9. Kapitel

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Diesmal war es Tigerblüte, die angriff. Bevor Otterstern sie erreicht hatte, schoss sie vor und grub gnadenlos ihre Krallen in seinen Pelz. Ein lautes Jaulen war zu hören, als der braune Kater vor Schmerz zusammenzuckte und zurücktaumelte.

Tigerblüte sprang nun mühsam auf seinen Rücken und bohrte ihre Zähne in seinen Nacken. Sie wusste, dass sie ihn schnell besiegen musste, bevor ihre eigenen Kräfte schwanden. Darum begann die Kätzin, einfach wahllos auf ihn einzuschlagen und zu hoffen, dass er irgendwann zu schwach war, um weiterzukämpfen.

Der Anführer des Strandclans wehrte sich, versuchte ihren Hiebe auszuweichen und schnappte immer wieder nach ihrem Hals. Tigerblüte trommelte mit ihren Hinterbeinen auf seinen Bauch ein, sodass Otterstern atemlos nach Luft schnappte. Bald würde es soweit sein. Bald würde sie ihn besiegt haben.

Plötzlich schoss der Kater so schnell wie eine Schlange vor und fuhr mit seinen Krallen knapp an ihrer Brust vorbei durch ihr weiches Bauchfell. Wie auf Kommando spritzte Blut nach allen Seiten. Tigerblüte starrte fassungslos nach unten, für einen Moment war es, als würde die Zeit still stehen. Erst nach ein paar Herzschlägen kehrte der Schmerz zurück. Und mit ihm die Wut. Er hat mich gerade fast umgebracht! Genauso, wie er Donnerpfote umbringen wollte! Genauso, wie er Tropfenglanz umgebracht hat!

Es war, als würde jemand alle Gefühle, alle Gedanken, die sie vorher in sich drin gehabt hatte, durch ein loderndes Feuer aus Hass ersetzen und sie in eine wilde Bestie verwandeln. Tot, ja tot wollte sie Otterstern sehen, für das, was er ihr angetan hatte. Es wäre nur gerecht, dass er mit seinem Leben bezahlte, weil er zuvor viele andere Leben genommen hatte.

Tigerblüte's Lippen kräuselten sich, gaben ihre Zähne frei, die von tödlicher Schärfe waren. Und schon stürzte sie sich auf ihren Gegner und versenkte ihre Fänge in seiner Kehle. Otterstern röchelte überrascht, panisch ruderte er mit den Pfoten, während er auf den Boden fiel. Doch Tigerblüte ließ nicht los und verstärkte ihren Biss nur noch. Warmes Blut durchtränkte ihr Fell und nahm ihr mit seinem metalligen Gestank den Atem.

Also ließ sie los und wich ein paar Schritte zurück, um das zu betrachten, was sie angestellt hatte. Ihr Anführer lag wie ein kleines Häufchen Elend am Boden, sein braunes Fell war an einigen Stellen rot gefärbt. Und er bewegte sich nicht mehr. Was habe ich getan?, schoss es ihr durch den Kopf, vor ihr wurde alles verschommen. Ich habe ihn getötet!

Die Kätzin begann zu torkeln, auf einmal fühlte sie sich schwach und gebrechlich. Die Welt wurde langsam immer dunkler. Kurz richtete sie ihren Blick auf Donnerpfote, der als verschwommener roter Fleck auf sie zurannte. Ich bin eine Mörderin. Das war ihr letzter Gedanke, bevor ihr schwarz vor Augen wurde.

-

Tigerblüte hörte Stimmen. Viele Stimmen, die sie umgaben und sie immer mehr in die Realität zurück holten. Sie öffnete langsam die Augen und blinzelte ein paar Mal, bis sie die vertraute Umgebung um sich herum wiedererkannte. Im bin im Heilerbau des Strandclans!

Nun erkannte sie auch die Katzen, die neben ihrem Nest standen und laut disskutierten. Da war Sandfunke, der mit vor Besorgnis bebender Stimme miaute: "Wie geht es ihr? Ich muss zu ihr!" Vor ihm stand Muschelfleck und versperrte Tigerblüte's ehemaligem Mentor den Weg. "Wir müssen sie in Ruhe lassen, bis sie sich erholt hat!", sprach der Heiler bestimmt.

Sandfunkte fauchte erborst, doch als Donnerpfote ihm den Schweif auf die Schultern legte, schien sich der sandfarbene Kater zu beruhigen. "Keine Sorge", sagte der Heilerschüler, doch Tigerblüte konnte in seiner Stimme die Unsicherheit heraushören. "Sie wird bestimmt bald wieder gesund sein!"

Streifenflug, der bis jetzt geschwiegen hatte, murmelte leise: "Aber sie sollte doch langsam mal wieder aufwachen, nachdem sie fast vier Tage durch geschlafen hat!" Sie glaubte, sie hörte nicht richtig. Fast vier Tage lang! Nun war sie endlich wach und sie wollte es die anderen auch wissen lassen. "Hallo?", krächzte Tigerblüte schwach. Sofort wirbelten alle Anwesenden erschrocken zu ihr herum. "Du bist aufgewacht!, rief Donnerpfote aus und stürzte zu ihr. "Wie geht es dir?"

Tigerblüte antwortete nichts, sondern streckte sich stattdessen vorsichtig, um ihre Muskeln zu testen. Schmerz pochte an den Stellen, an denen sie durch den Kampf mit Otterstern Wunden davongetragen hatte. Sie verzog das Gesicht. Das genügte Donnerpfote, um sie wieder ins Nest zu schubsen. "Solange du noch Wehwehchen hast, kommst du mir nicht aus dem Bau!" Sie konnte an der Stimme ihres Bruders erkennen, dass er keine Widerrede duldete. Trotzdem rollte sie genervt mit den Augen und drehte ihm den Rücken zu. Als Antwort erntete sie belustigtes Schnauben. "Das ist die Tigerblüte, die wir kennen", stellte Streifenflug erfreut fest.

"Wir lassen sie jetzt mal alle in Ruhe. Bestimmt möchte sie sich ausruhen", meinte Muschelfleck und schob ihr einen Lachs hin, ehe er den anderen zu verstehen gab, dass sie gehen sollten. Schön, dass man mich nach meiner Meinung fragt!, dachte Tigerblüte beleidigt, sagte aber nichts, als ihre Clankameraden den Heilerbau verließen.

Während die Kätzin in ihre Beute biss, spitzte sie die Ohren, um nichts zu verpassen, was im Lager vor sich ging. "Sie ist wach! Sie ist wach!", hörte sie Lachspfote glücklich rufen. Dann waren da viele Pfotenschritte, wahrscheinlich kam der Strandclan neugierig aus seinen Bauen und wollte hören, was passiert war.

"Ich dachte schon, sie wacht nie mehr auf!", meinte Seerosenherz erleichtert. "Dem Sternenclan sei Dank hat sie überlebt!", fügte Sandfunke hinzu. Andere schienen jedoch nicht sehr froh über Tigerblüte's sich bessernden Zustand zu sein. "Aber wollen wir das denn wirklich?", warf nämlich Karpfenbart ein. "Eine Mörderin in unserem Lager haben?" Tigerblüte hörte, wie Silberträne sofort zustimmte: "Genau! Sie hat Otterstern einfach umgebracht! Wer sagt, dass sie das nicht auch mit uns macht, während wir schlafen?"

Für die Tigerkätzin war es ein Schock, das zu hören. Wieso zweifeln sie an mir? Ich habe ihnen doch nichts getan! "Wie könnt ihr nur so etwas sagen?", fauchte Donnerpfote wutentbrannt durch das Lager. "Sie hat uns durch ihren Mut von Otterstern's brutaler Tyrannei befreit! Sie hat die Verfolgung der Magier aufgehalten! Seid ihr denn nicht dankbar?"

"Also ich persönlich nicht", entgegnete eine junge Kriegerin namens Nachtflügel. "Katzen mit übernatürlichen Kräften an meiner Seite zu haben ist gruselig! Ich fand es gut, dass Otterstern dafür gesorgt hat, dass sie aussortiert werden!" Aussortiert! Wie reden sie nur von uns Magiern? Tigerblüte's Herz schmerzte beim Zuhören. Wollen sie uns etwa nicht bei uns haben? Das muss sich ändern! Hier sollten mal ein paar Dinge richtig gestellt werden!

Tigerblüte richtete sich mühsam auf und unterdrückte einen Schmerzensschrei, als sie auf den Ausgang des Baus zuhumpelte. In der Haupthöhle war ein großer Streit bereits in Gange. Katzen standen sich knurrend gegenüber und warfen sich Beleidigungen entgegen. Tigerblüte's Kopf dröhnte bei dem Lärm. Sie konnte es nicht mehr hören. "Stopp!", rief sie so laut sie konnte. "Bitte hört auf und hört mir zu!" Und sofort trat Schweigen ein, als sich alle Blicke auf sie richteten. "Da ist sie, die Mörderin!", zischte Felsenherz hasserfüllt. "Mal sehen, was sie zu ihrer Verteidigung sagen hat!"

Warrior Cats ~ Tigerblüte's GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt