Abby
Der Aufzug ruckelt und ich stolpere. Gerade, als ich gegen die Türen knallen müsste, öffnen sich diese. Kräftige Arme bremsen meine Fall, und im Hintergrund höre ich Kichern. Ich blicke auf ein weißes, faltenloses Hemd. Ich schnappe nach Luft. "Es tut mir leid!" stoße ich hervor und lasse mich durch die Hände aufrichten. "Schon gut, Miss. Der Fahrstuhl ruckelt manchmal etwas". Die Stimme ist dunkel und so weich wie Seide. Wieder ertönt Kichern. Die Hände verschwinden von meinen Schultern und ich taste mit gesenktem Blick nach der Halterung. Es sind drei Mitarbeiterinnen mit im Aufzug, die sich dem Mann sofort an den Hals werfen, als seine Aufmerksamkeit von mir weicht. "Sie stehen heute aber wieder sehr stattlich aus, Mr. Montgommery!" jauchzt eine der Damen. Ich reiße den Kopf hoch und starre den Mann an. Er lächelt die drei Garzellen an. Seine dunkelblauen Augen strahlen. Das ist also Lucas' Bruder, Reed Montgommery? Der Anzug sitzt perfekt und keine einzige Falte ist auf dem Hemd zu sehen, nicht einmal da, wo ich mich abgestürzt habe. Er hat einen leichten Bartschatten und fährt sich nun mit der großen Hand über das markante Kinn. An ihm ist, wie auch bei Lucas, alles hart und kantig. Es ist durchaus nachvollziehbar, warum ihm diese Garzellen nach sabbern, aber mein Fall wäre er nicht. Wenn ich diesen Job wirklich bekommen sollte, wird es wohl nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich ihm begegnet bin. Und auch Elizabeth werde ich dann öfter sehen. Ob sie wirklich so sanft ist, wie alle Welt behauptet? Ich habe mich mit dem Rücken zu dem Geschäftsmann und den flirtenden Damen gedreht und versuche das Gespräch möglichst auszublenden. Ich verkrampfe die Finger ineinander. Im Moment fühle ich mich wie eine dreckige, kleine Kakerlake. Der Fahrstuhl stoppt und es ist das Klappern von Absätzen zu hören. Sie sind weg. Na, endlich! Ich atme hörbar aus. Aber ich habe mich wohl zu früh gefreut, denn das Mistding von Aufzug macht einen seltsamen Laut und stoppt erneut - zwischen der fünften und sechsten Etage. Mein Herz beginnt sofort schneller zu schlagen. "Ich werde mit dem Service-Techniker reden müssen", knurrt Reed. Ich halte den Blick gesenkt. "Sind Sie in Ordnung, Miss? Keine Klaustrophobie oder ähnliches?" Er nähert sich mir langsam. Ich schüttle den Kopf. "Nein, zum Glück nicht". Ich kann ihn neben mir spüren, obwohl sich unsere Körper nicht berühren. Vermutlich ist es einfach seine ganze Präsenz, die mich so denken lässt. Es ist still in dem Aufzug. Aber das Klingeln meines Smartphones durchbricht die Stille. Da ist der Anruf meiner Schwester. Ich atme einmal tief durch und hebe ab. "Abby! Wo bist du? Warum bist du nicht nach Hause gekommen? Cole will uns nicht sagen, was los ist!" Sie klingt hysterisch. Vermutlich deshalb, weil sie sich meinen Standort ansieht. "Du siehst meinen Standort doch ohnehin, oder?" frage ich ruhig. Kurz sagt sie nichts mehr. Dann höre ich, wie meine Schwester Luft holt. "Was machst du im Montgommery-Tower?" Ich grinse kurz. "Ich tue das, was ihr immer wolltet. Ich suche mir einen Job". Ashley gibt einen erstickten Laut von sich. "Aber warum ausgerechnet Montgommery? Du weißt, wie wir dazu stehen!" kreischt sie aufgebracht. Je lauter meine Schwester wird, desto mehr zerbröselt das Image einer starken, aber ruhigen Frau. "Ich muss auflegen", sage ich, als sie kurz Luft holt. Und das tue ich dann auch. Ich habe gewusst, was es auslösen würde, wenn ich zu diesem Termin gehe. Aber es fühlt sich an, als würde mein Herz in Stücke zerrissen werden. Ich seufze schwer. "Sind Sie in Ordnung, Miss?" Reed Montgommery mustert mich besorgt. "Kann ich so zu einem Bewerbungsgespräch gehen?" Ich kann die Antwort in seinem Blick lesen. "Als was bewerben Sie sich denn?" fragt er und tritt einen Schritt zurück. "Model", entgegne ich. "Darf ich Ihnen ein paar Ratschläge erteilen?" fragt er höflich. Ich mustere Reed argwöhnisch. "Als erstes", setzt er ungefragt an, "stellen Sie sich aufrecht hin. Wenn Sie aussehen wie ein ängstliches Häschen, bringen Sie das auch so rüber". Er legt mir die Hand auf den unteren Rücken und bringt mich in eine aufrechte Haltung. "Als nächstes, sehen Sie ihr Gegenüber an. Ich bin mir sicher, allein mit Ihrem Blick liegt Ihnen die Männerwelt zu Füßen". Er hebt mein Kinn an und ich sehe dem Montgommery in die Augen. Einige Sekunden erstarrt er. "Was ist los? Stimmt etwas nicht?" Ich mustere ihn besorgt. "Sie haben faszinierende Augen, Miss", entgegnet Reed Montgommery. Leichte Röte überzieht meine Wangen. "Wo bewerben Sie sich denn? Welche Abteilung, meine ich". Ich kann schlecht sagen als Aushängeschild. "Äh...", mache ich. Reed Montgommery nimmt mir den Zettel vom Empfangsschalter aus der Hand und liest ihn. "Sie sind also unser Model", sagt er schlicht. Reeds Stimme ist kälter geworden. Bevor ich verstehen kann weshalb, ist er bereits so nah an mich heran getreten, dass ich die Halterungsstange unangenehm im Rücken fühle. "Wen von uns wollten Sie sich angeln? Lizzy? Lucas? Oder sind Sie hinter mir her?" Ich schnappe nach Luft und öffne entsetzt die Lippen. "Ich wollte mir niemanden angeln!" Mir muss alle Farbe aus dem Gesicht weichen. "Das wollen sie alle, Schätzchen. Sie können einen Kuss haben. Von mir aus auch eine Nacht. Aber dann werden Sie verschwinden". Seine dunkelblauen Augen sind eiskalt. Ich beginne zu zittern. "Ich wollte wirklich nur einen Job. Aber das werden Sie nicht verstehen. Sie sind perfekt. Sie stehen in niemands Schatten. Sie sind derjenige, der Schatten wirft", erwidere ich leise. Er tritt zurück. "Sie sind angenommen", sagt Reed. Ich starre zu ihm auf. "Was?" Er grinst. "Sie sind eingestellt. Ich hätte das Bewerbungsgespräch führen sollen. Sie müssen sich nicht mehr fürchten. Ich zwinge eine Frau nicht dazu, mit mir das Bett zu teilen". Mir ist ein bisschen schlecht. Das ergibt keinen Sinn. "So etwas sollten Sie mir nicht sagen, wenn meine Nerven am Zerreißen sind", murmle ich und kralle mich an der Halterungsstange fest. Der Aufzug setzt sich wieder in Bewegung und ich kann aufatmen - jedenfalls ein wenig. Er tritt wieder an mich heran. "Ich denke, wir sind über das Sie hinaus. Erlauben Sie mir, das Du zu benutzen?" Ich schlucke kurz, dann strecke ich Reed die Hand hin. "Ich bin Abigail. Abby ist in Ordnung". Er ergreift die Hand und schüttelt sie mit einem kräftigen Händedruck, typisch für einen unbeugsamen Millionär. Es ist seltsam. Weder Reed, Lucas oder Elizabeth wirken hochnäsig oder eingebildet. Sie sind unterschiedlich, aber auf ihre Weise überstrahlen sie die anderen. Elizabeth, die Jüngste, gerade einmal 21, wirkt naiv, aber klug. Reed, der Älteste, ist ein Geschäftsmann durch und durch, der seine Partner und Kunden in die Richtung lenkt, die er vorgesehen hat - er ist der kühl berechnende Typ. Nicht bösartig, aber ein Lamm ebenso wenig. Und dann Lucas: Er ist ausgeglichen, intelligent, ein echter Frauenversteher. Sie sind alle drei auf eine Art anziehend. Verschieden charakterisiert - Elizabeth eine sinnliche Schönheit, Reed der berauschende Liebhaber - zumindest für eine einzige Nacht, mehr lässt er nicht zu - und Lucas, der zwischen einem noblen Ritter und einem temperamentvollen Geliebten hin und her zu schwanken scheint. "Nenn mich Reed. Darf ich fragen, wo du herkommst? Du klingst, als würdest du aus einer reichen Familie kommen. Die Sache mit dem Schatten - bist du deshalb hier?" Ich setze gerade zu einer Antwort an, als sich die Türen des Aufzugs öffnen und wir an unserem Ziel ankommen. "Wir besprechen das in meinem Büro, Abby". Er führt mich zu einem Großraum-Büro, welches verglast ist. "Bitte setz dich". Ich tue wie mir geheißen und sehe dabei zu, wie Reed sich in dem großen Chefsessel nieder lässt. Er beugt sich vor und stützt die in einander gefalteten Hände auf dem Mahagoni-Tisch ab. Alles an Reed schreit geradezu Geschäftsmann - die Art, wie er geht, der perfekt sitzende Anzug, wie er spricht, dass er keinen Widerspruch erwarten muss. Mich schüchtert es etwas ein. Er bedeutet mir mit einer Handbewegung, fortzufahren. "Ich möchte nicht, dass mein Name auf den Plakaten erscheint", sage ich ruhig. Reed zieht die Augenbrauen zusammen. "Weshalb?" Ich weiche seinem Blick aus. "Was denkst du über die Lockwoods?" frage ich. "Was soll das hier werden, Abby? Ein bisschen Klatsch und Tratsch austauschen?" Reed lehnt sich zurück und taxiert mich mit den blauen Augen. "Antworte mir einfach. Bitte". Er atmet aus. "Ich nehme an, du willst genaueres über Ash erfahren?" Ich nicke. Reed überlegt kurz, ehe er antwortet. "Ich kenne ihn nicht wirklich, aber ich bin ihm bereits bei ein paar Gelegenheiten begegnet. Ein freundlicher, junger Mann, aber ich würde ihn nicht allzu nah an meine Schwester heranlassen". Ich lächle in mich hinein. "Sieh dir mal die neue Freundin an", sage ich und deute auf den Laptop. Er runzelt zwar die Stirn, beginnt aber wortlos auf dem Laptop herum zu tippen. "Welche von beiden?" Reed dreht mir den Laptop zu und ich sehe mir die Bilder an. Auf dem einen trägt er mich, auf dem anderen hat er einem anderen Mädchen den Arm um die Schultern gelegt. "Die hier", ich deute auf mich, "bin ich". Reed mustert das Bild. "Bist du denn eine Abgelegte von Cole Ravenscar?" fragt er schließlich. Ich muss an mich halten, um nicht los zu prusten. "Nein. Was weißt du über die Ravenscars?" hake ich weiter nach. Die Falten auf seiner Stirn werden tiefer. "Abby, das ist ein heikles Thema. Alice Ravenscar liegt in Konkurrenz mit uns und entsprechend verabscheut uns auch Ashley. Cole ist da anders. Er ist aufgeschlossener und die jüngste Schwester ist ein Geheimnis. Niemand weiß, wer sie wirklich ist. Sie ist im Alter von Liz, aber weder über ihr Aussehen noch ihre Freunde ist etwas bekannt". Reed reibt sich über das Kinn. "Warum willst du das alles wissen?" Er legt den Kopf leicht schief. Ich atme tief durch, taste nach meinem Geldbeutel und sehe dem Montgommery in die Augen. "Mein voller Name lautet Abigail Catherine Ravenscar. Ich bin dieses Geheimnis". Ihm klappt der Mund auf. "Okay...das kam unerwartet. Und Ash ist ein ...?" Er lässt die letzten Worte unausgesprochen. Ich schüttle hastig den Kopf. "Nur ein Kumpel. Der nebenbei vorhin deine Schwester geküsst hat". Reed springt auf. Sein ruhiger, gefasster Gesichtsausdruck ist verschwunden. Er sieht wütend aus. Ich hätte das wohl nicht erzählen sollen, aber besser so als durch Klatsch-Zeitschriften.
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Million Prince
Chick-Lit"Ich will dich. Aber nicht wegen eines heißen Körpers oder einen lieblichen Stimme. Ich will dich, weil du mein Gegenstück bist. Du machst mich zu jemand besseren". Abby ist die Tochter einer erfolgreichen Unternehmerin. Deshalb lastet ein großer D...