Kira
Dutzende Köpfe drehten sich auf dem Marktplatz nach ihr um. Neugierige Blicke fanden den Weg in ihre Richtung, doch Kira merkte es nicht. Monoton erklärte sie dem Verkäufer, der importierte europäische Schrotflinten verkaufte, dass sie mehrere Säcke Schießpulver brauchte – seinen argwöhnischen Blick bemerkte sie in ihrer Zerstreutheit erst recht nicht.
Immer noch wirbelten ihre Gedanken um den Streit mit Safiya. Ich bin Pazifist, hatte sie gesagt. Wie sollten Pazifisten eine Rettungsaktion leiten? Wie sollten sie Intef befreien, ohne Gewalt anzuwenden?
„Die paar Säcke sind alles, was ich habe." Der Verkäufer deutete auf einen Haufen unordentlich gestapelter Säcke hinter sich. Mit verkniffenem Gesichtsausdruck musterte er Kira. „Aber ich verkaufe nicht, ehe ich weiß, was der Gaijin damit vorhat."
Komm schon, dachte sie genervt. Ich werde schon nicht versuchen, Japan zu erobern.
„Das Schießpulver soll ich auf Befehl der Daimyo besorgen und in die Burg schaffen. Seine Vorräte müssen aufgefüllt werden", log sie. Der Gesichtsausdruck des Verkäufers änderte sich schlagartig bei Erwähnung des Samuraifürsten der Provinz. Eilig händigte er ihr die prallen Säcke auf und nahm mit einer Verbeugung das Geld an, welches Yuki ihr zuvor mitgegeben hatte. Geht doch.
Die dicken Schießpulversäcke halb schleppend, halb hinter sich her ziehend, machte sie sich auf den Weg zurück zum vereinbarten Treffpunkt. Trotz dem allgemeinen Stimmengewirr und den vielen umher laufenden Passanten, den mit Reis gefüllten Karren und wiehernden Pferden waren ihre Gedanken vollkommen in sich gekehrt.
Du bist zu sehr auf deinen Plan fixiert. So ein Quatsch. Ihr Plan war perfekt. Perfekt, um Intef zu retten und alle sicher und heil aus der Burg Terumotos zu bringen.
Stöhnend zog sie die schweren Säcke hinter sich her und wirbelte den Straßenstaub in die Luft. Wir müssen das anders lösen, als gleich auf Gewalt zurück zu greifen. Was für eine Wahl hatten sie denn? Gewalt war die einzige Lösung um Intef zu befreien.
Angestrengt schleppte sie das Schießpulver die Straße entlang. Schweiß begann ihr den Rücken hinunter zu laufen. Stöhnend starrte sie in den wolkenfreien blauen Himmel. Wie ein riesiger Ozean erstreckte er sich über ihr. Sein strahlendes Blau erinnerte sie mit einem Mal wieder an die Augen Ramoses. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie sich seine himmelblauen Augen zum Zeitpunkt seines Todes trübten, wie nach einem Regenschauer am Himmelszelt. Das zerstörte Zimmer. Das Blut auf dem Boden. Die letzten Worte. Der tote Wesir. Gewalt.
Plötzlich blieb Kira stehen. Alles, was sie gesehen, alles, was ihr Albträume bereitet hatte, war ein Endergebnis der Gewalt gewesen. Malia hatte sich Gewalt in ihrer aller Leben katapultiert und hatte einen großen Riss hinterlassen. War es wirklich das, was Kira ebenfalls tun wollte? Löcher in die Leben Anderer zu reißen?
Das mit Ramose war anders, sagte sie sich und wischte sich den Schweiß aus der Stirn. Malia wollte niemanden befreien. Sie wollte töten. Also ist sie brutal vorgegangen.
Kira wollte den Gedanken abschütteln, weitergehen und ihren Plan in die Tat umsetzen, doch mit einem Mal konnte sie sich nicht mehr von der Stelle bewegen. Ramoses Tod belagerte ihre Gedanken wie eine unheilbare Pest. Ihr wurde schlecht. Wollte sie das wirklich?
Zerstörung. Blut. Worte. Tod. Gewalt.
Malia hatte all das binnen weniger Minuten in Gang gesetzt. Sie hasste Malia. Sie verabscheute sie. Sie wollte sie finden und zur Rechenschaft ziehen, deswegen waren Intef und sie hier. Wollte sie so sein wie Malia? Erschöpft schüttelte sie den Kopf: ganz sicher nicht.
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Time Leader - Im Land der aufgehenden Sonne
AdventureBand 2 der Time Traveler-Reihe und Fortsetzung zu "Durch den heißen Wüstensand" Kira und Intef treten ihre erste gemeinsame Zeitreise an, um den Tod ihres Freundes Ramose zu vergelten und die restlichen Zeitreisenden vor der rachsüchtigen Mörderin M...