Safe With Me

Kapitel 16

Ryan und Esposito waren während Kates Abwesenheit nicht untätig gewesen. Man hatte eine neue Spur! In der Wohnung des Opfers wurde ein Zweithandy gefunden, ebenso ein zweiter Pass. Unter seiner anderen Identität bezog er Arbeitslosengeld und auf dem Handy fand man eine Nummer, die er in den letzten Monat mindestens einmal täglich kontaktiert hatte. Es waren auch mehrere SMS auf dem Handy, die auf eine Beziehung hindeuteten. Im Moment durchleuchteten sie die neue potenzielle Verdächtige. Es war eigentlich nicht die typische Gangsterbraut. Sie war in einer mittelständischen Familie aufgewachsen, hatte das College besucht und danach Lehramt studiert. Ohne Drogengeschichten, ohne Vorstrafen. Trotzdem würden sie sie zu einem „Gespräch“ vorladen müssen. Aber da es schon spät war, verschoben sie das auf den nächsten Tag.

Xxx

Am nächsten Morgen klingelte Kates Wecker pünktlich um halb sechs. Ächzend quälte sie sich aus dem Bett, um sich für die Arbeit fertigzumachen. In der letzten Zeit hatte sie sich zuhause fürchterlich gelangweilt, trotz Lanies fürsorglicher Pflege. Der Fall hatte sie auch nicht losgelassen. Wer war der Mörder? Die Frage ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Vergessen waren all die Selbstzweifel. Jedenfalls vorläufig.

Das Wetter war auch besser geworden. Die Sonne schien, die Luft war klar eiskalt, es hatte mindestens -9° Celsius. Beschwingt betrat sie das Revier.

„Hey, Espo, guten Morgen Ryan!“  ihre Partner schauten überrascht von ihren Unterlagen auf.

„Hey, Beckett! Hätten sie noch nicht erwartet. Aber wo sie schon einmal da sind – hier ist die Akte zu Selena Smith, unserer neuen Verdächtigen!“ Esposito drückte ihr die Mappe in die Hand. Sie lachte und verdrehte die Augen. „Ich habe sie auch vermisst.“ Damit ging sie zu ihrem Schreibtisch, um sich diese Selena einmal genauer anzuschauen. Eine gute Viertelstunde später kam Ryan mit Kaffee vorbei.

„Hallo Beckett. Wollen sie mitkommen? Wir holen gleich Selena Smith zu einem Verhör ab. Wir haben genug Indizien, um sie als Verdächtige einstufen zu können.“ Sie schaute überrascht auf.

„Klar, ich bin dabei.“

Wenig später fuhren sie mit ihren Autos bei Selena Smith vor. Sie wohnte in einem kleinen Apartment am Rande von Manhattan. Zusammen gingen sie hoch zu ihrer Wohnung und klingelten. Eine kurze Weile später öffnete eine kleine, dunkelhäutige Frau mit krausem Haar die Tür. Sie wirkte sehr gefasst, als ob sie das Eintreffen der Polizei schon erwartet hatte.

„Guten Morgen, Detectives“ sagte sie. „Sie sind gekommen, um mich wegen meinem Exfreund zu befragen.“ Es war keine Frage, es war mehr eine resignierte Feststellung der Tatsachen. Kate nickte. Selena nickte auch. „Ich habe es gewusst…“ Sie seufzte schwer. „Warten sie, ich ziehe noch meine Schuhe an und sage die Nachhilfestunde ab.“ Schweren Schrittes verschwand sie in der Wohnung. Kate und Ryan sahen sich an. Was ging hier vor? Was wusste sie? Sicherheitshalber zogen sie ihre Waffen aus dem Holster und entsicherten sie. Doch da öffnete sich die Tür schon wieder und Selena trat heraus, mit einem dicken Wintermantel und hohen Stiefeln bekleidet. Sie nickte den Detectives zu.

„Wir können los.“

Die Fahrt verlief schweigend. Selena knetete die Hände im Schoß, saß aber die ganze Zeit über aufrecht. Kate und Ryan tauschten immer wieder Blicke und beobachteten die Frau auf dem Rücksitz verstohlen. Was ging in ihr vor?

Auf dem Revier wurde sie umgehend in den Verhörraum gebracht. Auf die Frage, ob sie einen Pflichtverteidiger haben wolle, hatte sie mit nein geantwortet.

Kate und Ryan standen im Beobachtungsraum, kurz danach kam Esposito dazu.

„Hey, hab ich richtig gehört, dass die freiwillig mitgekommen ist und nicht einmal einen Anwalt will?“ Er guckte durch den Einwegspiegel. „Heiliges, und die ist wirklich single? Wie konnte nur an so ein Ekel wie ihrem Ex geraten …“ Das zweite sagte er mehr zu sich selber. Ryan und Kate warfen sich vielsagende Blicke zu.

„Du weißt schon, dass sie im Moment unsere Hauptverdächtige ist?“ fragte Ryan. Espo zuckte nur mit den Schultern und wandte den Blick nicht von ihr ab.

„Ich glaube, das wir das Verhör übernehmen sollten, Espo …“ sie stupste ihn leicht in die Seite „… ist im Moment nicht ganz zurechnungsfähig.“ Sie grinste. „Komm, Ryan.“ Sie ging vor, Ryan folgte ihr.

Selena wartete schon. Hinter ihrer unbewegten Fassade war sie nervös, das konnte man spüren.

„Guten Tag Ms. Miller, ich bin Detective Kate Beckett, das hier ist mein Partner Kevin Ryan. Wissen sie, warum sie hier sind?“ Sie sah ihr in die schokoladenbraunen Augen, suchte nach Emotionen. Und fand Resignation. Reue. Erleichterung. Eine seltsame Mischung. Selena holte kaum merklich Luft.

„Ja. Ja, ich weiß warum ich hier bin.“

Kate blätterte kurz in der Akte, blickte sie dann wieder an.

„Sagen sie’s mir.“

Selena schloss die Augen. „Ich bin hier, weil ich meinen Exfreund ermordet habe. Erst ermordet, dann erstochen. Dann habe ich ihn in einen Teich im Central Park gestoßen. So, wie er es verdient hat!“ Ihre Stimme zitterte.

Ryan fragte vorsichtig nach. „Sie wissen schon, dass sie gerade einen Mord gestanden haben?“ Sie nickte. „Ja. Ich weiß.“

„Warum?“

Selena blickte Detective Beckett jetzt wieder direkt an. „Wussten sie, dass er mit Drogen dealte? Dass er Stoff an Kinder verkaufte, nachdem er sie abhängig gemacht hat? Dass er Schülern schlechte Noten gab, um sie zu erpressen? Wenn sie dann kurz vor dem Durchfallen waren, hat er sie gezwungen Drogen zu verteilen. Und schlimmeres …“ Ihre Lippe zitterte, aber sie hielt dem Blick von Kate stand. „Als ich es dann herausfand, konfrontierte ich ihn. Es kam zu einem Streit. Er wollte mich auch mit hineinziehen. Erst versuchte ich, ihn davon abzubringen. Aber ich konnte es nicht ertragen, dass er nach außen hin so nett und sozial schien, hintenrum  aber der mieseste und dreckigste Gauner war, den ich mir vorstellen konnte. Immer, wenn ich einen seiner suchtkranken  Schüler sah, gab es mir einen Stich ins Herz. Diese Schüler haben sich zusammengeschlossen, waren von der Klasse abgesondert und haben andere fertiggemacht. Ich konnte es nicht mehr aushalten. Es ging nicht mehr.“

„Warum haben sie ihn nicht angezeigt?“

„Er hat gedroht, dass sein Boss mich umbringen würde.“ Nun war ihr Blick klar, die Erleichterung, sich alles von der Seele geredet zu haben, stand ihr ins Gesicht geschrieben.

Als Kate mit Ryan den Verhörraum verließ, traf sie auf Castle.

„Warum haben sie nicht angerufen?“ Er war enttäuscht, das sah sie. Leid tat es ihr nicht.

„Tut mir leid.“

Castle nickte. „Was passiert jetzt mit ihr?“

„Sie wird vor Gericht des Mordes angeklagt. Aber ich werde für mildernde Umstände plädieren.“ Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: „Sie hat es verdient.“