9. So viel zu unseren Vorgeschichten

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Und so fing ich an, ihm unsere Geschichte zu erzählen. Ich erzählte ihm, wie Nina und ich den Waldausflug machen wollten und wie wir uns verliefen, ich erzählte von unserer ersten Begegnung mit Slender und wie wir uns durchgekämpft hatten bis dorthin, wo ich die vierte Seite fand. "Ach übrigens, danke dass du mich gerettet hast", fügte ich hinzu und versuchte ein Lächeln zustande zu bringen. The Shadow grinste:"Kein Problem, Schätzchen." Ich seufzte nur auf den Kosenamen und sah mich um. Es wurde langsam dunkel, doch weit und breit war nichts Bedrohliches zu sehen, wofür ich echt dankbar war. "Also, The Shadow, willst du uns deine Geschichte erzählen?", fragte Nina. The Shadow schien kurz zu überlegen. "Da gibt es nicht allzu viel zu erzählen, aber wenn ihr es unbedingt hören wollt... Ich war an einem normalen Abend mit meinem Hund und meinem Bruder im Wald spazieren, als wir uns genau wie ihr verliefen. Irgendwann gaben wir es auf und setzten uns erschöpft auf ein paar Felsen, als unser Hund Sammy plötzlich davonlief. Ich rannte ihm hinterher, doch irgendwann verschwand er hinter ein paar Büschen, wo ich ihn nicht mehr fand. Irgendwann lief ich zurück zu den Steinen, doch mein Bruder war weg...Das einzige, was ich fand, war seine Mütze." Er zeigte uns eine Mütze, bevor er weitererzählte. "Ich war eine ganze Zeit lang alleine in diesem Wald, ich war verzweifelt und durch die Schatten und dieses Rauschen dachte ich schon, verrückt zu werden, doch ich war nicht bereit zu sterben, das einfach hinzunehmen. Und so fing ich an, bei jeder Begegnung mit Slender mehr über ihn herauszufinden, nicht nur zu überleben, sondern zu kämpfen.

 Dann, als ich wieder einmal unterwegs war, sah ich euch beide, wie ihr nichtsahnend durch den Wald lieft. Ich wollte euch warnen, euch vor dem Schicksal bewahren, doch ich war zu spät. Und so half ich euch, anfangs anonym. Ich war mir nicht sicher, ob ich schon bereit war, wieder Kontakt mit jemanden aufzunehmen, bis heute." Wow, ich war sprachlos. Wir beide starrten ihn nur an, bis Nina ihre Sprache wiederfand:"Das mit deinem Bruder tut mir leid, aber wer sagt, dass er nicht mehr lebt? Wir werden dir helfen, ihn zu finden", sagte sie zuversichtlich. The Shadow erwiderte nichts darauf, allerdings sah man ihm an, dass er dankbar für unsere Hilfe war. Ich stellte ihm eine Frage, vor der ich selber Angst hatte. Etwas, das wir bestimmt nicht hören wollten. "Wie lange bist du schon hier in diesem Wald?", fragte ich leise. Er sah mich an und zum ersten Mal bemerkte ich seine rehbraunen Augen. Ich konnte mir gut vorstellen, dass diese früher mal voller Glanz und Lebensfreude gewesen waren, doch jetzt waren sie leer und trüb. "Seit vier Monaten", antwortete er. Mir blieb die Luft weg. Das war ein Vierteljahr. Einerseits gab mir das neue Hoffnung, dass wir es vielleicht doch schaffen könnten, doch andererseits wüsste ich nicht, ob ich das so lange aushalten könnte.

 "Dein Bruder, wie alt ist er?", fragte ich um das Thema zu wechseln. "Wir sind Zwillinge, also beide fünfzehn. Wir haben uns sehr gut verstanden. Er hat mir immer beigestanden, mir geholfen." "Ist er auch so widerstandsfähig wie du, The Shadow?", fragte Nina lachend und wir beide stimmten mit ein. "Oh ja", erwiderte er, nachdem wir uns wieder eingekriegt hatten. "Er ist der größte Kämpfer, den ich kenne", sagte er und lächelte. Ich brachte ebenfalls ein kleines Lächeln zustande. Wir würden seinen Bruder finden, das waren wir ihm schuldig. "Alex. Mein richtiger Name ist Alex", sagte The Shadow plötzlich. Nina und ich schauten erstmal verdutzt, bevor wir realisierten, was er da gesagt hatte. Ich fing mich wieder und lächelte. "Sehr erfreut, Alex."

Es war bereits dunkel und wir hatten beschlossen, uns schlafen zu legen, doch ich schaffte es nicht einzuschlafen. Zum einen hatte ich zu große Angst, dass wir überfallen werden könnten und zum anderen hatte ich zurzeit nur Alpträume, wenn ich schlief. So dringend ich ihn auch brauchte, diese Nacht würde ich wohl keinen Schlaf finden. Ich fand es sowieso sinnvoller, wenn einer Wache hielt und so stand ich auf, legte meine Jacke komplett über Nina und setzte mich an einen Baum direkt bei unserem Lager. Unter normalen Umständen hätte ich jetzt Angst in einem dunklen Wald zu sitzen, doch irgendetwas war diesmal anders. Der zarte Mondschein und die leuchtenden Sterne waren alles andere als beängstigend, sie waren sogar eher beruhigend. Ich atmete die frische Luft tief ein und genoss die Stille.

Ich wachte am Morgen auf, immer noch am Baum lehnend. Scheinbar war ich doch noch eingeschlafen. Ich stand auf und sah zu den anderen. Nina schlief noch seelenruhig, doch Alex war bereits wach und hatte ein Feuer entzündet, worauf er irgendwelche Spieße gelegt hatte. Ich bekam große Augen. "Hast du das etwa gejagt?", fragte ich mit einem Blick auf das Fleisch. Alex drehte sich zu mir um und nickte. Ich muss sagen, ich war beeindruckt, dass er sowas konnte. Nun hörte man auch Nina einmal herzhaft gähnen. "Na, auch schon wach, Sonnenschein?", fragte Alex und ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Nina nickte allerdings nur, wahrscheinlich war sie noch zu müde für eine Disskussion. Also aßen wir unser Fleisch, packten uns noch etwas ein und liefen weiter. Der Tag verging ziemlich schnell, wir hatten leider keine Seite gefunden, allerdings gab es auch keine Begegnung mit Slender. Ich war froh, dass wir an dem Tag etwas Ruhe hatten, allerdings fand ich es auch etwas beängstigend. Wieder einmal saß ich in der Nacht wach und sah zu den anderen, die seelenruhig schliefen. Gerade als ich mich ebenfalls hinlegen wollte, hörte ich ein Rascheln. Ich drehte mich in die Richtung, doch - nichts. Ich wusste, dass das die vermutlich bescheuerste Idee überhaupt war, doch irgendetwas veranlasste mich dazu, in die Richtung des Geräusches zu laufen. Ich lief solange (ohne Taschenlampe, um keine Aufmerksamkeit zu erregen) durch die Bäume hindurch, bis ich auf einer Lichtung stand. Ich drehte mich einmal um die eigene Achse, doch es war nichts zu erkennen. Plötzlich wurde ich brutal gegen einen Baum geschleudert und mir wurde etwas Scharfes an die Kehle gehalten. Ich stand so unter Schock, dass ich kein Wort herausbrachte. Ich blickte meinen Angreifer an und stellte fest, dass er 1. männlich und 2. nicht Slender war, was mir komischerwiese noch mehr Panik bereitete. Er erkannte wohl, dass ich kein Angreifer war und wollte von mir ablassen, doch ich war schneller. Ohne zu überlegen, trat ich ihm in die Weichteile und verdrehte seinen Arm auf den Rücken, wobei das Taschenmesser zu Boden fiel. Der Junge - wie ich erkennen konnte - zog einmal scharf die Luft ein. Ich bemerkte blonde Haare. Hatte Alex nicht etwas von blonden Haaren gesagt?...Ich drehte ihn, so dass ich ihm ins Gesicht blicken konnte. "Wer bist d..." Ich brach abrupt ab, als ich seine Augen sah. Es waren  die gleichen rehbraunen Augen wie die von Alex. Er war Alex' Bruder. Sofort ließ ich ihn los und er atmete erstmal erleichtert aus. "Es tut mir leid, ich wusste ja nicht, dass du das bist." "Dass ich wer bin?", wiederholte er, nachdem er sich aufgerichtet hatte. Ich atmete tief durch. Er wusste also nicht, dass Alex unversehrt war und wenn wir Pech hatten, wusste er auch nicht von Slender. Ich sah ihn an und bemerkte seinen Wunden an seinem Körper, er hatte wohl viel durchgemacht. ich überlegte, ob ich ihn wirklich schon zu Alex bringen sollte. Ich beschloss, mir erstmal seine Geschichte anzuhören und Alex noch schlafen zu lassen, er würde den Schlaf brauchen. Ein Räusperer riss mich in die Realität zurück und erinnerte mich daran, dass ich ja noch auf seine Frage antworten musste. "Das sag ich dir später. Zeig mal deinen Arm", sagte ich und er reichte ihn mir. Er hatte dort eine große Wunde, aus der nicht gerade wenig Blut floss. Im nachhinein tat es mir leid, ihm ausgerechnet diesen Arm zu verdrehen. "Es muss dir nicht leidtun, du konntest ja nichts von der Wunde wissen", sagte er plötzlich. Ich nickte mit einen schwachen Lächeln und sagte ihm, er soll dort warten. Zuerst sah ich zum Lager, nur um mich zu vergewissern, dass beide noch schliefen. Ich wollte ihnen immerhin den Schlaf vor der Aufregung noch gönnen. Danach ging ich ein paar Kräuter holen und etwas Wasser aus unserem Rucksack. Ich lief zurück zu dem Jungen und wusch die Wunde zuerst, danach legte ich die Kräuter darauf und verband alles mit einem Ärmel meiner Jacke. Ich wusste zwar nicht viel von Kräuterkunde, aber immerhin genug, um eine Infektion vorzubeugen. Nachdem ich fertig war, unterhielten wir uns noch viel. Ich erfuhr, dass er Nick hieß und dass er von Slender entführt wurde. Er wurde gequält und der einzige Grund, warum Slender ihn noch am Leben gelassen hatte, war, damit er ihn als Köder für seinen Bruder benutzen konnte. Doch Nick hatte es geschafft zu fliehen und ist seit etwa einem Tag hier im Wald umhergeirrt. Dann traf er auf mich. Ich beschloss, ihm ebenfalls meine Geschichte mit Nina zu erzählen, bis dorthin, als wir auf Alex trafen. "Dann sind wir also zu viert?", fragte er hoffnungsvoll. Ich nickte und sah in den Himmel. Es wurde bereits hell und so beschloss ich, mit Nick zu unserem Lager zu gehen. Wir waren nur noch ein paar Meter von unserem Lager entfernt, als ich abrupt stehen blieb und Nick bedeutete, still zu sein. Wir saßen in einem Gebüsch und ich hörte Stimmen. Eine davon war die von Slender. Mein erster Gedanke war, dass er von Alex und Nick wusste und uns vier trennen wollte. Ich hoffte sehr, dass er zumindest nichts von Nick wusste, denn dann hätten wir den Überraschungseffekt auf unserer Seite. Doch was sollten wir jetzt tun? Hier warten und uns vermutlich trennen? Oder rausstürmen und riskieren, dass wir alle vier in Gefahr kamen?

Slender-Die JagdWo Geschichten leben. Entdecke jetzt