Offiziell war meine Schicht um zwei Uhr nachts beendet.
Inoffiziell hörte ich meistens schon um zwölf Uhr auf zu arbeiten und half Seokjin die Küche aufzuräumen und etwas sauber zu machen, bevor wir es uns mit ein paar Resten von dem Kuchenangebot irgendwo bequem machten.
Manchmal, wenn er am nächsten Tag nicht gerade einen Auftrag hatte, war Taehyung noch mit dabei. Und ab und zu gesellte Momo sich auch noch zu uns, allerdings zog die Inhaberin es eher vor, sich relativ früh aufgrund von wichtigen, rein geschäftlichen Angelegenheiten zurückzuziehen.
Ich hatte zwei Monate gebraucht um zu verstehen, dass sie sich nicht mit irgendwelchen Männern traf, sondern einfach nur nach Hause fuhr und schlafen ging.
Auch wenn das ehrlich gesagt wirklich besser zu ihr passen würde. Sie hatte sich noch nie sonderlich viel um ihr Umfeld gekümmert und lebte eher für sich in einer schimmernden Blase aus Träumen und Wünschen, die nicht einmal der Misserfolg zerstören konnte.
Ich bewunderte sie dafür.Seokjin hingegen ging, wenn er früher ging, wirklich auf Dates. Frauen als auch Männer, wie ich letztens erfahren durfte, als mir ein Gast einen Strauß Rosen in die Hand gedrückt hatte, mit dem Auftrag, sie an die Küche weiterzureichen. Und obwohl es letztendlich niemand jemals länger als fünf Tage geschafft hatte, in einer Beziehung mit ihm zu bleiben, erzählte er trotzdem sehr ausschweifend von den Abenden.
Eigentlich hörte ich seinen Geschichten gerne zu. Zum einen weil Taehyung, wenn er da war, immer seine Kommentare dazu abgab. Und zum anderen, weil ich mich dadurch ein bisschen normaler fühlte.
Ich hatte keine sozialen Phobien, Depressionen oder andere Krankheiten, die es entschuldigen könnten, aber trotzdem hatte es mich nie sonderlich gereizt irgendwen kennenzulernen und auf Dates zu gehen oder abends kuschelnd vor dem Fernseher einschlafen.
Das einzige Mal, als ich diese Phase hatte, war es wegen meiner Freundin in der neunten Klasse und die Zeit, als ich Yoongi „kennengelernt" hatte. Aber über letzteres wollte ich jetzt lieber nicht mehr nachdenken. Das Ganze war mir seit gestern Abend mehr als unangenehm geworden. Es war definitiv noch einmal was anderes, die Person, die man jahrelang angeschmachtet hatte, ohne sie wirklich zu kennen, in echt, direkt vor sich zu haben.
Ich kam sehr gut allein und ohne Partner zurecht und wenn Seokjin mal einen schlechten Tag hatte, war ich froh, dieses ganze Leben nicht zu haben und mich noch um jemand weiteren zu kümmern. Trotzdem bekam ich in manchen Momenten das Gefühl außen vor zu sein. Nicht normal. Und so oft man sich diese ganze „Normal sein ist langweilig"-Sache auch schönredete; es schmerzt nicht dazuzugehören und wie die anderen sich über die gleichen Dinge zu freuen.
Wenn Seokjin über die ganzen Männer und Frauen redete, die er versuchte innerhalb eines Abends komplett zu verstehen und kennenzulernen - er hatte eine Vorliebe dafür entwickelt seitdem ich mit ihm einmal Sherlock geschaut und als Übersetzer funktioniert hatte - konnte ich mich wenigstens ein bisschen in ihn hinein versetzen. Und ich liebte es.
Nur heute an diesem Abend wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass der Koch wieder eine Verabredung hätte und aufgrund dessen früher gehen würde, damit ich den Laden dicht machen und nach Hause fahren konnte.
Ich wollte Yoongi sehen.
Ich musste Yoongi sehen. Ihn zur Rede stellen, ausfragen und die schmerzende Verwirrung in meinem Kopf endlich loswerden.Doch so wie mich das Schicksal hasste, wollte der junge Mann nicht nur mit mir über sein Date reden, was er übers Internet kennengelernt und ihn gestern Abend offensichtlich versetzt hatte. Nein, auch die Gäste schienen nicht nach Hause zu wollen, sodass ich auch noch um eins hin und her rannte und der kleinen Freundesgruppe ihren Alkohol und Käsekuchen brachte, für den das Diner bekannt war.
Die Zeit schien sich zu verlangsamen, bis sie irgendwann ganz stehen blieb, mir das leere Glas aus der Hand glitt und mich das klirrende Zersplittern aus der Trance riss.
„Ist alles in Ordnung, Kleiner? Kann man dir helfen?", fragte einer der Typen lallend von dem Tisch und machte schon Anstalten aufzustehen und mir zu helfen, bis ich gerade noch rechtzeitig die Hand heben und ihm versichern konnte, dass alles in Ordnung sei.
Gemächlich in der Hoffnung die Zeit würde schneller vergehen, holte ich das Kehrblech und fing an die Scherben zusammenzuschieben. Dabei entging mir allerdings trotzdem nicht das leise Gemurmel der Typen hinter mir, was mich sofort schneller machen und zurück in die Küche fliehen ließ.
Betrunkene Spätbesucher waren mir suspekt.
Und das auch zurecht.Doch zum Glück schien dieser kurze Zwischenfall ein Auslöser zu sein.
Während ich Jin zuhörte, wie er sich mit vor Empörung erhobener Stimme über Internetbeziehungen und Dates ausließ und gleichzeitig die Gruppe von jungen Männern bediente, schien die Zeit ihr Tempo wieder aufgenommen zu haben.Und als ich dann endlich draußen vor dem Eingang des Diners stand und den Geruch von Cannabis einatmete, den der Penner zehn Meter neben mir gerade konsumierte, prasselten die Erinnerungen an Yoongi wieder auf mich ein.
Mit leichtem Gang und immer darauf bedacht nicht wie ein Irrer loszurennen, machte ich mich auf den Weg die Straße runter zu meiner Wohnung. Gedanklich ging ich alles durch, was ich heute noch machen musste. Meine Wäsche zusammen suchen, um sie morgen zu waschen, das Shampoo und Klopapier ins Bad stellen, die Lebensmittel in die Schränke einsortieren, Yoongi ausfragen über diese ganze Sache, vielleicht einen Film gucken um etwas runterzukommen-
„Pass doch auf-... oh. Hey, Kleiner."
Überrascht blickte ich auf um den Menschen zu identifizieren, gegen das ich gerade gelaufen war, nur um festzustellen, dass es einer der Typen war, die gerade noch im Diner gesessen hatten.„Wohin denn so eilig?"
Der Geruch von Alkohol, dem ich ihm gerade noch selbst an den Tisch gebracht hatte, ließ mich die Nase rümpfen. Erst jetzt viel mir auf, dass er meinen rechten Arm fest umklammert hielt, jedoch nicht mehr, damit ich nicht hinfiel.„Gehen Sie nach Hause", wich ich seiner Frage aus und versuchte so wenig wie möglich von seinem Alkoholatem einzuatmen und mich aus seinem Griff zu winden, was sich letztendlich als schwerer herausstellte, als es aussah. Nicht zuletzt, weil der Typ mehr als einen Kopf größer war als ich.
„Ich wollte dich aber eigentlich noch nach deinem Namen fragen... du sahst so süß aus...", kicherte er, was mich das Gesicht zu einer Grimasse verziehen ließ.
„Danke, aber ich muss jetzt wirklich nach Hause."Grob riss ich mich aus dem Griff des jungen Mannes und stürmte davon, allerdings nicht schnell genug, da er mich bald wieder eingeholt hatte und nach meiner Hand greifen wollte. Erst als er merkte, dass das unter Alkoholeinfluss und verminderter Sehfähigkeit sehr viel schwerer war als sonst, stellte er mir kurzerhand ein Bein, woraufhin ich zu Boden ging und sich ein stechender Schmerz durch meinen Arm zog.
Den Vorteil ausnutzend, dass mein Gegenspieler nicht einmal mehr vernünftig geradeaus gehen konnte, zog ich mich zurück auf die Beine und verpasste dem Typen einen Tritt gegen das Schienbein, was ihn zurück torkeln ließ. Ohne zu überlegen oder zurückzublicken setzte ich meinen Weg fort, während ich mir die schmerzende Stelle an meinem Arm hielt.
Noch nie hatte mich jemand so angegangen.
Wahrscheinlich die Rache des Schicksals, dass ich einen Toten bei mir aufgenommen hatte.
Wie Tae es begründen würde.Doch wenn es sowas wirklich gab, dann war das nur der Anfang.
Tut mir Leid, dass das so lange gedauert hat. Mir gefällt das zwar immer noch nicht so richtig, aber es ist mehr als gar nichts...
Und vielen Dank an die 1000 Reads... beeindruckend wie viele sich diesen Shit hier wirklich antun.
♡
DU LIEST GERADE
Carry On ⇢ Yoonmin
Fanfiction„Aber... Agust D ist tot. Er hat sich gestern umgebracht." „Und wem glaubst du? Den Nachrichten oder deinen Augen?" • boy x boy • ... Highest Rank: #2 Jimin - 1.8.2019 #45 Fan Fiction - 7.1.2021