihr so oder so vergangen.

So saß sie eine Stunde später nach einem ausgiebigen Bad auf dem Sofa und guckte ihren Lieblingsschlechtelaunekillerfilm Mamma Mia! Der Film erinnerte sie an ihre Mum. Sie hatte zum ersten Mal Liebeskummer gehabt und dann diesen Film mit ihrer Mutter zusammen geguckt. Seitdem liebte sie den Film und die Songs. Das Wort „Lieblingsschlechtelaunekillerfilm“ haben ihre Mutter und sie auch zusammen erfunden.

Plötzlich klingelte es. Wer konnte das sein? Die Post kommt immer morgens, die Nachbarn sind verreist. Castle vielleicht? Um sich zu entschuldigen? Wenn ja – was dann? Entschuldigung annehmen oder … „Alexis?!“ Da stand doch tatsächlich Castles Tochter in der Tür. „Hey, Miss Beckett!“ Sie lächelte sie an. „Darf ich reinkommen oder störe ich?“ Kate schaute misstrauisch in den Flur. „Kommst du allein?“ „Ja, wieso?“ Kate schüttelte den Kopf. „Nur so“ murmelte sie. „Komm rein. Magst du etwas essen oder trinken?“ Alexis betrat Kates Wohnung und schaute sich um. Es war natürlich nicht so luxuriös wie das Apartment ihres Vaters, aber sehr geschmackvoll eingerichtet. „Gerne einen Tee oder so.“ Sie legte ihren Mantel ab und hängte ihn an die Garderobe.

An den Wänden hingen Bilder. Gemälde und Fotos. Viele Fotos von Beckett und einer hübschen Frau standen auf der Kommode im Wohnzimmer, ein großes hing gerahmt über dem Sofa. Beckett war noch jünger und sah glücklicher aus. „Ist das ihre Mutter?“ Becketts Gesichtszüge verdunkelten sich für einen Moment. „Ja.“ Sie wechselte das Thema. „Willst du wirklich nichts essen?“ Alexis schien zu merken, dass sie nicht darüber reden wollte. Warum auch immer. „Nein, Danke“ sie lächelte. „Ich habe es zuhause nicht mehr ausgehalten … Daddy schreibt und meine Großmutter will mit mir Text für eines ihrer Vorsprechen üben.“ Sie verzog das Gesicht, fuhr dann aber fort. „Und da ich gerade in der Gegend war, habe ich einfach mal vorbeigeschaut. Ich hab auf dem Weg schon etwas gegessen.“ Sie stand etwas unschlüssig im Wohnzimmer. Ein peinliches Schweigen breitete sich im Raum aus. „Alexis, magst du dich nicht auf das Sofa setzen, während ich den Tee mache?“ Alexis nahm dieses Angebot erleichtert an und Kate verschwand in der Küche. Einige Minuten später kam sie mit einem Tablett, beladen mit Tee und Teeplätzchen, zurück und setzte sich neben Alexis. „Ihr Fernsehauftritt war echt cool!“ Kate guckte etwas gequält, als sie das Thema anschnitt. „So ist, glaube ich, noch nie jemand mit meinem Vater umgegangen.“ Alexis grinste kurz. „Die meisten hätten ihre Bluse um mindestens zwei Knöpfe aufgeknöpft und die Kamera angeflirtet … wahrscheinlich nicht nur die Kamera. Aber Ihre Reaktion war - einfach cool!“ Kate musste ihrerseits nun doch etwas grinsen. „Freut mich, dass du das so siehst!“ Dieses Mädchen war ihr sympathisch! „Ja, ich war etwas ungehalten, da ich gerne vorher über solche ‚Zwischenfälle‘ informiert werden würde …“ gab sie lachend zu. Alexis schmunzelte. Dann sah sie die DVD-Hülle von Mamma Mia. „Ich liebe den Film! Gefühlte 100 Mal habe ich diesen Film angeguckt! Besonders dann, wenn es mir nicht so gut ging …“ „Ja, dafür eignet er sich gut ... meine Mutter und ich haben ihn oft zusammen gesehen.“ Sie hätte sich ohrfeigen können. So viel erzählte sie sonst nicht über sich. Wenn sie etwas über sich preisgab, dann nur an Leute wie Lanie (ihrer allerbesten Freundin in allen Lebenslagen). Nicht an Leute, die sie erst seit so kurzer Zeit kannte! Das mit dem Film war eines ihrer intimeren Geheimnisse … Aber Alexis schien nichts dabei zu finden. Sie schien sich zu freuen, dass sie ihren Filmgeschmack teilte. „Warst du schon mal im Musical? Das soll großartig sein!“ Sie stockte. „Ich meine natürlich sie … Sorry.“ Sie wurde ein wenig rot. Kate lächelte. „Hey, kein Problem! Und: Nein, im Musical war ich noch nicht, obwohl ich das schon ewig vorhabe. Vielleicht gehe ich ja mal an meinem Geburtstag hin. Vorausgesetzt, es läuft dann noch ...“ Für einen Moment starrte sie in sie in Gedanken versunken in die Gegend. „Miss Beckett?“ Alexis sah sie fragend an. „Ja? Entschuldige bitte, ich war in Gedanken…“ "Darf ich sie mal was fragen?“ Sie sah Alexis (jetzt wieder mit voller Aufmerksamkeit) an. „Natürlich!“ Die 14-jährige biss sich einmal unsicher auf die Unterlippe. „Wie kommt man darüber hinweg, dass man verfolgt und fast erstochen wurde? Kommt man darüber hinweg? Bleibt man sein restliches Leben paranoid?“ Sie blickte Kate verzweifelt an. Kate atmete einmal tief durch. „Das kann ich dir jetzt nicht sofort beantworten. Aber ich denke, du wirst darüber hinwegkommen. Du bist stark! Zwar wirst du vielleicht wachsamer sein als andere, aber ich glaube nicht, dass du deswegen paranoid werden wirst. Hilft dir diese Antwort ein wenig weiter?“ Sie blickte Alexis an. „Ein wenig …“ Aber sie wirkte noch nicht wirklich überzeugt. „Wenn du willst, gebe ich dir die Nummer von mei ... ähm ... einem Therapeuten. Der kann dir wirklich helfen! Außerdem: wenn du  Hilfe brauchst, weißt du ja, dass du mich jederzeit anrufen kannst"  Alexis schaute sie an, fast schon vertrauensvoll.  „Danke!“  Kate lächelte sie an.

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