3. Kapitel

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Der fischige Gestank der Otter erfüllte die Luft, noch bevor Tigerblüte die Tiere erblickte. Felsenherz vor ihr blieb wie angewurzelt stehen, sodass sie fast gegen ihn gestoßen wäre. "Pst!", zischte er leise und fiel in die Jagtkauerstellung. Der Rest der Patroullie tat es ihm gleich.

Die junge Kriegerin verharrte und blickte konzentriert zwischen den hohen Grashalmen ans Ufer des Fischteiches. Dort sprangen eine Pfote voll Otter durcheinander und spielten Fangen. Tigerblüte musste beim Anblick der scharfen Zähne in ihren Mäulern schlucken, denn diese Tiere konnten für Katzen ebenso gefährlich sein, wie umgekehrt.

"Wir werden sie einkreisen", sagte der 2. Anführer des Strandclans knapp. "Hechtjäger und Kampfpfote verteilen sich auf der rechten Seite, Seerosenherz und Lachspfote auf der linken, ich gehe nach gegenüber und schneide den Ottern den Fluchtweg zum See ab und Tigerblüte bleibt hier, bis wir alle in Position sind. Das Zeichen zum Angriff wird ein lautes Jaulen meinerseits sein. Und los!" Auf Kommando schlichen die Katzen vorwärts und schlugen weite Bogen um ihre Beute. Tigerblüte blieb, wo sie war und behielt die Otter im Blick.

Viele Herzschläge vergingen. Sie hatte mittlerweile keine Ahnung mehr, wie lange sie schon da rum saß und geradeaus starrte. In dem Moment, als sie bereits ungeduldig auf ihrem Platz hin und her rutschte, hörte sie ein lautes Jaulen. Na endlich!

Die Katzen brachen aus ihren Verstecken hervor und stürzten sich auf die Otter, die vor Schreck wie versteinert stehen blieben. Erst, als sich Tigerblüte's Krallen in ihr nächstbestes Opfer bohrten, konnte es sich aus seiner Erstarrung lösen und sie attackieren.

Die Tigerkätzin klammerte sich am Nacken des Tieres fest, doch dieses wehrte sich verbissen, indem es sich hin und her warf und nach ihr schnappte. Das braune, glatte Fell bot ihren Krallen kaum Halt, sodass es für den Otter gerade zu kinderleicht war, sich aus ihrem Griff zu winden.

Er wirbelte herum und zeigte drohend seine Zähne. Die schwarzen Augen schimmerten kampflustig. Sie wusste, er würde sie ohne zu zögern töten, aber das beruhte auf Gegenseitigkeit. Also bäumte sie sich fauchend vor ihm auf und fuchtelte mit den Pfoten vor seiner Nase herum. Auch Seerosenherz kam dazu und griff den Otter von hinten an. Immer abwechselnd schlugen die beiden zu und arbeiten so gut zusammen, als hätten sie sich vorher abgesprochen.

Das braune Wesen wurde irgendwann nach und nach von seinen Kräften verlassen, sodass es sich nicht mehr so schnell herumdrehen konnte. Diese Chance nutzte Seerosenherz, um sich auf ihr Beutetier zu stürtzen und ihre Zähne in die Kehle des Geschöpfes zu bohren. Der Otter stieß noch einen letzten heiseren Schrei aus, ehe er wie ein nasses Blatt zusammenbrach. Tot.

Tigerblüte rappelte sich auf und schüttelte sich Schilfreste aus dem Fell. Dann verschaffte sie sich einen Überblick über den Kampf, indem sie sich einmal umsah. Noch drei lebende Otter waren übrig. Hechtjäger und Lachspfote hatten sich einen vorgenommen, Seerosenherz eilte Felsenherz zu Hilfe und attackierte mit ihm gemeinsam den zweiten Otter.

Doch dann erstarrte Tigerblüte. Sie sah Kampfpfote, Otterstern's Sohn, der alleine gegen das dritte Raubtier kämpfte! Der junge Schüler wirkte wie ein Junges neben seinem rießigen Gegner. Das dunkelbraune Fell des Katers war blutverschmiert, er hinkte bereits und versuchte verzweifelt, von dem Otter wegzustolpern. Dieser packte den Schüler kurzerhand und schüttelte ihn wild wie ein Beutetier. Kampfpfote schien schreien zu wollen, brachte jedoch nur ein schwaches Röcheln hervor.

"Nein!", schrie Tigerpfote entsetzt und rannte auf die beiden zu. Er ist zwar der Sohn meines größten Feindes, aber er ist doch nur ein Schüler! Er darf nicht sterben! Der Otter schleuderte Kampfpfote auf den Boden, erhob sich auf seine Hinterbeine und holte aus, um seinem Opfer den Todesbiss zu verpassen. Sie würde den Schüler nicht mehr rechtzeitig erreichen, sie konnte es nicht schaffen, aber sie musste...

Ihr Blick fiel auf den Teich, der sich nur wenige Mäuselängen von dem Otter entfernt befand. Die anderen werden es nicht merken, wenn ich meine Gabe anwende. Dafür sind sie viel zu beschäftigt. Also konzentrierte sich die Tigerkätzin auf das ruhende Wasser. Sie stellte sich vor, wie es wild wurde, wie es sich aufbäumte und über der braunen Bestie herab stürtzte. Und genau das tat es. Kurz bevor der Otter zuschlagen konnte, wurde er von einer gigantischen Welle überschwemmt und in den Teich gezogen. Mit einem letzten Gurgeln verschwand er im Wasser.

Tigerblüte spürte sofort, wie ihre Gabe ihr einen großen Teil ihrer Energie raubte. Immer, wenn sie Wasser bewegte oder verformte, zerrte ihre Tat an ihren Kräften, als hätte sie das Wasser mit ihren eigenen Pfoten hochbehoben.

Keuchend und mit bebenden Flanken blieb Tigerblüte neben dem verletzten Schüler stehen. Er war gerade zu von Kratzern und Bisswunden übersäht, sein dunkelbraunes Fell hatte sich blutrot gefärbt. Doch als er sie ansah, schimmerte in seinen Augen eine Gewissheit, die ihr das Fell sträuben ließ. Er wusste Bescheid. Er wusste, dass sie es gewesen war, die ihn gerettet hatte. Er wusste von ihrer Gabe. Doch er schien keine Kraft mehr zu haben, um sie deswegen anzusprechen. "Danke", hauchte der Kater, bevor er das Bewusstsein verlor.

Sorgenvoll starrte sie den geschundenen Körper an. Das Blut floss noch immer unaufhörlich aus seinen Wunden. "Felsenherz!", jaulte sie panisch und wirbelte zu den anderen herum. Die versetzten den letzten beiden Ottern gerade tödliche Hiebe. Doch als er Tigerblüte's Schrei hörte, sah der graue Kater auf. Entsetzt kam er herbei geeilt. "Was ist passiert?", fragte er entsetzt und schnupperte hektisch an dem ohnmächtigen Schüler. "Otter", maunzte sie leise und er verstand.

"Lasst die Tiere liegen!", befahl der 2. Anführer seiner Patroullie, die bei den drei erledigten Ottern stand und sich nun ebenfalls umdrehte. "Die können wir später holen! Jetzt müssen wir ein Clanmitglied retten!" Sofort sausten die Katzen zu Kampfpfote und formatierten sich zu einer Rettungspatroullie. Lachspfote half Seerosenherz, den Verwundeten auf Felsenherz' Rücken zu hieven. Hechtjöger und Tigerblüte blieben dicht neben dem grauen Kater, um zu verhindern, das Kampfpfote herunter fiel. Eilig machten sich die Katzen auf den Rückweg zum Lager.

Tigerblüte stolperte voran und konnte sich vor Kummer kaum noch auf den Pfoten halten. Ich hätte ihn früher retten müssen!, schoss es der jungen Kriegerin immer und immer wieder durch den Kopf. Wenn ich Seerosenherz meinen Otter überlassen und Kampfpfote stattdessen geholfen hätte, würde es ihm jetzt noch gut gehen! Sie schloss zitternd die Augen. Alles ist meine Schuld!

Warrior Cats ~ Tigerblüte's GabeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt