Kapitel 2

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Abby

48 Stunden zuvor

Es ist eine klirrendkalte Nacht mit einem sternenklaren Himmel. Das Mondlicht bringt die Schneedecke zum Leuchten, sodass es aussieht wie tausende winzige Kristalle. Die Schönheit der Natur, an die kein einziger Film auch nur ansatzweise heranreicht. Und so stehe ich hier draußen, in einem hellgrünen Cocktail-Kleid, in dem es mir eigentlich fast zu kalt ist. Aber ich will nicht zurück auf die Party. Eigentlich ist eher eine Gala als eine Party. Es gibt mehrere Gründe, warum ich nicht wieder hineinwill. Einer davon ist der, dass meine Mutter mir Geschäftspartner von sich vorstellen wird. Und dann wird sie davon schwärmen, wie unglaublich erfolgreich Ashley, meine ältere Schwester, und Cole, mein älterer Bruder, doch sind. Ash ist die Mittlere von uns drei Geschwistern und ein bekanntes und gefragtes Model. Sie ist bildhübsch und manchmal bin ich neidisch auf sie. Ashley hat dunkles Haar und smaragdgrüne Augen. Ich habe diese Merkmale zwar auch, aber aus mir wird nie ein bekanntes Model werden. Dafür bin ich zum einen etwas zu klein – ich bin nur 1, 68 groß – und viel zu normal. Sie ist ein ausdrucksstarkes Gesicht, mit hohen Wangenknochen und makelloser Haut, sanft geschwungene Augenbrauen, volle Lippen und süße, kleine Ohren. Sie sieht sexy aus und genau mit diesem Aussehen zieht meine große Schwester täglich Aufträge an Land. Und Cole ist ein Schauspieler. Er sieht gut aus. Schwarze Haare, grüne Augen, eine Statur, die Mädchen dazu bringt zu sabbern vor Verlangen und eine Stimme, die so dunkel ist, dass sie den Körper zum Schwingen bringt wie der Bass in einem Lied – kurz um, meine Geschwister sind all das, was ich nicht bin. Sie sind perfekt und ich bin nur das missratene Nesthäkchen. Ich stütze die Hände auf dem Geländer ab und starre über die Dächer von New York. „Abby, Kleine! Ich wusste doch, dass ich dich hier draußen finden würde!" Darf ich vorstellen? Das ist der andere Grund, weshalb ich mir hier draußen lieber den Hintern abfriere, als rein zu gehen. Nico Lockhard. Mein Ex-Freund, der nur mit mir zusammen war, weil meine Mutter eine erfolgreiche Unternehmerin ist. Ich habe ihn geliebt, aber er mich nicht. Ich war sein Werkzeug. „Nico", seufze ich genervt. „Süße, wie geht's dir?" Er sieht ziemlich gut aus, das muss ich ihm lassen – blonde Haare und braune Augen. Aber sein Charakter zerstört dieses Aussehen. Und seine Ausdrucksweise ebenso. „Lass mich in Ruhe, Nico", sage ich und weiche seinem Armen aus, die er nach mir ausstreckt. „Aber Abby, ich will doch nur mit dir reden. Ich weiß, ich habe mich total bescheuert verhalten, aber es tut mir leid, okay? Wir können nochmal von vorn beginnen. Ohne Lügen". Er lächelt mich an, aber der Schmerz sitzt zu tief, als das ich ihm das noch glauben würde. Er hat mich nicht nur ausgenutzt, er ist mir auch fremdgegangen. „Lass mich in Ruhe", wiederhole ich, diesmal schärfer. „Aber Abby...", setzt Nico erneut an. „Sie sagte, dass sie in Ruhe gelassen werden will. Deshalb würde ich dich bitten, dass auch zu tun", erwidert eine tiefe Stimme neben mir und ein Arm schiebt mich hinter einen breiten Rücken. Dieser Rücken gehört einem Mann, der so groß ist, dass ich nicht einmal über seine Schulter schauen kann. Er verdeckt mit seinem Körper Nicos Blicke, die mich sonst treffen würden. „Sie ist meine Freundin. Also lass mich gefälligst zu ihr!" Nico will sich an ihm vorbei drängen, aber er ist nicht einmal ansatzweise so kräftig wie der junge Mann, der vor mir steht. „Verschwinde. Sie hat dich bereits darum gebeten. Sei einmal ein Gentleman und tu, was man dir sagt", erwidert mein Retter kühl. Nico zieht knurrend ab. Der Mann dreht sich zu mir um. „Tut mir leid, dass Sie mir helfen mussten. Ich habe Ihnen bestimmt den Abend zerstört", sage ich entschuldigend und sehe schüchtern hinauf in sein kantiges Gesicht. „Schon gut, Liebes. Bekomme ich denn eine Belohnung?" fragt er und lächelt schelmisch. „Heißt das, Sie haben mir nur geholfen, weil Sie sich eine Belohnung versprochen haben?" frage ich neckend. „Nein, natürlich