臨床死 - Klinischer Tod [ॐ]

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Klinischer Tod — Er tritt mit dem Aufhören von Atmung und Herzschlag mit der Option einer Reanimation innerhalb der ersten Minuten ein.
Biochemisch gesehen, ist der Tod kein punktuelles Ereignis - nichts steht verankert in Raum und Zeit; der Tod erlöscht das glühende Lebenszeichen, sickert es in die Meere der Gefangenschaft.

"Zwischen dem lndividualtod und dem Absterben der letzten Zelle gibt es eine Zeitspanne, die als "intermediäres Leben" bezeichnet wird", dichtete das Buch vor sich hin. Seitenlange Praxistheorie wird in diesen Abschnitten bis ins Mikrodetail vorführt und eingetrichtert, sodass es auch der letzte Neuron durch die Mengen an Reizüberflutungen schafft, "In ihr lassen sich bestimmte Körperreaktionen noch auslösen. Mit Hilfe von Histaminchlorid kann nach dem Tod noch eine Hautreaktion ausgelöst werden, die für das bloße Auge wie eine Gänsehaut erscheint."

Die letzten Sequenzen, die das Gehirn durchfluten - das letzte Maß an Gehirnfunktion beschert die Utopie des bereits vergangenen Lebens.

In den vergangenen acht Jahren hatte ich duzende Scans begutachtet und ausgewertet. Ständig in Konflikt mit dem aufgedruckten Innenraum und dem Skalpell, der als Resultat über die freigelegte Haut schweift.
Keinesfalls war es ein Wunder, dass viele dieser Fälle genesen konnten, ohne Erschwernisse und Nebenwirkungen davonzutragen.

Ein kurzer starrer Blick, kühl und gefüllt mit Skepsis. Als ich die CT-Scanbilder durchblätterte, war die Diagnose offensichtlich. Die Lunge war mit unzähligen Tumoren verfilzt, graue Stellen verfinsterten den Blick auf die gelbliche Abbildung. Die Wirbelsäule deformiert, bohrte sich seitlich in den rechten Lungenflügel. Das Atmen war nun eine Herausforderung, die man gerne hätte unterbinden wollen.

Ich ging jede Sequenz noch einmal durch - das Lungenfenster; das Knochenfenster; das Leberfenster, von oben nach unten scrolle ich her; von links nach rechts, dann von vorne nach hinten, genau so, wie ich es gelernt hatte. In der Hoffnung, dass man etwas entdeckt, dass die Diagnose beeinflussen könnte, vollführte ich diese Tätigkeit noch weitere Minuten, bis ich es letztendlich aufgab.
In den letzten Jahren wurde vieles vermutet, trotz dessen entfloh man der grauenhaften Vorstellung und weigerte sich daran zu glauben oder auch nur zu diskutieren, dass ein Krebs im Patienten wächst.
Der Patient hat angefangen Gewicht zu verlieren und kämpft mit unerträglichen Rückenschmerzen, die ihm das alltägliche Leben erschweren. Seinen Gürtel müsse er nun um zwei Löcher weiter nach innen befestigen, zudem die Hemden in einer etwas engeren Fassung erwerben.

Bescheiden setzte er beim Wort aus, das Wissen vollkommen, sodass keine belanglosen Fragen notwendig waren. Die Symptome wurden festgestellt, dokumentiert und für den vorgesehenen Hausarzt verschrieben.

Falls dies eine Vorstandsprüfung wäre - ein zweiunddreißig jähriger Mann mit unerklärlichen Gewichtsverlust und neu einsetzende Rückenschmerzen - wäre die voraussehbare Antwort (C) Krebs.
Durch starke physische Belastung ist es durchaus möglich auf die Rückenschmerzen zurückzuführen. Ein Karrieremensch, der sich in seine Tätigkeit hineinsteigert und sich selbstlos an seine eigenen Toleranzgrenzen bringt, ist sich darunter vorzustellen.

Es wird zum Röntgen verordnet. MRI für Rückenschmerzen sind teuer und unnötige Bildgebung hat sich in letzter Zeit zu einer wichtigen nationalen Komplikation entwickelt, sodass man versucht die Kostensenkung in den Vordergrund zu setzen. "Der Wert eines Scans hängt jedoch auch davon ab, wonach Sie suchen: Röntgenstrahlen sind für Krebs weitgehend nutzlos. Für viele Ärzte ist die Bestellung einer MRI zu diesem frühen Zeitpunkt dennoch ein Punkt, auf denen wir gerne verzichten", erklärte die Hausärztin ihr Verfahren und schrieb sich die Anordnung in die Akte, "Röntgenstrahlen sind nicht harmlos, dennoch bevorzugen wir den Start damit anzusetzen."

"Wie wäre es mit Flexionsverlängerungs-Röntgenstrahlen? Dann ist die realistischere Diagnose hier vielleicht die isthmische Spondylolisthese", schlug er nachdenklich vor und betrachtete das Abbild der Ärztin im Spiegel, der vor ihm an der Wand hing. Das grübelnde Gesicht der Frau war nicht zu übersehen - sie tippte die Worte in ihren Rechner ein und dekodiert die vorgeschlagene Alternative.

"Es ist eine Pars-Fraktur, von der bis zu fünf Prozent der Menschen betroffen sind und eine häufige Ursache für Rückenschmerzen bei Jugendlichen."

"Wenn Sie möchten, können wir diese natürlich auch verordnen lassen."

Nach dieser trocken Unterhaltung breitete sich der Defätismus unter den Zweien aus, aussichtslos gefangen - inmitten einer drastischen Zwickmühle. Gelegentlich kommt es vor, dass Patienten in der Lage sind ihre Krankheiten gescheit in Worte zu fassen. Nicht immer werden die Symptome ausschlaggebend benannt und beschrieben, die Ärzte sind jedoch darauf trainiert - davon gehen die Besucher aus. Nur dieses Mal durchzieht die Aussichtslosigkeit den gesamten Körper, der fängt an zu dämmern Kopf, seitenweise sprengen schwarze Flecken die Sichtweise.

Warum war ich im Mantel eines Chirurgen autoritär, im Patientenkleid so sanftmütig? Liegt es daran, dass ich mehr über Rückenschmerzen wusste als sie - die Hälfte meiner Ausbildung als Neurochirurg hatte nämlich Störungen der Wirbelsäule als Themenkomplex. Basierend auf dieses Fundament, erkennt man die dagelegenen Therapiemöglichkeiten und die darauffolgenden Konsequenzen deutlich schneller, als Patienten, denen erstmal erläutert werden muss, welche Krankheit ihnen das Leben ruiniert.

"Informierte Zustimmung und der Prozess, Risiken und Vorteile einer Behandlung abzuwägen, sind ein fundamentales ethisches Prinzip. Dies gilt auch für todkranke Patienten, für die das Wissen um die unheilbare und lebensbegrenzende Natur ihres Zustandes unabdingbar für die Entscheidungsfindung ist", lehrt das Medizinstudium den Absolventen in ihrem letzten Praxisjahr. Patienten über ihre gesundheitliche Verfassung zu offenbaren steht oftmals im Hintergrund. Das langsame beibringen und antasten wird in Erwähnung gezogen, aus dem Prinzip, dass auch die Betroffen ihre Zeit bekommen alles zu verarbeiten.

Nur wartet der Tod nicht bis man alles realisiert hat. Der Tod ist das Ende des Lebens - das endgültige Versagen aller lebenserhaltenden Funktionsabläufe und dafür braucht man keine Zeit.

Keine Zeit. . .
Zeit, die ich nicht besitze.
Zeit, die mir davonläuft.

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a/n
Ich muss ehrlich sagen,
ich weiß nicht, ob dieser Stil euch gefallen wird oder nicht. Das ist erst das erste Kapitel, wir sind noch in der Einführung dieser Kurzgeschichte und wie ihr bereits sieht, ist diese sehr medizinisch verankert. Falls ihr Erklärungen braucht, fragt ruhig ^^
Ich hoffe, dass es nicht schlecht geworden ist; schreiben liegt mir einfach nicht

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