4. Kapitel

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Der Mond schien hell am dunklen Himmel und tauchte den Strand in ein silbernes Licht. Tigerblüte saß am Eingang des Lagers auf einem Felsen und blickte nachdenklich in die Dunkelheit der Nacht. Eigentlich sollte sich die junge Kriegerin bei ihrer Nachtwache auf die Sicherheit des Strandclans konzentrieren, ihre Gedanken jedoch schweiften immer wieder zu den Geschehnissen des Tages ab.

Als die Patroullie den verwundeten Kampfpfote ins Lager gebracht hatte, war Otterstern außer sich vor Entsetzen gewesen und hatte praktisch an seinem Sohn geklebt, sodass Muschelfleck und Donnerpfote ihre Arbeit nicht richtig hatten machen können. Erst, als Sandfunke dem Anführer des Strandclans mehrmals versichert hatte, dass es dem Schüler besser gehen würde, wenn Otterstern ihn in Ruhe ließ, hatte der braune Kater sich zurückgezogen.

Seit dem lag Kampfpfote im Heilerbau und wurde ununterbrochen versorgt. Muschelfleck hatte fast seinen ganzen Kräutervorrat für den Schüler geopfert, sodass er mitten in der Nacht losgezogen war, um neue zu holen.

Tigerblüte sah vor ihrem inneren Auge immer wieder Otterstern vor sich. Der Kater hatte vor Angst, Entsetzen und Sorge kaum noch klar denken können. Wie ein kleines Häufchen Elend war er dagesessen und hatte ins Leere gestarrt. So musste Tigerblüte ausgesehen haben, als sie kurz nach ihrer Schülerzeremonie Tropfenglanz verloren hatte.

Insgeheim ertappte sich die getigerte Kätzin dabei, wie sie sich wünschte, der Mörder ihrer Mutter würde seinen Sohn verlieren, damit er den gleichen Schmerz empfinden konnte, wie Tigerblüte es damals getan hatte. Damit er endlich verstand, wie weh der Verlust eines Familienmitglieds tat.

Geschockt schüttelte sich die Kriegerin, um diese schrecklichen Gedanken abzuschütteln. Kampfpfote hat mit der ganzen Sache nichts zu tun! Er sollte nicht die Schuld seines Vaters tragen müssen! Er hat es nicht verdient, zu sterben! Sondern einzig und allein Otterstern! Ein kaltes Lächeln umspielte ihre Lippen. Ja, Otterstern hat den Tod verdient. Und eines Tages werde ich dafür sorgen, dass er ihn bekommt. Irgendwann werde ich ihn töten. Und ich werde geduldig warten, bis die Zeit gekommen ist.

In diesem Moment hörte Tigerblüte aus dem Inneren der Höhle ein lautes Jaulen und zuckte überrascht zusammen. Was ist da los? Hat sich ein Fuchs ins Lager geschlichen? Nein, das kann nicht sein! Der einzige Weg dort hin wird von mir versperrt! Wenn sich etwas an mir vorbeigeschlichen hätte, hätte ich es bestimmt gemerkt! Die Kriegerin sprang auf und hechtete so schnell sie konnte den Gang entlang, tiefer ins Innere der Höhle. Ein Gedanke schoss ihr durch den Kopf. Es gab eine weitere Möglichkeit, die das Gejaule hervorgerufen haben könnte. Etwas, das viel warscheinlicher war, als ein Fuchs. Kampfpfote!

Als die getigerte Kätzin mit gesträubtem Pelz in die Haupthöhle platzte, war der ganze Clan bereits hellwach. Katzen kamen verwirrt aus ihren Bauen und liefen kreuz und quer, auf der Suche nach der Katze, die geschrien hatte. "Was ist los?", rief Lachspfote, während sie planlos den Kopf in alle Richtungen drehte. "Werden wir angegriffen?"

In diesem Moment schob sich auch Otterstern mit wutverzerrtem Gesicht aus seinem Bau und sprang mit ein paar wenigen Sätzen auf den Versammlungsfelsen. "RUHE!", brüllte der braune Kater so laut, dass sofort alle erschrocken zusammenfuhren und mit einem mal schwiegen. Der Anführer des Strandclans kniff verärgert die gelben Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. "Was soll der Lärm?", verlangte er mit peitschendem Schweif zu wissen.

Felsenherz trat vor, sein graues Fell war noch vom Schlaf zerzaust. Er öffnete gerade das Maul, um zu antworten, als das Jaulen wieder durch die Höhle hallte. Diesmal klar und deutlich: "Kampfpfote, nein! Ich habe dir doch versprochen, dich gesund zu pflegen! Bitte, verlass uns nicht! Wir brauchen dich!" Der Ruf kam zweifellos aus dem Heilerbau. Aus dem Mund von Donnerpfote, Tigerblüte's Bruder.

Alle starrten wie gebannt zum Eingang des Baus, als der rot getigerte Heilerschüler herausgestolpert kam und sich blinzelnd vor dem ganzen Clan wiederfand. Seine Augen glänzten feucht. "Ich wollte ihm eine Maus anbieten", schniefte er. "Aber er wacht nicht mehr auf! Und sein Blut hört nicht mehr auf zu laufen!" Nach diesen Worten gaben die Beine unter Donnerpfote nach und er brach zusammen.

Betroffenes Schweigen senkte sich über den Strandclan. Allen war klar, dass jede Hilfe für Kampfpfote zu spät kam. Keiner wagte, ein Geräusch zu machen oder sich zu rühren. Nur Otterstern brach nach einem Herzschlag das Schweigen, indem er sich panisch von seinem Felsen herab fallen ließ und zum Heilerbau rannte. "Mein Sohn! Mein Sohn!", hörte man ihn noch jaulen, ehe seine braune Schwanzspitze im Tunnel verschwand.

Dann wagte Tigerblüte es, ein paar Schritte nach vorne zu gehen und sich schützend an ihren Bruder zu schmiegen. "Schsch", murmelte sie leise und versuchte mit ein paar liebevollen Zungenstrichen, Donnerpfote zu beruhigen. "Alles ist gut"

Plötzlich begann Otterstern im Inneren des Heilerbaus wieder zu kreischen: "Kampfpfote! Nein! Kampfpfote, du darfst nicht sterben!" Den anwesenden Katzen wurde klar, dass Kampfpfote nicht mehr am Leben war. Traurig senkten sie die Köpfe, so auch Tigerblüte, die sich selbst verfluchte, weil sie sich vorhin noch gewünscht hatte, der junge Schüler würde sterben. "Er hatte noch sein ganzes Leben vor sich", krächzte Flusssprung, eine Älteste, kummervoll.

Otterstern kam mit Kampfpfote im Schlepptau aus dem Bau heraus und zerrte seinen Sohn zu Donnerpfote. "Was liegst du hier einfach nur rum?", schrie der braune Kater wutentbrannt, als er das braune Fellbündel fallen ließ. "Tu doch etwas! Du bist eine Heilerkatze! Wieso hilfst du ihm nicht?" Tigerblüte stellte sich schützend vor ihren Bruder, der vor Angst große Augen bekam. "Kampfpfote ist tot!", fauchte sie ihren Anführer an. "Und du kannst von Donnerpfote nicht erwarten, dass er ihn wieder zum Leben erweckt, denn das ist unmöglich!"

Otterstern wandte ihr seinen Blick zu und wollte irgendwas erwidern, als Muschelfleck wieder ins Lager gestürmt kam und neben der Leiche stehen blieb. Sein mitgebrachtes Kräuterbündel ließ er achlos zur Seite fallen. "Nein", hauchte der gefleckte Kater entsetzt und legte die Ohren an. Dann kniff er misstrauisch die Ohren zusammen. "Wieso klebt da Wasserminze an seinem Fell?", fragte der Heiler Donnerpfote argwöhnisch. "Ich habe dir doch gesagt, du sollst ihm Ringelblume geben!"

Der rot getigerte Schüler zuckte erschrocken zusammen. "Ich... Ich muss wohl aus Versehen die Kräuter vertauscht haben...", stammelte er schuldbewusst. Otterstern drehte sich ganz langsam nach ihm um. "Du?", knurrte der braune Kater bedrohlich leise. "Du bist Schuld an Kampfpfotes Tod?" Er fuhr die Krallen aus. "Du hast meinen Sohn umgebracht!", kreischte der Anführer und stürzte sich zu Tigerblüte's Entsetzen mit diesen Worten auf den Heilerschüler.

Warrior Cats ~ Tigerblüte's GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt