Eigentlich hatte sie kein Problem mit Leichen, aber jedes Mal, wenn Karina sich in die Welt der Pathologie wagte, in den Keller der Polizeiwache, in dem Doktor Ebenizer Morris sein Reich hatte, lief ihr unweigerlich ein kalter Schauer über den Rücken.
Dabei konnte sie nie gewiss sagen, woran das lag. Sicherlich, die kühlen, feuchten Kellerräume waren nicht besonders angenehm, die drückende Atmosphäre der vielen Toten ließ sich hier besonders deutlich erfassen. Dennoch konnte sie nicht mit Gewissheit ausschließen, dass der Doktor der Hauptgrund für ihre Gänsehaut war. Morris machte auf sie viel mehr den Eindruck eines Skelettes als den eines lebendigen Menschen. Sicher, der Pathologe war bereits alt, man könnte seine Merkwürdigkeiten als simple Verschrobenheit abtun- aber dennoch war dieser Mann Karina unheimlich. Im allgemeinen hatte sie nichts gegen Leute, die ihre Arbeit etwas zu ernst nahmen, im Gegenteil, sie wertschätzte Fleiß und Hingabe. Aber der Doktor bewegte sich da auf einem ganz anderen Level. Sie hatte ihn noch nie außerhalb des Kellers gesehen. Es war natürlich kein Wunder, dass er als Pathologe in diesem Ort Überstunden machen musste, die Mordserie tat ihren Teil, aber der Mann arbeitete nebenbei sogar noch als Bestatter. Er verbrachte mehr Zeit mit Leichen als mit den Lebenden. Es ging sogar das Gerücht um, er würde nachts in dem kalten Kellergewölbe schlafen, das Karina natürlich als Unfug abtat. Was sie allerdings mit Sicherheit bestätigen konnte, war sein merkwürdiger Umgang mit den Leichen. Natürlich handelte es sich ab einem gewissen Punkt immer noch um Menschen, aber normalerweise gingen Gerichtsmediziner mit den Leichen wie mit Gegenständen um. Wie mit Objekten, die es zu untersuchen galt. Wenn man erstmal sein Skalpell in einem Brustkorb versenkt, fällt es einem schwer, den toten Körper auf seinem Tisch als Mensch zu betrachten.
Aber Morris war da anders, er behandelte die Leichen mit einer außergewöhnlichen Hingabe. Er ging fast schon zärtlich mit ihnen um, wenn er sie Aufschnitt und ihre Organe entnahm. Karina hätte sogar schwören können, dass sie ihn einmal mit einer Leiche reden hörte...Als sie und James das feuchte Leichenschauhaus betraten, erwartete Morris sie bereits. Seine dünnen Lippen formten etwas, dass man als zynisches Lächeln deuten könnte.
"Aaah, wenn das nicht meine beiden Lieblingsermittler sind."
Seine knarzende, zynische Stimme. Die gelben, kleinen Zähne. Die gemein funkelnden, kleinen Augen hinter der dicken Hornbrille. Der graue Kittel, der mit dunklen Blutflecken übersät war. Karina wollte wirklich keine Sekunde mit diesem Mann in einem Raum verbringen. Aber sie musste. Also schluckte sie ihre Abscheu herunter und lächelte gezwungen. Sie überließ ihrem Boss das reden, er konnte besser mit diesem gemeinen Gnom umgehen.
"Tag, Ebenizer. Du weißt ja, warum wir hier sind." antwortete ihr Vorgesetzter kühl.
"Wir wollen uns die Leiche ansehen. Gibst du uns bitte einen kurzen Überblick?"
Morris nickte eifrig und wischte sich die Hände an seinem verkrusteten Kittel ab.
"Sicher, sicher, alter Knabe, für euch doch immer. Er liegt gleich hier..."
Er humpelte auf einen blitzblank geputzten Metalltisch zu, auf dem sich die Überreste eines menschlichen Körpers befanden. Bei dem Anblick der Leiche, kombiniert mit der Mischung aus intensivem Totengeruch und stechendem Formaldehyd musste Karina sich fast übergeben.
James beugte sich zu ihr herüber und murmelte nur leise "schlucken sie's runter, Mädchen", bevor er sich über die leblosen Überreste des Obdachlosen beugte. Derweil begann Morris mit seiner Zusammenfassung.
"Die Vermutungen haben sich bestätigt, es handelt sich bei unserem Lieben Freund hier tatsächlich um einen Obdachlosen. Männlich, einen Meter siebenundsiebzig groß, dreiundsiebzig Kilogramm schwer. Zumindest schätze ich, dass er so schwer war, ein paar Teile von ihm sind ja nicht mehr da."
Der blasse Mediziner räusperte sich und leckte sich über die Lippen, bevor er fortfuhr.
"Wie bereits angegeben, ist entweder das schwere Schädel-Hirn-Trauma oder der hohe Blutverlust die Todesursache. Ich persönlich allerdings halte allerdings Letzteres, also erhebliche Hypovolämie, für wahrscheinlicher, da seine Blutgefäße stark geweitet und seine Muskeln verkrampft sind, was definitiv auf einen Schock schließen lässt, der bei dieser Todesursache sehr üblich ist. Die schweren Verletzungen an seiner Schädeldecke und in seinem Gesicht könnten durchaus postmortal entstanden sein."
Während er erzählte, gestikuliert er mit seinem Skalpell andeutungsweiße über dem zertrümmerten Gesicht des Toten.
"Wo wir gerade davon sprechen, die Schäden an seinem Schädel wurden zwar mit Wucht zugefügt, allerdings kann ich einen stumpfen Gegenstand mit Sicherheit ausschließen. An der Schädeldecke erkennen wir deutlich ein paar Kratzer, die auf einen scharfen, schweren Gegenstand schließen lassen. Bei den beiden Schlägen wurden sein Neokortex und sein gesamter Hirnstamm übel zugerichtet, diese Verletzungen würden die cerebralen Funktionen sofort komplett abschalten, was zum unweigerlichen Tod des Opfers führt. Die Hirnrinde ist übrigens nur sehr leicht angeschwollen, was ebenfalls ein Zeichen dafür ist, dass die Verletzungen nach dem Tod zugefügt wurden."
Er ließ von dem Gesicht des Toten ab und richtete das Augenmerk auf seinen Torso. Dort befand sich eine wirklich hässliche Naht, etwa auf Höhe des Bauchnabels.
"Hier befand sich bis vor kurzem noch ein Loch vom Durchmesser einer Honigmelone. Der Magen wurde stark verletzt, die Nervenfasern der Wirbelsäule wurden ebenfalls gekappt. Alles in allem war es wohl ein äußerst schmerzhafter Tod. Allerdings war die Verletzungen so groß, dass er recht schnell verblutet ist. Die Mordwaffe lässt sich schwer identifizieren, auf jeden Fall wurde auch diese Wunde mit Wucht zugefügt, selbst das Fleisch an seinem Rücken wurde dabei zerrissen. Interessant ist auch, dass der Täter es nicht bei dieser einen Verletzung im Torsobereich belassen hat. Sein Herz wurde entfernt."
Einige Momente herrschte betroffene Stille, bevor Karina ihre Stimme erhob.
"Wie...meinen sie das bitte? Hat der Täter etwa einen operativen Eingriff vollzogen?"
Morris rümpfte verächtlich die Nase und schüttelte seinen Kopf.
"Himmel, nein, dann hätte der Tote ja eine tiefe Narbe auf der Brust. Vielleicht habe ich mich etwas undeutlich ausgedrückt, das Herz wurde nicht fachgerecht entfernt, es liegen hier keine sauberen Schnitte vor, sondern vielmehr wurde es herausgetrennt. Gerissen, wenn sie so wollen. Die Arterien sind vollkommen zerstört und Teile des Brustkorbes wurden dabei beschädigt. Das Herz wurde allem Anschein nach durch die Wunde in der Magengegend entfernt."
Karina schluckte. Der Mörder hatte also nicht nur den Bauch eines Obdachlosen komplett durchbohrt, sondern auch noch in die warme Wunde gegriffen, um sein Herz herauszureißen. Dieser Fall ging weit über einen normalen Serienkiller hinaus, dieser Mörder war kein Wahnsinniger mehr, sondern eine verdammte Bestie, die selbst Albert Fish wie ein zahmes Kirchenlamm aussehen ließ. Bisher waren alle Leichen, die sie gefunden hatten stärker verstümmelt, als die Opfer eines Haiangriffes, von den Vermissten ganz zu schweigen.
Der Doktor ließ seine bleichen, dürren Finger knacken und machte ungerührt mit seiner Zusammenfassung weiter.
"Das Opfer verfügt zudem über insgesamt 10 tiefe Einstichwunden an beiden Beinen. Außerdem wurde sein linker Arm von der Schulter abgetrennt, wobei die Schnittstelle sehr unsauber ist. Vergleichbare Wunden findet man zum Beispiel bei Unfällen mit Kettensägen."
Damit schloss er seinen Vortrag und überreichte James einen sauber beschriebenen Papierbogen.
"Hier, da hast du noch mal alles schwarz auf weiß."
Nuschelte der verkorkste Mediziner.
"Und falls ihr den Toten noch Mal sehen wollt...Er bleibt erst Mal hier, solange kein Angehöriger auf die Beerdigung drängt."
Rief er den beiden Ermittlern mit einem meckernden Kichern hinterher, als diese das Leichenschauhaus verließen.
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Black Coffee
Tajemnica / ThrillerDie junge Polizistin Karina May wird in eine neblige Hafenstadt versetzt- ohne zu wissen, dass ihr neuer Job dort eine Mordserie ungeheuren Ausmaßes für sie bereit hält. Ihre Kollegen sind ihr bei der Aufklärung keine große Hilfe, bis die mysteriöse...