„Luna? Luna?! Luna!", ertönte die Stimme ihres Vaters am nächsten Morgen in der Nähe ihres Ohres. Grummelnd drehte sie sich um.
„Wasnlos?", brachte sie hervor und blinzelte ihren gestresst wirkenden Vater an.
„Wir waren wirklich müde gestern und du anscheinend auch, also, ums kurz zu sagen, der Bus ins Camp fährt in einer halben Stunde.", meinte er verlegen und stürzte gleich wieder aus ihrem Zimmer.
Murrend rollte Luna sich aus ihrem Bett. Sie hatte in ihren Klamotten vom Vortag geschlafen. Prüfend roch sie an sich und stellte fest, dass sie einfach so bleiben konnte. Etwas Wasser ins Gesicht, abtrocknen, Haare kämmen, Zähne putzen, fertig.
Wie ein Zombie wankte sie die Treppe herunter und löffelte in Zeitlupe ihr Müsli. Das stresste ihre Eltern so sehr, dass Luna sich erbarmte und sich ein wenig beeilte und kurz darauf mit den anderen Jungwölfen bei strahlendem Sonnenschein an der Grenze des Rudelgebietes stand.
Insgesamt waren sie zwischen vierzig und fünfzig Personen, weshalb auch zwei Busse sie abholen mussten. Für Luna waren aber nur wenige relevant: Lenny, ihr bester Freund, Amelia, ihre beste Freundin, Ligg, Amelias älterer Bruder, sowie dessen feste Freundin Jenny und Josh, der Zweitgeborene des Alphas.
Zusammen alberten sie im Bus herum, vertrieben sich die Zeit, bis sie schließlich in der Abenddämmerung am Camp ankamen. Dieses riesige, neutrale Gebiet lag Mitten in der Pampa, bestand nur aus Wald und einem See, was gemeinsam mit einigen Gruselgeschichten abschreckend auf die Menschen wirkte.
Froh, sich nun endlich wieder bewegen zu können, stapften die Jugendlichen mit ihrem Gepäck durch den Wald, bis sie am Rand einer großen Ebene ankamen. Besagte Ebene war gepflastert mit Zelten, und obwohl Rudelbildung eigentlich kein Teil des Camps war, wehten die verschiedenen, eigens fürs Camp ausgedachten Flaggen der verschiedenen Rudel im Wind.
„Dann mal los.", rief Joshs älterer Bruder Mason, der dieses Jahr sein letztes Mal da sein würde, bevor er zu alt wurde. Wie es in seinen Genen lag, übernahm er sogleich die Führung.
Brav trotteten alle anderen aus Lunas Rudel hinter ihm her und wurden von allen Seiten begafft. Manche waren schon mehrere Tage hier und betrachteten alle anderen als Neulinge. Muskulöse Kerle saßen oberkörperfrei herum, trotz gerade mal siebzehn Grad und Wind und wirkten so abgerissen, als würde das Camp schon seit Jahren bestehen. Allgemein hatte Luna den Eindruck, je länger man hier war, desto obdachloser sah man aus.
Doch sie hatte sich damit schon längst abgefunden. Sie selbst sah zwar immer gepflegt, aber auch ein wenig hinterwäldlermäßig aus. Das ließ sich schlecht vermeiden, wenn man tatsächlich aus einer Gruppe Hinterwäldlern stammte.
An einem geeigneten Platz im äußeren Ring des Camps schlugen sie schließlich ihre Zelte auf und richteten es sich so gut es ging ein. Dass geklaut wurde kam hier zum Glück eher selten vor. Zu dritt lagen sie in ihrem Zelt, die Augen geschlossen. Lenny und Amelia dösten vor sich hin, doch Luna konnte nicht.
Um sie herum herrschte Stimmengewirr, alle drei Sekunden ging jemand an ihrem Zelt vorbei, egal in welcher Richtung. Der Geruch von Wald, moderigen Seewasser und Wölfen vermischte sich, dazwischen Parfüm, Deo und Tabak- beziehungsweise Grasgeruch.
Sie hatten es nicht geschafft, sich komplett in einem Rudel zu formieren. Sie waren alle in der Nähe, doch hatten sich zwischen einem anderen Rudel, das großzügig Platz zwischen seinen Zelten gelassen hatte, niederlassen müssen. Mason war mit den Alphasprösslingen des anderen Rudels befreundet und allgemein schienen sie nicht verkehrt zu sein, aber so nah an einem fremden Rudel war Luna nur selten.
Auch dies war nicht das, was sie wach hielt. Nein, es war ein Kribbeln in ihrem Körper. Insekten waren es nicht, das hatte sie schon geprüft. Vielmehr war ihr Innerstes in Auffuhr, weshalb es ihr noch nicht einmal gelang, als Wolf durch das Camp zu gehen. Beziehungsweise konnte sie nur hören und riechen, um zu sehen hätte sie konzentrierter sein müssen.
Dies machte sie wahnsinnig, und dieses Gefühl bewegte sie, sich aufzuraffen, ihre Schuhe anzuziehen, sich in ihren Hoodie zu kuscheln und hinaus zu gehen, um sich das Camp anzusehen. Es war ringförmig um den See angeordnet, in jeder Richtung standen sicherlich hunderte Meter weit Zelte in allen Farben und Designs.
Das größte, was sie entdecken konnte, war das kunterbunte Zelt eines Rudels, das für seine Offenheit und Beliebtheit bekannt war. Ein Abschnitt war fast komplett in schwarz gehalten, dort hatte sich das wohl unzivilisierteste und unberechenbarste Rudel angesiedelt. Von ihnen hielten auch alle anderen Abstand, sie waren das wohl einzige Rudel, in dessen Campingabschnitt sich nicht auch Mitglieder anderer Rudel angesiedelt hatten.
Doch genau dort zog es Luna hin. Sie war nicht dumm, wusste dass es dort von Gesindel wimmelte. Die gehörten zum Problemrudel in der Gegend. Hielten sich nicht daran, keine unwissenden Menschen anzufallen, jagten jeden anderen Wolf, der ihrer Grenze auch nur nahe kam und nahmen sich was sie wollten, ohne Rücksicht auf Verluste. Dennoch waren sie hier, um Gefährten zu finden.
Ein weiterer Punkt, in dem sie sich von anderen Rudeln unterschieden. Jeder Wolf entschied sich für einen einzigen Gefährten, aus reinem Respekt voreinander. In diesem Rudel würden manche Wölfe angeblich bis zu vier Gefährten gleichzeitig haben, und Treue wurde bei ihnen wohl auch nicht groß geschrieben.
Die Bestätigung sah Luna am See sitzen, mit zwei weiblichen Jungwölfen auf dem Schoß. Dieses Rudel gehörte auch zu denen, in denen Tätowierungen häufig vorkamen, abgesehen von Rudeltätowierungen.
Der Wolf, der mit den zwei Mädchen auf dem Schoß am See saß, zwinkerte Luna zu, als sie an ihm vorbei ging. Sie verspürte nicht das geringste Bedürfnis, sich zu ihnen zu gesellen. Stattdessen wollte sie weiter in diesen dunklen Abschnitt herein. Doch sie ging einfach vorbei. Schließlich war sie nicht dumm.
Zumindest war das ihr Plan. Gerade als sie den Abschnitt passierte, öffnete sich ein Zelt und ein Kerl krabbelte heraus. Ein wenig unelegant, auf die Ich-Hatte-Gerade-Sex-Art, doch auf seine Art und Weise beeindruckend. Denn er war ein Hüne. Sicherlich zwei Meter groß, mit tätowierten Muskeln bepackt und sie anstarrend. Bei seinem intensiven Blick zog sich ihr Unterleib zusammen und wollte mehr.
Schließlich zog er, ohne den Blick abzuwenden, seine Zeltplane erneut auf und deutete hinein. Das war der Moment, in dem Luna wieder bewusst wurde, wen sie anstarrte. Ohne eine weitere Emotion zu zeigen ging sie weiter.
Äußerlich war sie ruhig, innerlich nicht. Das war das erste Mal gewesen, dass sie diese genetische Anziehung wahrgenommen hatte. Wäre sie nicht so skeptisch, was dieses Rudel betreffen würde, wäre sie wahrscheinlich ohne nachzudenken mit ihm ins Bett gehüpft.
Durchatmend betrat sie nun wieder den Abschnitt ihres Rudels, legte sich zu Lenny und Amelia und versuchte, das Gefühl der Leere in sich zu ignorieren. Lange war ihr diese Ruhe nicht vergönnt, denn Josh kam mit Ligg und Jenny im Schlepptau, um die anderen drei abzuholen. Lagerfeuer-Time.
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fireweed #traumtaenzerawards2019
Cerita PendekZwei Herzen, gebunden. Des Schicksals Wille, offenbart. Feuer wurde gelegt, auf Eis. Der Wolf rennt, schnell genug? Der Wolf jagt, schnell genug?