nicht. Eine Frau sollte nicht so behandelt werden, wie dieser junge Mann es gerade getan hat. Ich nehme mal an, ein Ex-Freund?" fragt er und sieht in die Richtung, in die Nico verschwunden ist. Ich seufze. „So ist es. Aber kaum anders zu erwarten, oder? So wie er sich verhalten hat". Der Mann mustert mich. „Ich habe noch nicht einmal vorgestellt. Entschuldige meine Unhöflichkeit. Mein Name ist Lucas Montgommery. Ich schätze, du hast schon von meiner Familie gehört?" Er lächelt mich an. Es stimmt, er ist ein Montgommery durch und durch. Das schokoladenbraune, verwuschelte Haar, die markanten Gesichtszüge und die dunkelblauen Augen zeichnen ihn eigentlich unmissverständlich als Sohn des reichen Unternehmers aus. Die Montgommerys führen ein Mode-Imperium. Und mir steht ihr mittlerer Sohn gegenüber. „Kenne ich nicht", sage ich aus einer Laune heraus und drehe mich zum Geländer. Lucas beugt sich nah zu mir heran, so nah, dass ich seinen Atem auf meiner Wange spüren kann. Mit sanften Fingern streicht er über die nackte Haut meines Rückens, der von meinem Kleid frei gelassen wird. „Du trägst ein Kleid von Montgommery, Süße. Du musst uns also kennen – oder hast du eine Stylistin dafür?" raunt er und sein würziger Duft nach Kiefernnadeln umhüllt mich. „Aber egal", fügt Lucas hinzu, „Wir suchen ein Model. Kennst du jemanden?" Er spielt also auf meine Schwester an. Lucas weiß also Bescheid über mich. "Ich werde sie fragen", sage ich nur, in einem deutlich unterkühlten Tonfall. "Von wem sprichst du, Liebes?" fragt er, ganz offensichtlich verwirrt. "Oder ist das ein Spiel? Willst du mich necken?" Lucas mustert mich kurz abschätzend und legt den Kopf leicht schief. "Ich spreche von meiner Schwester", sage ich irritiert. Ein leises, tiefes Lachen kommt ihm über die Lippen. "Ich meinte dich, Schätzchen. Wieso sollte ich deine Schwester wollen, wenn die Schönheit der Familie bereits vor mir steht?" Eine leichte Röte überzieht meine Wangen, als ich unter meinen Wimpern zu ihm aufschaue. "Ich bin nicht die Schönheit der Familie", entgegne ich, "und ich werde nicht euer Model". Ich würde zugegebenermaßen zwar gern einmal modeln, aber damit würde ich a) meiner Schwester am Ende Kunden wegschnappen (eigentlich eher unwahrscheinlich) und b) steht das Montgommery-Unternehmen in Konkurrenz zu dem meiner Mutter. Es kommt also keinesfalls dazu, dass ich Model werde und schon gar nicht bei dem Unternehmen! "Was möchtest du dafür, dass du unser Model wirst? Zugang zu höheren, gesellschaftlichen Schichten? Zu meinen Geschwistern? Meinen Eltern?" Lucas ergreift meine Hände und sieht mich mit vor Eifer funkelnden Augen an. Ich brauche und will das alles nicht. Veranstaltungen wie diese mag ich nicht besonders...auch, wenn es verlockend klingt, Lucas an meiner Seite zu haben. "Ich brauche deinen Reichtum nicht. Er hat mit Sicherheit Vorzüge, niemals Sorgen um Geld und alles, was das Herz begehrt, aber ich habe bereits alles", erkläre ich ehrlich. "Wenn du all das nicht willst, was willst du dann?" Er hält meine Hände weiter fest und mir wird langsam warm. Ich schüttle den Kopf. "Ich weiß es nicht". Lucas lässt eine Hand los und klemmt mir eine Haarsträhne hinters Ohr. "Eine einzige Möglichkeit habe ich noch". Er kommt mir ganz nah, so nah, dass sein Atem mein Ohr kitzelt. "Ich kann dir nur wundervolle Nächte und schöne Tage versprechen". Mir wird heiß vor Scham darüber, dass sich ein unverkennbares Ziehen in meiner Bauchgegend ausbreitet. "Da bist du ja endlich!" Ash taucht aus dem Nichts neben mir auf und funkelt den Mittleren der Montgommery-Familie aus ihren grünen Augen giftig an. Lucas haucht einen Kuss auf meinen Haldrücken, schiebt mir eine silberne Visitenkarte zwischen die Finger und raunt: "Wenn du dich traust". Er ist weg, verschwunden in der Menschenmenge, bevor ich noch etwas sagen kann. "Was wollte der denn von dir, Schwesterherz?" fragt Ash und blickt ihm nach. "Er hat nur geflirtet. Er weiß nicht, wer ich bin". Ich glaube, Schmetterlinge im Bauch zu haben. Aber dafür kenne ich ihn doch gar nicht richtig...oder?

Million PrinceWo Geschichten leben. Entdecke jetzt