𝐂𝐇𝐀𝐏𝐓𝐄𝐑 29

560 45 1
                                    

Yoongi's Point of View

Das laute Klingeln meines Weckers ließ mich aus meinem Schlaf erwachen. Obwohl ich erst vor einer Stunde endlich einschlafen konnte und meine Gliedmaßen sich schwer wie Stahl anfühlten fiel es mir heute anders als sonst nicht schwer aufzustehen. Fast schon mechanisch nahm ich mir die nächstbesten Klamotten aus meinem Schrank, zog meine schwarzen, durchgelaufenen Schuhe an und verließ die Wohnung. Selbst wenn ich was zu Essen in der Wohnung gehabt hätte, hätte ich an diesem Tag nichts essen können. 

Heute war der 28. Oktober.  Für andere vielleicht ein Tag wie alle anderen, doch für mich spielte dieser Tag eine wichtige Rolle in meinem Leben. Um genau zu sein, war dieser Tag der Hauptgrund dafür weshalb mein Leben so beschissen war, wie es nun mal war. Dafür, dass es sechs Uhr morgens war, war es noch ziemlich dunkel, aber immerhin hatten wir ja auch schon Herbst, von daher würde es wahrscheinlich erst in ein paar Stunden hell werden. 

Der Regen und der Wind der wegen des herbstlichen Wetters an meinen Klamotten riss nahm ich kaum wahr. Mir sollte wahrscheinlich kalt sein, doch spürte ich heute einfach überhaupt nichts. Ich war wie ausgehöhlt, verfolgte nur mein Ziel an diesen einen bestimmten Ort zu gelangen an welchem ich schon seit über zehn Jahren diesen ganz bestimmten Tag immer wieder verbrachte. 
Ich musste ans andere Ende der Stadt, und Seoul war ziemlich groß. Deswegen brauchte ich sicher drei Stunden bis ich endlich angekommen war. Für die U-Bahn, oder den Bus hatte ich kein Geld, alles was ich noch besaß für diesen Monat hatte ich für einen mittelgroßen Blumenstrauß mit weißen Tulpen ausgegeben. Dass es ungefähr drei Stunden gewesen sein mussten konnte ich auch nur daran festmachen, dass ich vor einigen Minuten an einer Schule lang gelaufen war, die in genau dem Moment alle Schüler hinein gelassen hatte. 

Doch nun stand ich hier...Seitdem ich letztes Jahr hier gewesen war, ist dieser Ort noch mehr in sich zusammengefallen, falls das überhaupt ging. Das schwere Eisentor war schon vor lauter Rost fast nicht mehr aufzubekommen und fiel bedrohlich laut hinter mir zu. 
Mit gleichgültiger Miene betrachtete ich die alten Grabsteine die sich vor mir erstreckten. Die meisten von ihnen waren schon von Moos besetzt. So auch der, den ich anstrebte. 

Min Jihoon
Geboren am 15.05.1993
Gestorben am 28.10.2006
In ewiger Erinnerung

Dies waren die Worte die dort geschrieben standen. Behutsam legte ich die Blumen auf die vom Regen matschige Erde. Ich blieb weiterhin auf meinen Knien als dies vollbracht war. Mein Gesicht richtete ich dem Himmel zu und atmete einmal tief ein. Jetzt wo ich hier stand, schien alles auf mich einzurollen. Nicht nur die Erinnerung jener Nacht, in welcher ich in meinem jungen Alter schon grausame Dinge sehen musste, die mich seit jeher verfolgten, sondern auch die Gefühle die ich für den Rest des Jahres immer fast vollständig tief unter Verschluss hielt. Dieser eine Tag war der einzige Moment in dem ich es mir erlaubte alle Gefühle zuzulassen die auf mich herein prasselten. Schon spürte ich die Tränen die sich einen Weg über meine Wangen bahnten.

"Hallo, großer Bruder." 

Flashback 11 Jahre zuvor:

"Jihoon-Hyung?" Zitternd krabbelte ich auf meinen Händen und Knien zu meinem Bruder. Was war los? Warum bewegte er sich nicht? Warum hat er plötzlich aufgehört zu schreien? 

"Jihoon-Hyung, du musst aufwachen." Ich weinte. Warum stand mein Bruder nicht auf? Warum sagte er nichts? Warum guckte er mich so erschrocken an, und warum waren seine Augen plötzlich so trüb als hätte man Milch in sie geschüttet? 

"Dein großer Bruder wird nicht mehr aufwachen, Kleiner. Aber sag mal, du spielst doch bestimmt gerne, oder?" Erschrocken guckte ich den gruseligen Mann an der bis eben noch in der Ecke gestanden hatte, und nun auf mich und meinen Bruder zukam. Ich hatte Angst vor ihm. Er hatte Jihoon-Hyung wehgetan. Er hat ihn zum Weinen gebracht, dabei weint mein Hyung nie. Ängstlich nickte ich. 

"Nun, dann kannst du mir doch bestimmt auch sagen, was man mit kaputtem Spielzeug macht, oder?"

▪︎𝐥𝐨𝐯𝐞 𝐢𝐬 𝐭𝐡𝐞 𝐤𝐞𝐲 - 𝐬𝐨𝐩𝐞▪︎Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt