Kapitel 1: Der Anfang oder das Ende?
Adelaide POV
Sommer 1465
Seit nun mehr als zwei Stunden blickte ich auf die Ländereien des französischen Palastes. Es war bereits zu dunkel, um aus dem Fenster zu schauen, daher stand ich auf dem Balkon, der an den Flur vor meinem Gemach angrenzte. Es war ein lauwarmer Sommerabend und ein leichter Wind blies mir die Haare ins Gesicht. Normalerweise hätte ich mich an dem Anblick, der sich mir bot, erfreut; Der Mond stand hell am Himmel und erleuchtete die blühende Natur unter sich. Die Sterne funkelten wie Diamanten. Das Mondlicht schimmerte auf der Wasseroberfläche eines kleinen Teiches und in der Ferne sah ich die dunkeln Schatten eines Waldes.
An diesem Abend jedoch, wog mein Herz schwer mit Unmut. Ich war erst seit kurzem in Frankreich, am selben Abend war ich angekommen, wollte aber am liebsten sogleich wieder abreisen. Mein Vater hatte mich aus dem Kloster geholt und noch bevor ich zuhause in Schottland alle begrüßen konnte, hatte er mich nach Frankreich geschickt, um den Thronfolger zu heiraten. Für seine Herrschaft war es lukrativ, für mich einfach furchtbar. Und obwohl es mich zutiefst sträubte, gehorchte ich meinem Vater. Das einzige, was ich von ihm verlangte, war, dass meine Freundinnen, Anne und Tabea, mich als meine Hofdamen begleiteten und dass meine Zofe ebenfalls mitreiste.
Meine Zofe, Emma, war damit beschäftigt meine Kleider im Ankleidezimmer an Kleiderstangen aufzuhängen und auch meine anderen Habseligkeiten zu verstauen. Meine Hofdamen waren bereits in ihren Gemächern seelenruhig am schlafen. Wie ich wünschte dies ebenfalls zu können. Mich plagte jedoch der Gedanke an den folgenden Tag. Es war der Tag an dem ich meinen zukünftigen Ehemann kennenlernen sollte. Vor ungefähr einem Jahr hatte ich ihn bereits einmal gesehen, als ich meinen Bruder an den französischen Hof begleitete, jedoch nicht mit ihm gesprochen. Er war ein gutaussehender Mann, der dies wusste und genoss. Er hatte sich immer mit mehreren Frauen umgeben, während ein süffisantes Grinsen auf seinen Lippen prangte. Er war ein großer Mann mit aufrechter Haltung und breiten Schultern. Sein asch-blondes Haar war lockig und umspielte seinen Kiefer. Seine Wagen, Kiefer und Kinn waren mit einem leichten Bart bedeckt, der ihm etwas sehr Männliches gab, im Gegensatz zu seinen Haaren. Seine Augen waren von unglaublichem Blau und ich erinnerte mich, dass er mich für eine kurze Weile intensiv musterte, bevor er sich den Frauen in seiner Nähe wieder zuwand. Mein Aussehen entsprach wohl nicht seinem Geschmack. Damals war es mir egal gewesen, da er auf mich wie ein arroganter, überheblicher und selbstverliebter Mann wirkte. Und gerade dieser würde mein Ehemann werden.
Mit einem Seufzen wand ich mich von den Ländereien ab und verließ den Balkon. Ich brauchte bloß wenige Schritte, um in mein Gemach zu kommen. Es war ein überraschend großes Zimmer – größer als meines daheim. Zwei große Erkerfenster zierten die rechte Wand, eine der Fensterbänke war mit Kissen ausgelegt und ein kleiner Tisch und bequem aussehende Sessel standen davor. Auf dem Tisch stand ein bunter Blumenstrauß in einer kristallenen Vase. Es war eine wunderschöne, kleine Sitzecke, in der ich mit Anne und Tabea Tee trinken und über dies und jedes reden konnte. Die Eingangstüre befand sich ganz links in der Wand, rechts daneben stand ein großes, prächtig gefülltes Bücherregal. Daneben war eine große Feuerstelle, die das Zimmer an kalten Tagen aufwärmen würde. Direkt gegenüber war das Bett. Es war ein Himmelbett, welches auf einer Empore stand. Auf beiden Seiten neben dem Kopfteil stand jeweils ein kleiner Nachttisch. An der linken Wand stand ein großer, dunkler Schreibtisch mit passendem Stuhl. Ein Kerzenständer mit drei ganz neuen, weißen Kerzen, die rot-golden vor sich hin flackerten, stand auf dem Tisch. Links und rechts neben dem Tisch waren zwei Türen. Eine führte in ein Ankleidezimmer, welches mit mehreren Kleiderstangen, einem großen Spiegel und einer Kommode ausgestattet war; die andere in ein Badezimmer, in dem eine große Wanne in der Mitte des Raumes stand. An der Wand waren mehrere Harken für Handtücher. Die Räume, die mir zur Verfügung gestellt waren, waren groß und wunderschön. Ich hatte es besser, als es zuhause der Fall war.
Die Tür des Ankleidezimmers öffnete sich und Emma trat in das Gemach. In der Hand hielt sie ein weißes Kleid, welches ich als mein Nachthemd erkannte.
»Bist du jetzt bereit schlafen zugehen?«, fragte sie mich. Sie wusste um meinen emotionalen Zustand.
»Ich denke schon«, erwiderte ich. »Schließlich kann ich, selbst wenn ich die ganze Nacht auf dem Balkon stehe, den nächsten Tag nicht verhindern. Er wird anbrechen, ob es mein Wille ist, oder nicht.« Sie nickte.
»Du solltest nicht so negativ in die Nacht oder auch in den Tag gehen. Du kennst Francis nicht und weißt nicht, wie er ist.« Ich war ihr dankbar, dass sie versuchte meine Stimmung zu heben, jedoch bewirkten ihre Worte rein gar nichts.
»Es geht nicht darum, wie Francis ist. Es geht um meine Gefühle, meinen Willen und... Edward.« Ich schluckte, als ich seinen Namen aussprach. Es schmerzte immer noch.
»Was damals passierte, war furchtbar. Aber du kannst nicht in der Vergangenheit leben, Adelaide. Wie lange ist es her?«, fragte sie, während ich mich meines Kleides entledigte.
»Ein Jahr und sechs Monate«, seufzte ich.
»Das ist eine lange Zeit.«
»Nicht lange genug, um über den Verlust einer geliebten Person hinweg zu kommen.« Als ich mein Nachthemd anzog, räumte Emma mein Kleid weg.
»Ich weiß, dass du ihn geliebt hast, aber dennoch. Vielleicht können Francis und Frankreich dich auch glücklich machen. Selbst wenn es nicht dein Wille ist ihn zu heiraten«, hörte ich sie aus dem Ankleidezimmer sagen.
»Aber vielleicht will ich das gar nicht?«, trotzte ich. Ich wusste, dass es kindisch war, konnte mich aber nicht stoppen.
»Du bist so stur!« Sie kam zurück in das Gemach und reichte mir eine Haarbürste.
»Ich wäre überhaupt nicht in dieser Situation, wenn die Engländer damals nicht angegriffen hätten. Oder wenn wir kompetente Wachen im Palast gehabt hätten!«, sagte ich wütend und schmiss die Bürste auf den Tisch. Emma stemmte ihre Hände in die Hüften und sah mich streng an. Ich hasste diesen Ausdruck in ihrem Gesicht.
»Du weißt genau, dass die Wachen des schottischen Palastes kompetent sind. Die Engländer waren in der Mehrzahl, Adelaide. Niemand außer sie haben Schuld an den Verlusten, die wir alle an diesem Tag zu durchleiden hatten! Du solltest dich an deinem Überleben erfreuen und auch daran, dass du in einem wunderschönen Land, in einem wunderschönen Palast lebst, wo du einen gutaussehenden, jungen, gebildeten Prinzen, der bald König sein wird, heiratest.« Beschämt sah ich auf den Boden.
»Ja, du hast recht. Edward fehlt mir einfach so unheimlich und die Schuld bei den Engländern zu suchen ist äußerst unbefriedigend. Werden sie denn jemals bestraft werden? Sie nahmen mir meinen Verlobten und meine Mutter. Wo ist ihre gerechte Bestrafung? Wo unsere Genugtuung?« Der Ausdruck in ihrem Gesicht wurde sanfter und sie setze sich an das Fußende meines Bettes. Sie klopfte auf die Matratze und deutete mir damit, mich neben sie zu setzten, was ich tat. Sanft legte sie mir einen Arm um die Schultern.
»Ich weiß, dass es schwer ist zu verstehen, wie Menschen etwas so Grausames tun können, ohne bestraft zu werden. Aber glaube mir, Gott wird sie bestrafen. Bis dies geschieht wirst du, als gute Christin, um dein eigenes Wohl und natürlich um das deiner Liebsten beten. Es wird dir nämlich nichts bringen, Groll zu hegen und Unschuldigen die Schuld zu geben. Der Angriff kam aus dem nichts, genauso der Schmerz und die Trauer. Du wirst es überwinden und auch wieder Glück und Liebe spüren.« Tränen liefen mir über die Wangen, jedoch waren ihre Worte ein Trost für mein geschändetes Herz. Ich wischte mir die Tropfen von den Wangen und nickte.
»Danke«, hauchte ich. Ich schniefte leicht, als sie aufstand.
»Jetzt legst du dich schlafen und gehst voller Elan und Freude in den neuen Tag. Unvoreingenommen wirst du deinen Verlobten kennenlernen und ihn womöglich sogar leiden können, wenn auch nicht lieben.« Ich kroch auf das Bett und unter die Decke, während sie die Kerzen im Zimmer ausblies.
»Gute Nacht, Prinzessin Adelaide.« Schon kurz nach ihren Worten fiel ich in einen traumlosen und erschöpften Schlaf, ohne noch einen weiteren quälenden Gedanken an den darauffolgenden Tag oder auch an vergangene Tage zu verschwenden.
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Der unbekannte Prinz
Historical FictionEigentlich hätte ich mich nicht beschweren können. Ich war verlobt und in Frankreich in einem großen, wunderschönen Schloss, in dem ich einmal Königin sein würde. Und dennoch wog mein Herz schwer in meiner Brust. Ich wusste, dass es meine Pflicht wa...