S E C H S U N D S E C H Z I G

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V e n g a n z a

Die ganze Fahrt über war ich nur noch still. Ich habe aufgehört vergeblich Menschlichkeit in ihm wecken zu wollen. Stattdessen habe ich einfach akzeptiert, dass es keinen Ausweg mehr gibt und versuche mich auf alles einzustellen, was auf mich zukommt. Mich zu wehren wird mir nur die nötige Kraft rauben und mich davon ablenken mich auf alles vorzubereiten. Es ist wie es ist. Was könnte ich allein schon gegen ein riesiges Kartell ausrichten, das mich gefangen hält? Nichts. Rein gar nichts und das sollte ich langsam versuchen zu begreifen, anstatt mich vergeblich an die Hoffnung auf Rettung zu klammern, die es nie geben wird.

Ich hatte vor Erschöpfung die Augen geschlossen. Als das Auto anhält und der Motor ausgeschaltet wird, öffne ich sie wieder. Wir haben vor einer großen Villa gehalten. Ich spüre Cassius' Blick auf mir, sehe ihn aber nicht an. Er steigt aus dem Wagen und öffnet die Beifahrertür. Ich sage nichts als er mir den Gurt öffnet und mir dann deutet, auszusteigen. Stumm tue ich was er verlangt. Meine Hände sind noch immer hinter meinem Rücken gefesselt. Einer von zwei Männern, die aussehen wie ein Sicherheitsdienst, kommt zu Cassius.
,,Ist Don Hector schon da?", fragt Cassius den Mann.
,,Er wartet oben", antwortet er knapp.
,,Gut, das ist sie", sagt Cassius monoton und schubst mich zu dem Mann. ,,Ich bin dann mal weg."
Cassius will gehen, jedoch hält der Mann im Anzug ihn auf.
,,Don Hector möchte dich sprechen. Du sollst unten auf ihn warten."
Cassius legt die Stirn in Falten.
,,Ich komme später nochmal vorbei", sagt er und geht die kleinen Stufen zum Eingang wieder herunter.
,,Es ist wichtig", sagt der Sicherheitsmann zu Cassius. Genervt knallt er die offene Tür des Wagens wieder zu und kommt zurück. Er packt mich am Arm und zerrt mich in die Villa. Die Wände sind in einem dunklen Gelb gestrichen und Details wie das Dach oder Säulen sind mit Holz veredelt. An der Außenwand wächst grünes Efeu hoch und soweit ich erkenne hat das Haus drei Stöcke. Das Grundstück ist durch einen hohen bewachsenen Mauer geschützt und das Eingangstor ist aus massiven Holz. Pflastersteine bilden eine breite Straße bis zum Eingang des Hauses und hohe Palmen am Straßenrand schmücken in geordneten Abständen die Einfahrt.

Cassius zieht mich durch die offene hölzerne Tür. Die Innenausstattung ist altmodisch gehalten mit hölzernen Möbeln und Vasen die das ganze schmücken sollen. Auf dem polierten Steinboden ist ein großer Teppich ausgelegt, das aussieht wie echtes Tierleder. Lederne Sofas, ein Holztisch, ein Kronleuchter, eine große Vitrine mit teuer aussehenden Gegenständen, eine überdurchschnittlich große Uhr aus Holz und ein riesiger Fernseher über einem Kamin bilden das Wohnzimmer.

Cassius zieht mich die Steintreppen hoch. Ich habe das Gefühl mich gleich zu übergeben oder umzukippen. Ich merke es gar nicht, als er anhält und an einer Tür klopft. Dann öffnet er die Tür und geht mit mir rein. Hector steht mit dem Rücken zu uns in diesem Zimmer. Ein großes Pult, dahinter ein ledener Sessel und ein brauner Tierlederteppich auf dem Boden. An beiden Seiten sind jeweils Holzregale mit vielen kunstvollen Figuren und oben über dem Pult hängt ein riesiges Gemälde an der Wand. Links und rechts davon sind lange gläserne Fenster die bis zum Boden reichen.

Hector dreht sich um. Als er mich sieht, zucken seine Mundwinkel hoch.
,,Du wolltest mich sehen. Kann das nicht warten? Ich könnte gerne etwas Urlaub vertragen nach meiner langen Zeit in diesem Drecksloch Hector", sagt Cassius genervt. ,,Außerdem habe ich noch private Dinge zu erledigen."
,,Private Dinge?", sagt Hector zweifelhaft. ,,Wir wissen alle was Privatsphäre bei dir bedeutet, aber die Nutten müssen warten. Es gibt wichtigeres zu besprechen", sagt Hector und lehnt sich an seinen Pult. Hectors Blick landet wieder auf mir.
,,Lass uns allein mein Junge", sagt er ohne von mir wegzusehen. Ich sehe zu Cassius, der mich nicht einmal ansieht als er sich umdreht und aus der Tür verschwindet. Mit langsamen Schritten kommt Hector auf mich zu, ich schaffe es nicht einmal mich zu bewegen, aus Angst er würde mich dafür bestrafen.

Hector zückt ein kleines Messer aus seiner Hosentasche und spielt damit in seiner Hand, während er wie ein Löwe Kreise um mich dreht. Meine Atmung verläuft nur schwer und ungleichmäßig. Auf den Beinen halte ich mich auch nur gerade so.
Als er hinter mir steht, spüre ich plötzlich ein Ziehen an meinen Handgelenken und stelle fest, dass er das Stück Plastik durchschnitten hat.
Ich reibe mir nervös die Handgelenke. Er spricht nicht und ich traue mich selbst auch nicht zu sprechen. Wie versteinert warte ich nur, dass er über mich richtet.
Als ich dann seine Hände an meinen Oberarmen spüre, zucke ich erschrocken zusammen.
,,Shh ...", macht er leise. ,,Sieh mal nach oben", sagt er hinter mir und drückt mein Kinn hoch. Mein Blick landet auf dem Gemälde an der Wand. Es ist das Gemälde von einer dunkelhaarigen jungen Frau mit Locken und braunen Augen.
,,Ist sie nicht bezaubernd?", flüstert er hinter mir. ,,Meine Adriana ..."
Mein Gehirn ist wie stehengeblieben. Aus Angst was er mit mir vor hat, schaffe ich es nicht mal vernünftig zu denken.
,,Ich sah sie damals das erste Mal auf einer Verhandlung in Ruggelios Haus. Ihre wilden locken, ihre zarte Haut und ihre Augen die mich immer an Mandeln erinnert haben. Es war Schicksal, dass ich sie an diesem Tag gesehen habe. Eigentlich durfte sie nicht aus ihrem Zimmer solange wir da waren, doch es war vorbestimmt, dass wir uns begegneten ...", erklärt er gedankenverloren. ,,Wir waren gerade dabei die Handelsrouten aufzuteilen und Kompromisse einzugehen, weil unser Krieg uns nur finanziell geschadet hat. Es war nur ein Blick aus dem Fenster. Ein einziger Blick aus dem Fenster ...", flüstert er letzteres. ,,Sie stand im Garten, goss irgendwelche Rosensträucher und sprach sogar mit ihnen. Eine kleine Rose hatte sie in ihr dunkles Haar gesteckt. Und ihre Haut ... ihre Haut war anders als die der Frauen die ich immer bei mir hatte ... sie war einfach eine wahre Schönheit", beschreibt er mir mit melancholischer Stimme.
,,Ich gab Ruggelio die Handelsrouten die er wollte und bat im Gegenzug um die Hand seiner Tochter. Ich wusste dass er zusagen würde, er hatte nämlich wie ein Verrückter für diese Routen gekämpft und unzählige Ladungen von mir in die Luft gesprengt um mir eine auszuwischen."
Ich sage nichts, verstehe nicht wieso er mir das alles erzählt.
,,Ich nahm sie zur Frau, brachte sie in dieses Haus und dachte, sie würde sich mit der Zeit an alles gewöhnen. Aber sie hatte ein kleines Kämpferherz. Genau so wild, wie ihre Locken es waren ...", flüstert Hector.
,,Es hat mir nichts ausgemacht. Je mehr sie sich gewehrt hat, desto mehr wollte ich sie. Wie ein Katz und Maus Spiel, eine Ablenkung von meinem eintönigen Leben voller Blut und Leichen", erklärt er und geht zu seinem Pult. Er nimmt den Bilderrahmen auf dem Tisch und reicht es mir. Mit zittrigen Händen nehme ich es ihm ab.

Darauf abgebildet ist Adriana und Hector auf ihrer Hochzeit. Sie in einem Brautkleid und er im Anzug. Von einem Lächeln ist keine Spur und sie blickt nicht mal in die Kamera. Trotz allem, hat Hector nicht übertrieben. Sie war ein bildhübsches Mädchen und sieht ihrem Bruder sogar in gewisser Weise ähnlich. Auch sie wurde mit einem Fremden verheiratet, nur dass sie im Gegensatz zu mir nie die Liebe gefunden hat, die eine Frau zu ihrem Mann hegen sollte. Nur ist das jetzt bei mir auch nicht mehr der Fall.
Es bricht mir das Herz zu wissen, dass sie durch die Hände ihres eigenen Bruders ermordet wurde. Hat Vasco es aus dem selben Grund getan, wie bei mir? Hat er es getan, weil er Hector diesen Triumph nicht lassen wollte? Ich dachte ich kenne Vasco, aber ich habe ihn nie wirklich gekannt. Ich verstehe einfach nicht, was er sich dabei denkt.
,,Sie war wunderschön", flüstere ich leise und spüre wie mir eine Träne hinunter kullert. Er nimmt mir das Foto aus der Hand und stellt es zurück auf den Pult.
,,Jetzt verstehst du bestimmt die Rage in der ich mich Jahrelang befinde. Du weißt gar nicht wie sehr ich deinen Mann leiden sehen will, pequeña", sagt er ruhig, sein Ton ist mit so einer eisigen Kälte versetzt, dass meine Nackenhaare sich aufrichten. Aus seinen toten Augen blickt er mich an.
,,Als ich hörte, dass Cesar sich eine neue Frau zugelegt hat, war ich überrascht. Man hört Gerüchte, weißt du? Seine ersten zwei Frauen waren aus reichen Familien, übliche Bündnisehen eben. Also kein Verlust, das ihn so leiden lassen würde wie ich es mit meiner Adriana tat. Aber du ...", flüstert er und umkreist mich mit langsamen Schritten. ,,Ein Mädchen, die er von der Straße aufgesammelt und zur Frau genommen hat ... es war wie ein gefundenes Fressen für mich. Eine Frau die sein totes Herz wieder zum schlagen bringt ist genau das, was ich brauche um ihn vorzuführen was er angerichtet hat."
Er ergreift mit beiden Händen meine Haare von hinten und flüstert mir ins Ohr. ,,Aber dann hörte ich, dass er die Männer - dich miteingeschlossen - in die Luft jagen wollte", haucht er. Ein Stechen macht sich in meiner Brust breit. Es tut weh, das sogar von ihm zu hören. Er lässt von mir ab und stellt sich vor mich. In aller Ruhe zündet er sich eine Zigarre an. Er nimmt einen tiefen Zug.
,,Du hast also keinen Wert für mich, obwohl ich so vieles mit dir vor hatte. Dieser Hurensohn schafft es immer wieder mich ohne nichts darstehen zu lassen", spuckt er erzürnt. ,,Zu deinem Glück bist du sehr ansehnlich, pequeña. Du wirst also leben."
Den Zigarrenqualm bläst er mir ins Gesicht. Ich fange an zu husten.

,,Du wirst mir viel Geld einbringen."

LeyaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt