15 Jade Arena Tag 5 Monotonie

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Die Arena liegt immer noch in Dunkelheit, als ich aufwache, doch ich kann nicht mehr weiterschlafen. Ich sehe immer wieder, wie Ella fällt, manchmal ist es auch Stephen. Durch diese Träume werde ich nur noch erschöpfter und der Schlaf bringt nichts. Stephen lehnt an der Höhlenwand und schläft tief und fest. Er ist wohl während seiner Wache eingeschlafen. Ich mache ihm keinen Vorwurf, die letzten Tage waren anstrengend. Möglichst leise, um ihn nicht zu wecken, schleiche ich mich an ihm vorbei und setze mich näher an den Rand der Höhle, um zu sehen, ob wir verfolgt werden. Ich lasse einen kleinen Teil der Kälte herein, weil ich herausfinden will, ob ich dadurch besser im Dunkeln sehen kann. Tatsächlich kann ich jetzt den Fuß des Berges erkennen, sowie den Wald in der Ferne. Und etwas weiter hinten den Rauch eines Feuers. Ich unterdrücke ein Fluchen. Das müssen Jemma und Toby sein. Sie kommen näher, viel zu nahe für meinen Geschmack. Doch wir können nicht mehr umdrehen, wir können nur weitergehen und hoffen, dass wir schneller sind. Dieser Weg wird uns irgendwann auf die andere Seite der Berge bringen und dann müssen wir entscheiden, wohin wir danach gehen. Mir gefällt keine unserer übrig gebliebenen Optionen, am liebsten würde ich einfach in den Wald zurückkehren. Wenigstens stirbt man dort nicht gleich nach ein paar Schritten. Doch wir würden Jemma und Toby nur direkt in die Arme laufen und so beschließe ich, Steph den Weg durch das Feld vorzuschlagen. Immer noch besser als Treibsand. Ich dränge die Kälte wieder zurück und krieche wieder weiter ins Innere der Höhle. Ich werde Stephen nicht vor Sonnenuntergang wecken, der Weg ist zu gefährlich im Dunkeln. Wir müssen genau sehen können, wo wir hintreten und dazu muss es hell sein. Gedankenverloren spiele ich mit meinem Anhänger herum und starre in die Schwärze, die draußen vor der Höhle herrscht. Ich vermisse meine Familie. Mom, die mir Ratschläge erteilen würde. Dad, der versuchen würde, mich zu trösten und mir sagt, dass ich es schaffen kann. Ethan, der mich angrinst und zu einem Trainingskampf herausfordert. Amy, die immer nach der Schule auf mich, Ethan und Stephen wartet, damit wir zusammen nach Hause gehen können. Ich wünschte, ich wäre jetzt bei ihnen, könnte mich zu Dad aufs Sofa kuscheln und dafür sorgen, dass er Mom nicht zu sehr vermisst. Denn es ist nicht nur für Mom schwer von ihm getrennt zu sein, auch Dad würde sie am liebsten gar nicht gehen lassen. Ich weiß, dass auch er Albträume hat, wenn Mom nicht da ist. Natürlich würde er das nie zugeben, aber jedes Mal während der Spiele höre ich ihn mitten in der Nacht im Haus herumgehen, manchmal telefoniert er auch mit gedämpfter Stimme. Am nächsten Morgen lächelt er uns an, als wäre alles in Ordnung und macht uns Frühstück. Doch ich weiß, dass es an ihm zehrt und Ethan und Amy wissen das auch. Deswegen haben wir immer versucht, die Stimmung zu heben. Und jedes Jahr am ersten Tag der Spiele verschwindet Dad für etwa eine Stunde im Wald. Und wenn er zurückkommt, umarmt er mich jedes Mal fest, wodurch ich weiß, dass er es wegen seiner besten Freundin Catherine tut, die am ersten Tag in den Spielen gestorben ist. Er kann und will sie nicht vergessen, auch nicht nach all den Jahren. Ich verstehe das. Ich würde Stephen auch nie vergessen. Als ich noch klein war, hat er mir immer Geschichten von ihr erzählt. Davon, wie sie aufgewachsen sind, wie sie sich kennengelernt haben und warum er sich für sie für die Spiele gemeldet hat. Dass Catherine der eigentliche Grund ist, dass er sich in Mom verliebt hat, da er Mom ohne Catherine nie näher kennengelernt hätte. Mom hat mir von ihrem Versprechen an Catherine erzählt und wie sie zuerst dachte, sie hätte versagt. Ich hätte Catherine gerne kennengelernt, damit ich weiß, ob ich ihren Namen verdiene. Ich will Dad nicht enttäuschen. Während ich meinen Gedanken nachhänge, kämpft sich die Sonne langsam über den Horizont und färbt den Himmel in ein sanftes Orange. Als ich wieder zu Stephen schaue, sind seine Augen offen und er sieht mich an. Er sagt nichts, versucht zu erkennen wie ich mich gerade fühle. Er will den Kameras nicht zu viel geben. Sie haben uns vielleicht hier eingesperrt, aber unsere Freundschaft bekommen sie nicht. Ich lächle Steph leicht schief an. „Wir sollten etwas essen, bevor wir losziehen.", bemerke ich. Als Stephen nickt, hole ich etwas Trockenobst aus seinem Rucksack und teile es auf. Ich esse langsam, ohne wirklich etwas zu schmecken und spüle das Ganze dann mit Wasser hinunter. Während wir packen reden wir leise über völlig belanglose Dinge, wir wollen unsere Angst überspielen. Gestern wurden wir wieder daran erinnert, dass jederzeit einer von uns beiden sterben könnte. Dieser Gedanke macht mir mehr Angst als alle Fallen oder Mutationen in dieser Arena. Und genau diese Angst wird früher oder später zur Realität werden. Doch vorerst verdränge ich diesen Gedanken und schiebe mich aus der Höhle hinaus. Wir klettern die kurze Strecke zum Pfad hinunter und unwillkürlich bleibt mein Blick an meiner Kleidung hängen. Ich wünschte, ich könnte mich waschen. Meine Kleidung ist zerrissen, voller Dreck und Blut und ich will gar nicht daran denken, wie meine Haare aussehen. Sofort ärgere ich mich über diese Gedanken. Was nützt es mir hier, sauber zu sein. Ich habe nicht die Zeit über so etwas nachzudenken. Mit einem Blick auf Stephen setze ich mich in Bewegung, lasse ihn dann vorgehen. Ich will ihn im Blick haben. Alle paar Meter kontrolliere ich den Abgrund, suche nach Anzeichen, dass wir eingeholt werden, aber da ist nichts. Vielleicht haben sie sich ja im Wald verlaufen. Und zum ersten Mal seit wir hier sind, zähle ich die verbliebenen Tribute. Es sind 8. Nur noch 6 Gegner. Und das nach 4 Tagen. Ich hoffe, dass sich diese Spiele nicht so lange ziehen wie die meiner Eltern. Sie waren 18 Tage in der Arena. 18 Tage voller Kämpfe, Angst und Nahtoderfahrungen. Aber trotzdem kann ich nicht aufhören daran zu denken, dass jeder Tag, den die Spiele länger dauern ein weiterer Tag ist, an dem ich mit Stephen zusammen bin. Ich seufze laut auf und Steph dreht sich mit fragendem Gesichtsausdruck zu mir um. Ich schüttle nur den Kopf und ein wissender Ausdruck huscht über sein Gesicht, ehe er sich wieder wegdreht. Ich versuche meine Gedanken abzustellen und verliere mich in der Monotonie meiner Schritte. Ein Schritt nach dem anderen. Das Knirschen unserer Stiefel auf den lockeren Steinen ist das einzige Geräusch in dieser unheilvollen Stille. Als die Sonne hoch oben am Himmel steht, verkündet Stephen, dass wir eine Pause machen. Ich lasse mich auf den Boden sinken und nehme einen tiefen Schluck aus meiner Wasserflasche. Mehr als diesen einen gestehe ich mir jedoch nicht zu und stecke die Flasche wieder weg. Da ertönt knapp hinter mir ein Zischen und ich sehe mich beunruhigt um, kann jedoch nichts entdecken. „Irgendetwas ist hier. Lass uns weitergehen.", wende ich mich an Stephen, welcher sofort aufsteht. Als ich eine Hand am Boden aufstütze, um ebenfalls aufzustehen, zuckt ein brennender Schmerz durch meine Hand. Ich schreie auf und werfe blitzschnell einen Blick auf meine Hand. Daran hängt eine Schlange, etwa so lang wie mein Unterarm und giftgrün. Ich reiße sie von meiner Hand weg und schleudere sie mit einem erneuten Schrei über den Abgrund. „Weg hier!", schreie ich und laufe bereits den Pfad entlang, meinen Rucksack werfe ich mir im Rennen über. Die Schmerzen in meiner Hand beginnen bis zu meiner Schulter auszustrahlen und ich weiß, dass diese Schlange giftig ist. Doch ich beiße die Zähne zusammen und versuche es zu ignorieren. Als die inzwischen bekannte Kälte in mir aufwallt, bekämpfe ich sie nicht so stark wie sonst. Ich brauche sie jetzt. Es gibt kein Mittel gegen das Gift einer Mutation, doch Mom hat es geschafft zu überleben. Und ich hoffe, dass die Kälte mir dasselbe erlauben wird. Aber ich lasse nicht wieder zu, dass sie sich ganz in mir ausbreitet, sondern ich versuche sie auf meinen Arm und meine Schulter zu konzentrieren. Sofort wird der Schmerz dumpfer und ich spüre wie sich das Gift verflüchtigt, verdrängt von der Kälte. Ich habe jedoch nicht genug davon hineingelassen, um meine Augen länger rot zu färben. Das weiß ich. Sobald ich sicher bin, dass sich keine Spuren des Gifts mehr in meinem Körper befinden, dränge ich die Kälte wieder zurück. Meine Konzentration wird durchbrochen, als Stephen plötzlich aufschreit. Ruckartig wirble ich herum, bereit es mit allen Schlangen der Welt aufzunehmen. Stephen lehnt mit zusammen gepressten Lippen merkwürdig an der Wand. „Ich habe nach hinten geschaut und bin gestolpert.", erklärt Steph entschuldigend und wirkt peinlich berührt, dass er gestolpert ist und mich damit erschreckt hat. Ich beobachte, wie er sich wieder aufrichtet und entspanne mich langsam wieder. Als Stephen jedoch an mir vorbei gehen will, halte ich ihn auf. „Du hast da einen Stein im Arm. Lass mich nachsehen, ob du verletzt bist.", verlange ich und Stephen gibt sofort nach und hält mir seinen Arm hin. Er weiß, dass hier auch kleine Verletzungen gefährlich werden können, wenn sie sich entzünden und auch, dass ich sowieso nicht aufgegeben hätte, bis er zulässt, dass ich ihn untersuche. Ich ziehe den spitzen Stein, der einer länglichen Speerspitze ähnelt aus seiner Jacke und warte dann, bis Stephen sie ausgezogen hat. Und tatsächlich hat sich der Stein in seinen Arm gebohrt. Ich krame in Stephens Rucksack nach Verbandszeug und Desinfektionsmittel, nur zur Sicherheit. Ich verteile das Mittel auf der kleinen Wunde und murmle eine Entschuldigung, als Stephen zusammenzuckt. Danach wickle ich sorgfältig etwas Verband um Stephens Arm und knote ihn fest. Kurz betrachte ich mein Werk, ehe ich zufrieden bin und Steph bedeute, dass er seine Jacke wieder anziehen kann. „Willst du eine Pause machen und etwas essen und trinken bevor wir weitergehen?", frage ich, da es eigentlich sowieso die richtige Zeit für ein kleines Mittagessen ist. Stephen nickt zustimmend und wir setzen uns Seite an Seite an die Felswand. Sofort lehne ich mich unbewusst an ihn und auch Stephen rückt näher an mich heran. Wir teilen vier Kräcker und ein paar Streifen Trockenfleisch auf. Eine Weile schweigen wir, doch dann ergreife ich das Wort. „Erinnerst du dich noch, was meine Mutter immer sagt, wenn sie jemand fragt, warum Dad immer kocht?", frage ich Steph lächelnd, denn ich weiß, dass ihn das aufheitern wird. Stephen grinst. „Natürlich. Sie erzählt dann immer, wie sie die Küche beinahe abgefackelt hat, als sie versucht hat einen Kuchen zu backen und noch einmal, als sie beschlossen hat, dass es doch nicht so schwer sein kann.", kichert er. Ich grinse nur still vor mich hin, denn ich habe es geschafft die Stimmung aufzuhellen. Das hält jedoch nicht lange an, denn diese Geschichte macht mir erst richtig klar, wie lange ich sie schon nicht mehr gesehen habe. „Ich vermisse sie.", gebe ich zu und Stephen nickt. „Ich weiß.", erklärt er. Er muss gar nicht mehr sagen. Ich weiß, dass er seine Familie auch vermisst. Und Steph weiß, dass ich nicht nur Mom meine. Ich seufze und stehe dann auf. „Wir sollten weiter. Jemma und Toby holen immer weiter auf.", bemerke ich und Stephen stimmt zu. Wir suchen unsere Rucksäcke wieder zusammen und machen uns erneut auf den Weg. Nach einer Weile entdecke ich, dass unser Pfad von einem Berg auf einen anderen wechselt. Jedoch wird er außerdem von einer Schlucht getrennt und genau das bereitet mir Sorgen, denn es scheint keine Brücke zu geben. Zumindest keine, die ich jetzt sehen kann. Doch je näher wir kommen, desto klarer wird mir, dass diese Schlucht gar nicht so breit ist, wie sie aus der Ferne wirkt. Durch unser Training können wir sie überspringen. Es sind nur ungefähr 5 Meter. Wir haben im Training schon weitere Abstände überwunden. Als wir knapp vor dem Abgrund stehen bleiben, wende ich mich an Stephen. „Wir müssen springen. Ich zuerst.", erkläre ich und Stephen nickt und geht einige Schritte zurück um mir Platz zu lassen, damit ich Anlauf nehmen kann. Ich gehe zur Sicherheit etwas weiter als notwendig zurück und gehe dann in Startposition. Dann renne ich los und stoße mich kraftvoll knapp vor dem Abgrund ab. Und ich fliege. Als ich in sicherem Abstand auf der anderen Seite ankomme, grinse ich breit. „Jetzt du.", rufe ich Stephen zu. Dann beobachte ich, wie auch er Anlauf nimmt und ohne Schwierigkeiten die Schlucht überwindet, auch wenn er nicht ganz so weit springt wie ich. Nach diesem kleinen Adrenalinschub setzen wir unseren Weg in etwas schnellerem Tempo fort bis schließlich die Sonne beinahe vollkommen vom Himmel verschwunden ist. Diesmal finden wir jedoch keine Höhle in der Nähe und breiten unsere Schlafsäcke notgedrungen einfach auf dem Boden aus. Gerade als wir wieder etwas von unseren Vorräten für ein kleines Abendessen heraussuchen, ertönt die Hymne. Doch es werden keine Tribute gezeigt. Heute ist niemand gestorben. Doch ich bezweifle, dass es lange so bleiben wird.

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Ruby Shine 2 - Die RacheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt