Kapitel 8: Schutz
Adelaide POV
Ich saß auf meinem Bett, eine Feder in meiner Hand, ein in Leder gebundenes Buch auf meinem Schoß und ein Gläschen Tinte neben mir. Es war mein Tagebuch, in welches ich die Erlebnisse der vergangenen Tage schrieb.
»Adelaide, willst du etwa den ganzen Tag im Bett bleiben?«, fragte mich Emma. Sie war die ganze Nacht und auch den folgenden Morgen bei mir geblieben.
»Vorzugsweise ja. Aber ich weiß, dass ich das nicht kann«, seufzte ich.
»Was gestern Abend passiert ist war furchtbar, aber es wird sich nicht ungeschehen machen, wenn du dich so zurückziehst.«
»Was soll ich denn tun? All die Zeit, habe ich mich hier sicher gefühlt. Diese Sicherheit wurde gestern Abend zerstört. Ich fürchte mich, Emma!« Mitfühlend sah sie mich an.
»Dein Zimmer schützt dich nicht, Adelaide. Aber Wachen können dich schützen. Und wer hat die Kontrolle über diese?«
»Der König. Also findest du ich sollte ihn nach Schutz fragen?« Sie nickte.
»Das wäre etwas, was du gegen deine Angst tun könntest.« Diesmal war es an mir, zu nicken. Sie hatte Recht. In meinem Bett zu sitzen und über meine Angst zu schreiben brachte mir rein gar nichts. Ich musste handeln. Oder zumindest andere zum Handeln bringen. Ich legte mein Tagebuch aus Seite und stand auf.
Innerhalb kürzester Zeit hatte Emma mir beim Anziehen geholfen und ich war auf dem Weg zum Thronsaal, wo König Phillip sich befand. Zwei Wachen öffneten mir die große Flügeltür. Ein Bote, der neben der Tür stand, verkündete meinen Namen und ich knickste vor dem König.
»Prinzessin Adelaide. Es ist immer wieder eine Freude Euch zu sehen«, grüßte er mich freundlich. »Ich fürchte nur, dass es heute keinen freudigen Anlass hat.«
»Nein, das hat es allerdings nicht«, gab ich zurück. »Ich nehme an, dass Ihr schon gehört habt, was gestern Abend passiert ist?« Er nickte.
»Ja, das habe ich. Und es tut mir ausgesprochen leid. Ich versichere Euch, dass das ein einmaliges Ereignis war.«
»Und wie wollt Ihr das sicherstellen?«, fragte ich.
»Was meint Ihr?«
»Wie wollt Ihr sicherstellen, dass dieser Mann nicht wiederkommt und es erneut versucht? Ich weiß nicht, wie er aussieht, also wird er auch nicht gefunden. Wenn er wiederkommen sollte und es schafft, mich... Schafft, was er versuchte, könnte das die Allianz zwischen Schottland und Frankreich kosten.« Der König nickte erneut.
»Glaubt mir, das weiß ich. Mir wurde berichtet, dass Ihr Euch sehr gewehrt habt. Zumindest wird es vermutet, da der Mann sonst wohl nicht geflüchtet wäre. Daher denke ich kaum, dass er es erneut versuchen wird«, erwiderte er.
»Und dennoch könnt Ihr das nicht garantieren. Und dennoch fühle ich mich unsicher. Ich bitte Euch, eine Wache vor meiner Tür zu platzieren. Bloß für die Nächte.«
»Adelaide, meint Ihr nicht, dass Ihr überreagiert? Vielleicht wollte dieser Mann Euch auch bloß ängstigen? Hätte er Euch die Jungfräulichkeit nehmen wollen, dann hätte Euer Schreien ihn sicherlich nicht abgewehrt.« Mir viel die Kinnlade runter. Überreaktion? An seinem Blick konnte ich sehen, dass es mir nichts brachte, mit ihm zu reden. Er wollte seine Wachen nicht für mich hergeben. Ich richtete mich etwas mehr auf und nickte. Ich tat so, als akzeptierte ich seine Entscheidung, mich ohne Schutz zu lassen.
»Vielleicht habt Ihr Recht«, sagte ich. Ich machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Thronsaal. Der König wollte mir nicht helfen, also musste ich mir jemand anderes suchen, der vielleicht bereit dazu wäre. Ich war mir nicht sicher, ob die Person, die ich im Kopf hatte, mir auch wirklich helfen konnte oder wollte, aber einen Versuch war es wohl wert. Meine Suche führte mich in den Stall.
»Charles.« Er drehte sich überrascht um und sah mich an.
»Adelaide. Geht es dir gut? Ich habe gehört, was gestern Abend passiert ist«, fragte er und zauberte mir mit seiner Sorge ein Lächeln auf die Lippen.
»Generell geht es mir gut. Ich fühle mich nur etwas unsicher. Dein Vater möchte mir keine Wache zur Verfügung stellen. Deswegen bin ich hier«, fing ich an.
»Wie kann ich dir helfen?«
»Weißt du wo Francis ist?« Seine Mund klappte auf. Das hatte er definitiv nicht erwartet.
»Was?«
»Charles, ich fürchte, dass du mir dabei nicht helfen kannst. Francis aber womöglich schon. Weißt du wo er ist?«, fragte ich erneut. Er nickte.
»Im Ostflügel gibt es einen Turm. Ganz oben gibt es ein Zimmer, dort hält er sich meistens auf. Aber ich muss dich warnen!«
»Wovor?« Mir war klar, dass Francis mich nicht sehen wollte. Dennoch brauchte ich seine Hilfe und musste ihn aufsuchen.
»Das ist sein Handwerkszimmer. Er hat nicht gerne andere Leute dort oben.« Ich runzelte meine Stirn. Handwerkszimmer? Ich nickte kurz und dankte ihm, bevor ich mich auf den Weg machte. Wozu brauchte Francis ein Handwerkszimmer?
Außer Atem kam ich an der obersten Stufe an. Wer würde schon freiwillig jeden Tag diese Treppen erklimmen? Ich legte mir eine Hand auf die Brust und versuchte meinen Herzschlag und meine Atmung zu beruhigen. Nach einem letzten tiefen Atemzug klopfte ich an die hölzerne Tür. Es dauerte eine Weile bis sie geöffnet wurde. Den Anblick, der sich mir im nächsten Moment bot, hatte ich nicht erwartet; Francis war bloß in seinem Hemd, dass Männer normaler Weise unten drunter trugen, eine schwarze Hose und Reiterstiefel. Sein Haar war wild durcheinander und er schwitzte. Er sah mich überrascht an.
»Adelaide. Was machst du hier?«, fragte er mich. Es war das erste Mal, dass ich hörte, wie er meinen Namen aussprach.
»Kann ich kurz mit dir reden? Bitte. Es ist wichtig«, sagte ich und sah ihn ernst an. Er musterte mich genauestens, nickte aber letztendlich und ließ mich hinein. Diesen Anblick hatte ich noch weniger erwartet; Mitten im Zimmer stand ein kleines Segelboot. Zumindest würde es einmal ein Boot werden. Francis schloss die Tür. Er bot mir einen der zwei Stühle an, die an die Wand gedrückt waren. Ich setzte mich darauf und er sich mir gegenüber. Ich hielt meine Hände ineinander, starrte auf sie.
»Warum bist du hier?«, fragte er mich leise. Ich blickte auf und sah, dass er sich mir leicht zugewandt hatte.
»Hast du von letzter Nacht gehört?«, fragte ich. »Was passiert ist, als ich schlafen wollte?« Er runzelte seine Stirn und schüttelte seinen Kopf.
»Nein. Ich war die ganze Nacht hier oben und auch den ganzen Morgen über.«
»Ein Mann kam in mein Gemach. Er würgte mich, versuchte mir mein Nachthemd runterzureißen. Francis, dieser Mann versuchte mich zu vergewaltigen. Ich hatte Glück und konnte ihn abwehren. Als ich schrie, floh er«, erzählte ich. Eine Träne lief mir über die Wange und ich presste meine Lippen zusammen. Allein davon zu reden erfüllte mich mit Angst. Mit vor Schock aufgerissenen Augen sah er mich an.
»Jemand hat versucht dich zu vergewaltigen? Adelaide.« Er hauchte meinen Namen. Eine seiner Hände griff nach meinen. Sanft und verständnisvoll drückte er sie. Die Angst, die sich in meiner Brust ausgebreitet hatte, verschwand. Es verwunderte mich, wie anders Francis plötzlich war. Ich atmete tief durch und wischte die Träne weg. Ich schaffte es sogar, mir ein leichtes Lächeln für ihn abzuringen.
»Ich bin hier, weil ich dich um etwas bitten möchte«, sagte ich letztendlich. Er nickte und symbolisierte mir weiterzureden. »Ich bat deinen Vater eine Wache vor meiner Tür zu platzieren. Natürlich nur für die Nächte. Er lehnte ab. Francis, ich habe bemerkt, dass die Wachen ebenso auf dich hören, wie auf ihn. Würdest du...?« Er blickte auf seine Hand, die immer noch auf meiner lag.
»Ich kann mich dem Willen meines Vater nicht beugen, Adelaide.« Er blickte auf sah mich entschuldigend an.
»Oh.« Es war das einzige, was ich sagen konnte. Dieses Mal war ich es, die den Blick senkte.
»Aber« Ich hob meinen Blick wieder. Überrascht und hoffnungsvoll. Er wollte mir helfen. »Ich werde mit meinem Vater reden. Ich werde versuchen, ihn umzustimmen.« Ich runzelte meine Stirn.
»Er wirkte nicht so, als ließe er sich umstimmen«, sagte ich unsicher.
»Es wird auch nicht gerade einfach, aber meistens hört er auf mich. Er hat viel Zeit damit verbracht mich zu lehren – Wie man ein guter König ist und zwischen richtig und falsch, guten und schlechten Entscheidungen entscheidet. Mit den richtigen Worten kann ich ihn überzeugen, dass es lohnend für Frankreich ist, wenn wir dir Schutz geben.« Ein schiefes Grinsen zierte seine Lippen und ich konnte ein eigenes Lächeln nicht unterdrücken.
»Danke, Francis«, hauchte ich.
»Du hast nicht mit meiner Hilfe gerechnet, oder?«, fragte er. Ich nickte lachend.
»Wahrhaftig nicht«, erwiderte ich. Er stimmte in mein Lachen ein, wurde nach kurzer Zeit aber wieder ernst.
»Ich weiß, dass ich dich furchtbar behandelt habe und ich will, dass du weißt, dass es nicht an dir liegt. Eine arrangierte Ehe ist ganz einfach nicht das, was ich mir für mein Leben ersehnt habe. Das ist natürlich keine Entschuldigung dafür, dass ich dich verletzt habe. Ich war nicht ganz bei Verstand. Ich war wütend auf meinen Vater und habe es an dir ausgelassen. Das tut mir leid, Adelaide. Wenn du nicht allzu schlecht von mir denkst, würde ich gerne vorschlagen, dass wir mehr Zeit miteinander verbringen. Es wäre mir unlieb, wenn meine Ehefrau mich hasst, weil ich sie unfair und einfach nur grob behandelt habe. So ein Leben möchte ich nicht haben und so eins möchte ich dir nicht zumuten.« Er sah mir intensiv in die Augen. In seiner Stimme schwang eine solche Aufrichtigkeit mit, dass ich ihm nur verzeihen konnte. Ich verstand ihn. Eine arrangierte Ehe war auch nicht mein Traum gewesen. Meine freie Hand legte ich auf die Hand, die immer noch auf meiner ruhte.
»Ich fände es schön, wenn sich unser Verhältnis ändern würde«, sagte ich lächelnd. Er lächelte mich ebenfalls an.
»Danke. Das bedeutet mir viel. Viel mehr, als du es wohl vermutest.« Er drückte meine Hand.
»Mir auch.« So saßen wir dort. Unsere Hände haltend, schweigend. Einander bloß in die Augen blickend. Es war merkwürdig, wie vertraut es sich anfühlte ihm so nahe zu sein. Auch wie sehr er sich geändert hatte. Niemals hätte ich gedacht mich in seiner Nähe wohl zu fühlen. Und dennoch saß ich dort, seine Hand haltend, lächelnd und ihm in die Augen blickend.
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Der unbekannte Prinz
Historical FictionEigentlich hätte ich mich nicht beschweren können. Ich war verlobt und in Frankreich in einem großen, wunderschönen Schloss, in dem ich einmal Königin sein würde. Und dennoch wog mein Herz schwer in meiner Brust. Ich wusste, dass es meine Pflicht wa...