Die restlichen Trainingstage sind wir weiterhin viel an den Waffenstationen gewesen, aber auch an allen anderen, während wir versucht haben, uns so gut wie möglich von Toby und Jemma fernzuhalten. So folgen uns nur ihre bösen Blicke überallhin. Doch die kann ich ignorieren. Doch als wir dieses Mal hinunter zur Trainingshalle fahren, bin ich nervöser, als die ganzen Tage zuvor zusammen. Denn heute wird unsere Leistung bewertet. Wenn ich heute versage, wird unsere Zeit in der Arena um einiges härter werden. Als hätte sie meine Gedanken erraten, legt Mom mir ihre Hand auf meine Schulter und lächelt mir beruhigend zu, obwohl ich sehe, dass auch sie sich Sorgen macht. Anders als früher, setzen sie diese Sorgen jedoch nicht mehr vollkommen außer Gefecht. In den letzten Tagen schien sie mehr in der Gegenwart zu sein, als je zuvor. Zumindest so lange ich sie kenne. Doch da es ihr ja offensichtlich besser geht so, habe ich beschlossen mich über die Veränderung zu freuen. Mit uns im Aufzug stehen auch Stephen und Leon. Die Einzeltrainings sind wohl wichtig genug, dass beide mitkommen wollen, um uns wenigstens auf dem Weg dorthin zu unterstützen. Ich weiß, was Mom mir jetzt sagen würde, wären wir alleine. Sie würde mir erklären, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche, da ich die geborene Kämpferin bin. Dass ich sie alle von mir überzeugen werde, auch wenn ich nichts lieber tun würde, als einfach nach Hause zu verschwinden. Doch ich muss mich konzentrieren. Nicht nur für mich, auch für Stephen. Denn wenn ich zu nervös und zappelig werde, dann überträgt es sich auch auf ihn und er braucht seine volle Konzentration, um hohe Punkte zu erreichen. Deswegen verlasse ich den Aufzug auch ohne Zögern, jedoch nicht ohne noch einen Blick auf meine Mutter zu werfen, die mir zuversichtlich zu lächelt. Sie glaubt an mich und wenn jemand meine Fähigkeiten einschätzen kann, dann sie. Ich lächle zurück und meine Aufregung legt sich etwas. Seite an Seite mit meinem besten Freund begebe ich mich in den Warteraum und setze mich mit ihm auf unsere zugewiesenen Plätze. Und dann warten wir. Es vergeht einige Zeit, bis Toby als erster aufgerufen wird, doch ich sehe ihn überheblich grinsen, als er auf die automatische Tür zu geht, welche sich sofort wieder hinter ihm schließt. Die Minuten ziehen sich hin, bis endlich auch Jemmas Name erklingt. Ihre Miene wirkt eher grimmig entschlossen, als sie im angrenzenden Raum verschwindet. Ehe ich es mich versehe, ist auch schon Steph an der Reihe und er grinst mir noch ein letztes Mal zu, dann tritt auch er vor die Spielmacher. Ich atme tief durch und versuche mich in meine Mutter hineinzuversetzen. Wann immer sie kämpft, wird sie vollkommen ruhig und ich weiß, dass nichts und niemand sie in diesen Momenten aus der Ruhe bringen kann. Ich versuche diese Ruhe nun auch in mir selbst zu finden. Als über die Lautsprecher mein Name verkündet wird gelingt es mir auch endlich. Ich stehe auf, als sich in meinem gesamten Körper eine eisige Ruhe breit macht, die sämtliche meiner Sinne schärft und meine Konzentration verstärkt. Die Tür schließt sich hinter mir und ich schreite festen Schrittes voran. In der Mitte des Raumes bleibe ich stehen und verkünde mit lauter Stimme: „Jade Catherine Shine. Distrikt 2." Sämtliche Blicke im Raum sind ab diesem Moment auf mich gerichtet. Auf mich, die Tochter der berühmt berüchtigten Ruby Shine. Der Frau, die die Hälfte der Tribute in ihrer Arena erledigt hat und es trotz allem irgendwie geschafft hat, menschlich zu wirken. Ich strecke mein Kinn nach oben, um ihnen zu zeigen, dass ich ganz genau weiß wer ich bin und stolz auf meine Herkunft bin. Sie starren mich noch eine Weile an, ehe sich einer der Männer räuspert und das Wort an mich richtet. „Sie können jetzt beginnen.", erklärt er und seine emotionslose Stimme hätte mir in einer normalen Situation Gänsehaut verursacht. Aber ich habe immer noch die Kälte in mir und nutze sie jetzt aus. Ich nicke ihnen schnell zu, ehe ich mir einige Wurfmesser, einen Bogen mit Pfeilen und Köcher und eines der Schwerter schnappe. Dann stelle ich mich an den Bogenschießstand und schieße knapp hintereinander 5 Pfeile direkt in das Zentrum. Ich bleibe jedoch nicht lange um meinen Erfolg zu bejubeln, sondern stürme weiter, während ich im Rennen meine Messer Richtung Zielscheibe werfe und natürlich ebenfalls genau in die Mitte aller Ziele treffe. Dann ziehe ich mein Schwert und stelle mich dem Trainer, welchen ich in Rekordzeit besiege. Ich lasse das Schwert fallen und laufe auf das Netz zu, welches sich bis an die Decke hinauf zieht. Ich klettere etwa die Hälfte blitzschnell hinauf, verhake dann meine Beine in sicheren Schlingen und lasse mich kopfüber hinuntersinken, während ich den Bogen bereits spanne. Ich schieße einige Pfeile ab, ehe ich meine Beine löse, mich etwa die Hälfte der Strecke fallen lasse, dann das Netz wieder ergreife ehe ich mich schließlich aus der restlichen Höhe elegant abrolle und noch einen Pfeil in einen der Dummys schieße. Schließlich werfe ich auch den Bogen von mir, stelle mich wieder vor die Spielmacher und verbeuge mich, ohne auch nur in Schweiß auszubrechen. Wieder stehe ich eine Weile reglos da, ehe ich entlassen werde. Ich zwinge mein Gesicht zu einem nichtsagenden Ausdruck, bis ich den Raum hinter mir gelassen habe. Dann lasse ich die Kälte wieder von mir abfallen und atme einige Male tief durch. Mom hatte recht. Ich bin gut. Und ich werde auch hohe Punkte erreichen. Jetzt wieder ruhiger, trete ich den Rückweg zu unserer Etage an und werde am Eingang natürlich schon von meiner Mutter erwartet. Sie sieht mich erwartungsvoll an und ich erwidere ihren Blick mit einem Grinsen. Sofort schließt sie mich fest in die Arme. „Ich wusste du schaffst es. Auch wenn ich wünschte, du hättest das nie machen müssen. Aber jetzt wo du hier bist, müssen wir das Beste daraus machen und das bedeutet eben hohe Punkte.", flüstert sie in mein Ohr, ehe sie mich wieder loslässt. Doch ihre Umarmung hat die letzten Spuren meine Anspannung gelöst und ich lasse mich von ihr ins Esszimmer führen, wo auf dem großen Tisch zahlreiche kleine Snacks ausgebreitet sind. Ich werfe Mom einen überraschten Blick zu. Sie lacht nur. „Ich habe bemerkt, dass ihr beide beim Frühstück nichts runtergebracht habt, also habe ich dafür gesorgt, dass ihr jetzt zumindest etwas essen könnt. Keine Sorge, du kannst selbst entscheiden, ob du jetzt schon etwas willst, oder lieber auf das Mittagessen wartest.", verkündet sie zufrieden und verlässt dann den Raum, nachdem sie uns mitgeteilt hat, dass sie noch etwas Wichtiges zu erledigen hat. Ich weiß, dass sie spätestens zur Übertragung der Punkte wieder zurück ist. Gwen und Arian gesellen sich zu uns und stellen uns Fragen zu unserer Leistung. Ich mag die beiden wirklich und deshalb macht es mir auch nichts aus mit ihnen und Stephen alleine zu sein. Ihrem Verhalten nach würden sie viel besser in einen der Distrikte passen als hierher. Wir beschließen, das Mittagessen einfach ausfallen zu lassen, da Zoria sowieso auf einer Besprechung ist und sich somit niemand aufregen kann. Stattdessen essen wir die Snacks, die Mom für uns hat herschaffen lassen und unterhalten uns weiter. Selbst als es Zeit fürs Abendessen ist und Leon sich schon lange zu uns gesellt hat, reden wir immer noch. Als Mom dann mit zufriedenem Gesichtsausdruck zurückkehrt, wird schließlich doch noch das Abendessen serviert und auch Zoria kehrt zurück, woraufhin die ausgelassene Atmosphäre sofort etwas abkühlt, was sie jedoch nicht zu bemerken scheint. Mit ihrer schrillen Stimme als Dauergeräusch, verstummen nach und nach alle anderen Gespräche, bis nur noch Zorias Stimme zu hören ist. Dann ist es endlich Zeit für die Punkte und wir versammeln uns alle vor dem großen Bildschirm. Dieses Jahr sind nicht nur alle auf die Punkte gespannt, sondern auch auf den neuen Moderator. Der alte, Craig Flickerman ist nämlich inzwischen zu alt für den Job, daher hat sein Neffe Caesar Flickerman übernommen. Er ist Mitte dreißig und noch eher unbekannt. Da erwacht der Bildschirm auch schon zum Leben und er kommt zum Vorschein. Er sieht seinem Onkel nicht sehr ähnlich, seine Haut ist etwas dunkler, seine Haare leuchten in einem hellen Grün, seine Augenbrauen haben dieselbe Farbe. Doch was am meisten an ihm auffällt ist das unnatürlich breite Lächeln, das sämtliche seiner blitzweißen Zähne zeigt. Oh ja, er ist perfekt für diese Rolle. „Willkommen ihr alle zu der Punktevergabe für die Tribute der 38. alljährlichen Hungerspiele. Ich will Sie gar nicht länger auf die Folter spannen, daher kommen wir gleich zu den Punkten. Aus Distrikt 1 Toby mit einer Punktzahl von...8.", verkündet Caesar und ich kann ein Seufzen nicht unterdrücken. Eine 8 ist gut, zu gut. Mir wird immer mehr bewusst, wie gefährlich die beiden uns werden können. Jemma erreicht ebenfalls 8 Punkte. Dann ist Stephen an der Reihe. Als seine 9 am Bildschirm herumfliegt, grinse ich ihn anerkennend an. Doch sofort widme ich mich wieder dem Bildschirm. Denn ich bin die Nächste. „Ebenfalls aus Distrikt 2 Jade Shine, deren Nachname wohl allen ein Begriff sein sollte, ebenso wie der ihres Mittributs, wenn nicht noch mehr. Wir alle kennen Ruby Shine. Sie erreicht eine Punktzahl von...11. Ich schätze der Apfel fällt nicht weit vom Stamm." Ich starre fassungslos auf den Bildschirm. 11 Punkte. Genau wie Mom damals. Zoria schreit auf vor Begeisterung, was uns alle zusammenzucken lässt. Mom drückt mir die Schulter und ich sehe zu ihr auf. In ihren Augen sehe ich widerstrebenden Stolz. Sie ist stolz auf meine Leistung, doch sie kann es immer noch nicht ertragen, was es für mich bedeutet hier zu sein. Ich umarme Stephen stürmisch und freue mich, dass wir beide höhere Wertungen haben als Distrikt 1. Alle anderen Tribute haben Wertungen bis maximal 6, was für uns weniger starke Gegner bedeutet. Kurz bin ich erleichtert, dass diese Hürde geschafft ist, doch dann wird mir klar, dass es nur noch ein voller Tag ist, bis wir in die Arena gebracht werden und sofort ist meine ausgelassene Stimmung wie weggeblasen. Ich entschuldige mich schnell mit der Ausrede ich sei müde und renne fast in mein Zimmer. Dort angekommen lehne ich mich an die Wand und versuche krampfhaft nicht an die Arena zu denken. Bald könnte ich tot sein. Bald könnte Stephen tot sein. In wenigen Tagen wird einer von uns sterben und es gibt nichts, was ich tun kann um das zu verhindern. Die Tür zu meinem Zimmer öffnet und schließt sich leise, doch ich will nicht sehen, wer da gekommen ist. In meinen Augen brennen Tränen und ich kämpfe mit allem was ich habe gegen sie an. „Cat.", höre ich eine sanfte Stimme sagen und mein Widerstand löst sich in Luft auf. Ich schluchze auf und werfe mich in Stephens Arme, gerade als die Tränen beginnen überzulaufen. Steph schließt mich in eine feste Umarmung und streicht mit seiner Hand beruhigend über meinen Rücken. „Ich will nicht kämpfen. Ich will nicht, dass wir getrennt werden.", schluchze ich und spüre, dass Stephens Griff noch fester wird. „Ich weiß. Ich will es genauso wenig. Aber wir müssen kämpfen, damit wenigstens einer von uns da raus kommt.", murmelt er mir leise zu und ich weiß, dass er recht hat, auch wenn das nichts einfacher macht. „Ich will nach Hause.", jammere ich, auch wenn ich mir bewusst bin, dass ich mich wie ein kleines Kind aufführe. Doch Stephen verliert kein Wort darüber, hält mich nur weiter fest, bis meine Tränen versiegt sind. Schließlich lehne ich nur noch erschöpft an seiner Brust, ehe er mich kurzentschlossen hochhebt und ins Bett bringt, ehe er es sich neben mir bequem macht. „Noch sind wir beide hier.", erklärt er und diese Worte helfen mir in einen unruhigen Schlaf.
DU LIEST GERADE
Ruby Shine 2 - Die Rache
FanfictionZwanzig Jahre sind vergangen seit Ruby Shine durch Zufall die 18. Hungerspiele gewonnen. Und sie hat nicht als einzige überlebt. Damit Rubys ursprünglicher Plan, diese Spiele ohne Sieger zu beenden, fehlschlägt, hat Präsident Snow sowohl sie als auc...