Tigerblüte öffnete die Augen. Und blinzelte. Helles Sonnenlicht schien ihr ins Gesicht und wärmte ihren Pelz. Die junge Kriegerin sah sich verwirrt um. Wo bin ich? Der Hügel, auf dem sie sich befand, hatte sie noch nie gesehen. Das Gras war grün und üppig, der Himmel blau und wolkenlos. Und alles glitzerte, als hätte jemand Sternenstaub darüber gestreut. Es sah einfach nur atemberaubend aus.
"Hallo, Tigerblüte" Als die Tigerkätzin diese vertraute Stimme hörte, wurde es ihr ganz warm ums Herz. Schnell rappelte sie sich auf und wirbelte herum. Als ihr Blick auf eine schlanke Kätzin mit seidig grauem Fell fiel wusste sie, dass sie sich nicht verhört hatte. "Tropfenglanz...", hauchte sie leise und trat ein paar Schritte näher. "Du lebst..." Die himmelblauen Augen ihrer Mutter blitzten belustigt auf. "Nein", erklärte die Kätzin mit einem Lächeln. "Du bist nur im Sternenclan"
Tigerblüte schnappte überrascht nach Luft und wich atemlos zurück. "Aber, aber...", protestierte sie stotternd. "Das müsste ja bedeuten, dass ich tot bin!" Tropfenglanz setzte sich und schlang mit einer eleganten Bewegung den Schweif um ihren Körper. Ein paar glitzernde Grashalme wackelten und verteilten dabei ein wenig des Sternenstaubs. "Das ist richtig", miaute Tropfenglanz langsam und legte dabei den Kopf schief. "Du bist gestorben. Und nun sind wir wieder vereint"
Für Tigerblüte war es, als würde ihre Welt zusammenbrechen. "Nein, das kann nicht sein!", jaulte die Kätzin und sträubte dabei verzweifelt ihr Fell. "Ich war doch noch gar nicht fertig mit meinem Leben! Was ist mit Sandfunke? Und Donnerpfote! Und Streifenflug! Soll ich meinen Clan etwa alleine lassen?" Erschöpft und überwältigt von den ganzen Gefühlen, die auf sie einschlugen wie Wellen, senkte sie den Blick auf ihre Pfoten. Sie konnte Sternenstaub erkennen, der ihren Körper umspielte und sie leuchten ließ, wie einen Kristall. Es stimmte also. Nun war sie eine Sternenclan-Katze.
Tigerblüte hörte Pfotenschritte, als sich ihre Mutter vorsichtig näherte und spürte einen Schweif, der sich tröstend auf ihre Schultern legte. "Sie werden zurecht kommen", murmelte Tropfenglanz ihrer Tochter ins Ohr. "Komm mit und ich zeige es dir" Die graue Kätzin löste sich von Tigerblüte und tappte auf etwas zu, das auf dem ersten Blick wie eine ganz normale Pfütze aussah.
Beim Näherkommen konnte Tigerblüte erkennen, dass es keine normale Pfütze war. Sie glitzerte und funkelte, als würde sie aus flüssigen Diamanten bestehen. "Sie sieht ja genauso aus, wie die Mondpfütze!", entfuhr es der Tigerkätzin. "Richtig", stimmte ihr Tropfenglanz mit einem Nicken zu. "Bei euch im Lager gibt es eine und im Sternenclan auch. Wenn ein neuer Anführer seine neun Leben erhalten möchte, steckt er seine Nase in die Mondpfütze, die in der Welt der Lebenden liegt und wacht dann hier auf"
Tigerblüte nickte als Zeichen, dass sie verstanden hatte. "Und was machen wir hier?", fragte sie dennoch. Tropfenglanz winkte sie mit dem Schweif zu sich und gehorsam trat die junge Kriegerin näher an die Pfütze. "Sieh hinein", befahl die graue Kätzin und Tigerblüte richtete ihren Blick ins glitzernde Wasser. Was sie sah, verschlug ihr sofort den Atem. Das Lager des Strandclans konnte sie an der Wasseroberfläche erkennen, sie entdeckte die Katzen, die sich versammelt hatten und Felsenherz, der als majestätische Gestalt auf dem Versammlungsfelsen saß. "Unglaublich", wisperte Tigerblüte.
Felsenherz erhob sich langsam und sprach mit lauter Stimme: "Otterstern ist von uns gegangen und ich werde es alles tun, um ein würdiger Nachfolger zu sein. Ich werde den Clan achten und ihn weise anführen, sodass wir alle in Frieden leben können" Kurz machte der graue Kater eine bedeutungsvolle Pause. "Dafür werde ich jetzt meine neun Leben bekommen" Er sprang vom Felsen und tappte zu dem Eingang eines Tunnels. In dieser kleinen Nebenhöhle, das wusste Tigerblüte, befand sich die Mondpfütze.
"Und nun warten wir auf ihn", erklärte Tropfenglanz und trat einen Schritt zurück. Tigerblüte sah sich um und bemerkte staunend, dass sich weitere Katzen zu ihnen gesellt hatten. Ihre Pelze leuchteten wie Sterne und in ihren Augen lag ein warmer Glanz. Sie alle waren ihr unbekannt, doch Tigerblüte wusste, dass sie nichts von ihnen zu befürchten hatte.
Die Gruppe stellte sich in einer Reihe auf und Tropfenglanz tat es ihnen gleich. Auch Tigerblüte nahm ihren Platz zwischen den Katzen ein und starrte wie gebannt auf die Pfütze. Was passiert jetzt? Langsam wurde eine Gestalt sichtbar, die neben der Mondpfütze lag und mit jedem Herzschlag deutlicher wurde. Es war Felsenherz, der seine Augen aufschlug und beim Anblick des Sternenclans respektvoll den Kopf neigte.
Schon trat die erste Katze vor, ein schwarzer Kater mit grauen Pfoten und schenkte seinem Gegenüber ein Lächeln. "Hallo, Sohn", begrüßte er Felsenherz. Dieser bekam vor Staunen große Augen. "Vater..." Seine Stimme brach. Der Schwarze senkte seinen Kopf und berührte vorsichtig mit der Nase die Stirn seines Sohnes. "Jetzt ist nicht die Zeit dafür", maunzte er. "Ich gebe dir ein Leben für Mut" Während Felsenherz sich verkrampfte, wurde Tigerblüte bewusst, was hier passierte. Er bekommt seine neun Leben!
Schon trat die nächste Katze vor, und die nächste und die nächste. Der Reihe nach gingen sie zu Felsenherz und gaben ihm ein Leben. Als er bereits acht Leben erhalten hatte, sahen die Sternenclan Katzen erwartungsvoll zu Tigerblüte. Soll ich ihm etwa auch ein Leben geben?, fragte sie sich bestürzt. Als Tropfenglanz sie auffordernd in die Seite stieß, wurde ihr Verdacht bestätigt. Ich soll es wirklich tun! Aber ich weiß doch gar nicht, wie man das macht!
Trotzdem stolperte die Kätzin nach vorne und näherte sich dem grauen Kater. Er hob den Kopf und sein Blick wurde weicher. "Tigerblüte", miaute der ehemalige 2. Anführer. "Die Patroullie, die dich sterben gesehen hat, hat mir alles erzählt. Es tut mir leid, dass ich dich verbannt habe. Du wolltest den Clan doch nur retten..." Ihn das sagen zu hören war für Tigerblüte wie Balsam auf einer Wunde. "Danke", hauchte sie mit einem Lächeln.
Langsam berührte sie seinen Kopf mit der Schnauze. "Dafür gebe ich dir ein Leben für Vertrauen. Glaube an deine Clangefährten und an dich selbst. Nur so werdet ihr auch in Zukunft ein starker Clan sein können. Denk an meine Worte, Felsenstern" Durch Felsensterns Körper schoss ein Licht, so gleißend hell, dass Tigerblüte die Augen zusammenkneifen musste. Schweigend trat sie an ihren Platz zurück. Sie wusste, sie hatte das Richtige getan.
"Felsenstern! Felsenstern!", rief der Sternenclan im Chor und Tigerblüte stimmte mit ein. Als der graue Kater verblasste, ließ sie traurig den Schweif hängen. Er würde wieder beim Strandclan aufwachen. Sie jedoch würde niemals dort hin zurück kehren.
Die Pfütze, in die sie nun hineinsah, zeigte wieder das Lager ihres Clans. Die Katzen liefen ziellos und schweigend umher, als warteten sie auf irgendwas. Schon trat Felsenstern aus der Nebenhöhle heraus und zog die ganze Aufmerksamkeit auf sich. Tigerblüte beobachtete, wie er den Versammlungsfelsen hinaufkletterte und stolz auf die Katzen herab sah. "Alles ist glatt gelaufen", berichtete der neu ernannte Anführer. "Ihr dürft mich nun Felsenstern nennen" Und das taten sie. Voller Freude rief der Clan seinen Namen, bis der Kater gebieterisch den Schweif hob.
"Ich habe noch etwas zu sagen", miaute Felsenstern und bedachte jeden seiner Clangefährten mit einem strengen Blick. "Von nun an werden die Magier nicht mehr gejagt. Sie sind frei!" Ein überraschtes Raunen ging durch die Menge. Auch Tigerblüte schnappte nach Luft, während sie wie gebannt die Szene weiter verfolgte. "Otterstern wollte den Strandclan ins Verderben stürzten", fuhr Felsenstern mit ruhiger Stimme fort. "Er hat Unschuldige töten lassen und war von Grund auf böse. Tigerblüte war die einzige Katze, die das erkannt und etwas dagegen unternommen hat!"
Tigerblüte wurde hellhörig, als ihr Name fiel. Was sagt er da? An den Gesichtern ihrer ehemaligen Clangefährten konnte sie sehen, dass alle das Gleiche dachten. Doch Felsenstern war noch nicht fertig. "Sie hat uns einen großen Dienst erwiesen, indem sie uns von Otterstern's Grausamkeit befreit hat. Und dafür wollen wir sie als Heldin feiern und sie für immer in Ehren halten!" Er hob den Kopf gen Himmel und seine Stimme hallte laut durch die Höhle: "Tigerblüte! Tigerblüte!" Der restliche Clan stimmte mit ein und rief feierlich und mit leuchtenden Augen ihren Namen.
Überwältigt und zugleich gerührt blinzelte Tigerblüte eine Träne weg. Tropfenglanz, die die ganze Zeit zugesehen hatte, schmiegte sich an ihre Tochter. "Na siehst du", schnurrte die graue Kätzin. "Du bist gestorben, um deinem Clan zu helfen und Gutes zu tun. Und eines Tages wirst du alle deine Freunde und Verwandte wieder sehen. Kannst du nun deinen Frieden finden?" Tigerblüte sah auf und lächelte. "Ja", sagte sie. "Ja, das kann ich"
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Warrior Cats ~ Tigerblüte's Gabe
Fanfiction> Schon seit Tigerpfote denken kann, ist sie dazu verdammt, eine ihr angeborene Gabe vor den anderen Katzen des Strandclans zu verstecken. Sollte ihr Geheimnis je ans Licht kommen, wird das ihr Todesurteil sein. Doch als ihr Bruder in Gefahr gerät...