Der Türkis

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Jenny PoV

Der Winter ist da und er kam mit viel Schnee und eisiger Kälte. Das erste Mal seit ich denken kann, muss ich mir diesmal aber keine Sorgen machen und so genieße ich ihn regelrecht. Das Glitzern der Eiskristalle am Fenster und die friedliche weiße Decke in die die Stadt gehüllt ist, haben etwas Magisches an sich. Es ist alles viel stiller geworden. Aber trotzdem habe ich viel zu tun. Die Leute holen sich Frostbeulen und leiden an Erkältungen. Viele der älteren Menschen haben bei der Kälte Probleme mit den Gelenken und so flitze ich von Haus zu Haus, um meine Medikamente zu verteilen. Auch heute bin ich wieder unterwegs und besuche die alte Wahrsagerin. Bei dem Schnee ist es ihr nicht zuzumuten mit ihrem kaputten Knie bis zu mir zu kommen. Ich betrete ihre Stube. Hier sieht es fast genauso aus, wie in meiner Kammer, in der ich die Medizin herstelle. Überall hängen Kräuter, aber auch ein paar tote Tierkörper sehe ich. Außerdem viele Steine in verschiedenen Farben und Formen sind hier überall verteilt. Neugierig sehe ich sie mir genauer an. Sie sind wunderschön und kein einziger wie der andere.

Die alte Dame begrüßt mich freudig, als sie mich bemerkt. Ich gebe ihr ihre Salbe und möchte mich schon wieder verabschieden, als sie mir etwas in die Hand drückt. Es ist ein hellblauer Stein. Feingeschliffen zu einer Platte mit einem Loch in der Mitte. Fragend schaue ich sie an und sie lächelt „Das ist ein Türkis. Ein sehr wichtiger Edelstein aus dem heiligen Land. Er beschützt seinen Besitzer, in dem er ihn vor drohenden Gefahren warnt. Er verhilft ihm zu Erfolg, da er das Selbstbewusstsein stärkt und die Tatkraft sowie das Durchsetzungsvermögen fördert. Er beschert seinem Träger die nötige Erkenntnis, dass jeder für sein eigenes Schicksal verantwortlich ist und verarbeitet vergangene Ursachen auf und schenkt ihm damit die Lebenskraft, um das eigene Leben zu bewältigen." Überwältigt von dieser Beschreibung flüstere ich ehrfürchtig „Das ist doch viel zu wertvoll. Sie sollten ihn selbst behalten." Ich reiche ihn ihr wieder, aber sie schließt meine Hand um ihn. „Du wirst am besten wissen, was mit ihm zu tun ist. Denn denke daran, der Löwe ist immer noch nicht mutig genug aus seinem Käfig zu entfliehen." Und wieder lässt sie mich ohne weitere Erklärungen zurück und geht in eines der hinteren Zimmer. Ratlos schaue ich auf den Wunderstein in meiner Hand. Und jetzt kommen mir ihre rätselhaften Worte von vorein paar Wochen wieder in den Sinn. Ich hatte sie bis heute total verdrängt, aber jetzt grübele ich wieder über ihre Bedeutung nach.

Auf dem Weg nach Hause versuche ich die Vorhersagen weiter zu entschlüsseln. Mittlerweile bin ich mir sicher, dass der Löwe nur eine Umschreibung für einen Menschen darstellt. Und sie hat damit angefangen, als sie Manuel bei mir gesehen hat. Sollte es etwas mit ihm zu tun haben? Er war in den letzten Tagen wieder ziemlich verschlossen und nachdenklich. Immer wenn ich darauf ansprach ist er aber ausgewichen und hat es auf ein Problem in der Familie geschoben. Ein wenig enttäuscht war ich schon, dass er sich mir nicht anvertraut, wenn ihn etwas so sehr beschäftigt. Aber sollten diese Familienschwierigkeiten wirklich so schwerwiegend sein, dass sie die alte Wahrsagerin sehen kann? Ich zweifele immer noch an diesen Prophezeiungen, aber ich nehme mir vor, mich ein wenig näher damit zu befassen. Manuel hat mir ja erlaubt mir jederzeit eines der Bücher aus der Familienbibliothek auszuleihen und das werde ich heute mal in Anspruch nehmen.

Als ich die Küche von Pats Eltern betrete, weht mir sofort ein köstlicher Duft in die Nase. Magret hat Lebkuchen gebacken für den Weihnachtstag. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen und ich schaue auf die lustigen braunen Lebkuchen Männchen. „Du kannst dir ruhig schon einen nehmen Jenny." ertönt Magrets freundliche Stimme hinter mir. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und nehme mir einen vom Blech. „Den werde ich Manuel mitbringen. Ich will gleich mal hoch zum Schloss." Das gutmütige Lächeln der Älteren erwärmt mein Herz. Sie ist so etwas wie meine Ziehmutter geworden in den Monaten, die ich hier verbracht habe. „Dann nimm zwei mit. Du sollst auch einen für dich haben. Bevor Pat sie in die Finger bekommt." Wir lachen beide. Es fühlt sich gut an eine Familie zu haben. Fehlt jetzt nur noch mein Brüderchen, aber er hat mit seiner Ritter-Ausbildung viel zu tun und Maurice ist ein sehr strenger Lehrer. Ich sehe ihn leider nur zwei bis dreimal in der Woche kurz,wenn ich ins Schloss gehe oder wenn er mal mit Patrick herkommt. Er hat sich äußerlich sehr verändert. Er war ja immer schon groß und kräftig, aber mittlerweile war er durch das harte Training muskulöser und drahtiger geworden, außerdem bildet sich einleichter Hauch von Bart an seinem Kinn, was er sorgfältig züchtet.

Ich mache mich auf den Weg ins Schloss. Ich war jetzt schon so oft hier, dass ich auch die geheimen Eingänge und Wege so gut kenne, als wäre ich hier zuhause. Als ich in die Nähe von Manuels Zimmer komme, höre ich eine leise traurige Melodie. Sie ist wunderschön und scheint aus seinem Zimmer zu kommen. Ich klopfe an, aber es kommt keine Reaktion. Vorsichtig öffne ich die Türe und sehe den Prinzen an dem Cemballo sitzen, von dem ich eigentlich immer dachte, dass es hier als Dekoration im Zimmer herum steht. Manuel ist vollkommen in seinem Spiel vertieft, dass er mich gar nicht bemerkt und ich stehe nur staunend im Raum und lausche der ergreifenden Musik.

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Jenny ist schon auf der richtigen Spur mit ihren Vermutungen. Aber was wirklich mit dem Löwen und dem Käfig gemeint ist, werdet ihr wohl in zwei - drei Kapiteln erfahren. Es ist nämlich um einiges schlimmer, als ihr euch denkt ;)

Der Prinz und das Bauernmädchen | GLP | FreedomsquadWo Geschichten leben. Entdecke jetzt