Teil 4

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Nur einen Tag noch Kraft

und ich reiß alle Mauern um mich ein.

Nur wer sich öffnet für den Schmerz,

lässt auch die Liebe mit hinein.

Zitternd schlug Harry im Flur seines Hauses auf. Tränen liefen seine Wangen hinab, er atmete nur stoßweise und sein Herz raste immer noch. Er ging in die Knie, umklammerte seinen Oberkörper und ließ seinen Gefühlen freien Lauf. Er schluchzte und lachte, weinte und jubelte gleichzeitig. Er hatte ihn gesehen. Das war mehr, als er sich heute Morgen erhofft hatte. Mehr als er sich jemals wieder erhofft hatte.

Und er hatte so gut ausgesehen, genau wie Harry ihn in Erinnerung hatte, nur eben nicht mehr 17, sondern älter... männlicher... eben einfach besser.

Aber er hatte auch die Verachtung in Malfoys Stimme gehört, als er seinen Namen ausgesprochen hatte. Es hatte sich nichts geändert! Malfoy hasste ihn scheinbar noch immer.

Schwer seufzend stand Harry schließlich auf und wischte sich mit dem Ärmel seines Umhangs über sein Gesicht. Gut, was hatte er auch erwartet? Dass Malfoy ihm freudestrahlend um den Hals fiel und ihm ewige Liebe schwor? Harry lachte bitter auf. Du bist ein dämlicher Vollidiot, schimpfte er mit sich selbst.

Langsam schlich er in sein Arbeitszimmer, er wankte leicht, der Schlafmangel der letzten Tage, die Begegnung mit Malfoy und die ganze Heulerei hatten ihn ausgelaugt. Er würde sich für heute krank melden. Er würde es in diesem Zustand auf der Arbeit nicht aushalten, das wusste er. Und Ron würde er es auch nicht erklären können. Der wusste schließlich nichts von seinen Gefühlen für Malfoy, ihren gemeinsamen Erzfeind. Er hätte Harry nicht verstanden.

Also schickte Harry seine Eule mit einer kurzen Nachricht ins Ministerium, dass er sich krank fühle und heute nicht käme, dann legte er sich auf seine Couch und ließ seine Gedanken noch einmal zu Malfoy schweifen. Er blendete dessen Stimme, dessen Verachtung aus und konzentrierte sich nur auf sein Aussehen, stellte sich jedes Detail vor seinem inneren Auge noch einmal genau vor und wollte die Erinnerung so fest wie möglich in sein Herz einschließen. So glitt er langsam in den Schlaf.

Und wir tanzten im Schnee vergangenes Jahr,

der Mond schien so sanft in deinem Haar.

Und es tut auch kaum mehr weh,

wenn ich alles vor mir seh',

als ob's gestern war und nicht vergangenes Jahr.

Er ist wieder in Hogwarts, es ist Nacht und es liegt Schnee. Draco ist bei ihm. Sie tanzen miteinander, drehen sich im Kreis. Plötzlich fallen sie, bleiben im Schnee liegen. Harry kann sich an Dracos Anblick nicht sattsehen, an seinem Körper, seinem Gesicht, seinem Haar, das im Mondlicht leuchtet. Er möchte ihn küssen, er streichelt ihm sanft über die Wange. Draco sieht ihn mit einem Lächeln an. Harry versinkt in diesen wunderschönen blaugrauen Augen. Da hebt Draco eine Hand und fährt ihm über die Wange, berührt seine Schulter und flüstert „Harry. Harry, wach auf."

Und Harry wundert sich. Fragt sich, warum Draco das sagt. Doch Draco lächelt ihn nur an und rüttelt ihn sacht an seiner Schulter. „Wach auf, Harry." Langsam verschwimmt Dracos Anblick und Harry spürt, wie er aus seinem Traum in die Realität zurück gleitet.

Genervt stöhnte er auf, er wollte nicht aufwachen. Er wollte in seinem Traum bleiben, bei Draco, wollte noch ein bisschen das genießen, was er hier in der Realität nicht haben konnte. Trotzdem öffnete er langsam seine Augen und musste wegen der Helligkeit blinzeln. Schnell schloss er sie wieder. Es war gerade erst Mittag und die Sonne schien warm, hell, freundlich durch das Fenster herein. Harry wurde sich allmählich wieder bewusst, was ihn geweckt hatte und er öffnete seine Augen noch einmal. Hermine saß neben ihm auf der Couch, eine Hand an seiner Schulter und sah ihn besorgt an.

„Harry? Ist alles in Ordnung mit dir?", fragte sie vorsichtig. „Ron hat mir erzählt, dass du dich heute krank gemeldet hast, da wollte ich nur kurz vorbei schauen, ob du etwas brauchst. Gott, du siehst schrecklich aus. Hast du geweint?" Und sie strich ihm zärtlich über die Wange, dann fuhr sie durch sein Haar.

Harry sah sie aus seinen verquollenen Augen an. Er seufzte und wischte sich über das Gesicht. Dann setzte er sich auf, ließ die Schultern hängen und blickte auf den Boden. „Ich war bei ihm", flüsterte er. Hermines Hand legte sich auf seinen Rücken und streichelte ihn langsam. Sie brauchte nichts zu sagen, sie wusste es, wusste wer er war, wusste was Harry beschäftigte, wenn er von ihm träumte. Sie musste nichts sagen, ihre Berührung genügte. Sie gab ihm Kraft, weiterzusprechen. „Ich träume wieder von ihm. Es ist wieder derselbe Traum wie früher, wieder so real, so intensiv..." Seine Stimme brach, er musste tief Luft holen, um gegen die Tränen anzukämpfen, die sich wieder einen Weg nach draußen bahnen wollten.

„Seit wann?", fragte Hermine leise und voller Mitgefühl in der Stimme.

„Seit etwa zwei Wochen."

„Warum hast du nichts gesagt?"

Harry sah sie verzweifelt an und zuckte mit den Schultern. „Was hätte es gebracht? Außerdem will ich nicht, dass Ron etwas davon erfährt. Er würde ausrasten, er könnte es nicht verstehen. Sein Hass auf Malfoy sitzt so tief. Er kann schon kaum damit umgehen, dass ich auf Männer stehe. Wenn er erfährt, dass ich Malfoy..." Er schüttelte heftig den Kopf. Seine Augen brannten, aber er wollte nicht schon wieder heulen. Seit wann war er denn so eine Heulsuse? So emotional war er doch sonst nicht. Naja, wenn es um Malfoy ging, hatte er schon immer Schwierigkeiten gehabt, sich zu beherrschen. In jeglicher Hinsicht.

„Oh Harry..." Hermines Blick war mitfühlend und sie fuhr ihm weiter beruhigend über den Rücken.

Harry stützte seine Ellenbogen auf seinen Knien ab und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. „Hermine, ich weiß nicht, was ich tun soll", flüsterte er verzweifelt. „Er fehlt mir so sehr. Und dann war ich dort. Und er kam auf mich zu. Und er sah so gut aus. Und er hasst mich immer noch so sehr..." Da war es mit seiner Selbstbeherrschung auch schon vorbei. Er schluchzte trocken auf, seine Schultern zuckten heftig, doch die Tränen konnte er erfolgreich zurückdrängen.

Hermine hatte die Traurigkeit und Verzweiflung aus Harrys Worten herausgehört und es traf sie, ihren besten Freund so zu sehen. „Harry, ich dachte, du bist über ihn hinweg? Ich dachte, das ist alles längst vorbei?", fragte sie vorsichtig.

„Es wird nie vorbei sein, Hermine. Ich werde ihn immer lieben", flüsterte er traurig.

Statt ihm zu antworten, zog sie ihn in eine feste Umarmung und er ließ sich fallen, ließ seinen Schmerzen und den Tränen freien Lauf.

Und wir tanzten (Drarry)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt