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Ihre Träume waren von der Jagd erfüllt. Die blutige Schnauze eines schneeweißen Wolfes, der mit dem Nebel verschmolz, wich nicht von ihrer Seite, während die Silhouetten von Rehen verschwommen in ihren Augenwinkeln vorbeihetzten.

Sie verfolgten sich. Der weiße Wolf mit den gewaltigen Muskeln rannte hinter dem pechschwarzen Fell her, gefesselt von dem Anblick. Er konnte seinen Blick nicht lösen, während sie Haken schlug, um ihn abzuhängen. Doch ihr süßer Duft verriet sie.

Sie wollte ihn, das spürte er. Und er wollte sie. Er verstand nicht, weshalb sie vor ihm weg rannte. Er konnte sie beschützen, konnte ihr alles geben. Dann schnitten andere ihm den Weg ab. Graue, gesichts- und geruchslose Wölfe, die sich ihm entgegen drängten. Frustriert jaulte er. Er hatte sie verloren. Hatte sich aufhalten lassen.

Sie hechelte zufrieden und ließ sich unter einer Kiefer nieder. Ihr Fell verschmolz mit dem dunkeln Waldboden, die Rehe rannten an ihr vorbei. Sie wollte ruhen, doch etwas brachte sie dazu, wieder aufzustehen und zu rennen. Der Drang, der sie in seine Richtung zog, trieb sie in die entgegengesetzte Richtung.

Bald hörte sie wieder sein Heulen. Diesmal jedoch dicht hinter sich. Und andere Wölfe antworteten. Sie hörte das Trampeln der Pfoten von mehr und mehr Wölfen. Sie hetzten sie, trieben sie in die Enge. Sie halfen ihm. Sie floh nun, wie die Rehe neben sich.

Die Hetzjagd erschöpfte sie. Doch sie musste durchhalten. Es ging nur ums durchhalten, um den Willen, ihm zu trotzen. Sie lief stundenlang. Ihre Muskeln streikten, verkrampften sich, doch sie lief weiter. Doch auch er gab nicht auf.

Seine Verbündeten hatten schon aufgegeben, er nicht. Er wollte sie, und er würde sie bekommen.

Panisch sah sie sich um. Seine blauen Augen strahlten, blendeten schon fast. Mit einem gewaltigen Sprung wollte er sich auf sie werfen, doch ein Wolf mit goldenem Fell verhinderte dies. Seine Augen schimmerten wie Karamell.

Er stellte sich zwischen die beiden. Der weiße Wolf knurrte bedrohlich. Der schwarze Wolf verschwendete gar keine Zeit und rannte, ohne einen Blick auf die beiden Kontrahenten zu verlieren.

Sie rannte und rannte, bis sie sicher war, dass sie nicht mehr verfolgt wurde und brach zusammen. Sie konnte nicht mehr. Sie war ein Wolf, nicht zum Weglaufen gedacht. Viel mehr war sie dazu gedacht, bis zum Tod zu kämpfen. Doch sie wollte leben.

Nach einer Weile erhob sie sich, mit noch immer rasendem Herzen und machte sich auf die Suche nach Nahrung. Die Nase auf den Boden gedrückt, die Ohren aufgestellt, war sie noch immer wachsam und bereit, jede Sekunde zu fliehen.

Hier und da knackte das Gebüsch, doch nie war es ein Wolf. Bald nahm ihr Gehör das Plätschern eines Baches wahr. Durstig stürzte sie zu dem kühlen Nass und begann, ihr schier unendlich großes Verlangen zu stillen. Sie konnte förmlich spüren, wie das Leben mit jedem Schluck in sie zurück floss.

Dann veränderte sich das Wasser. Erst noch war der Geschmack nach Eisen kaum präsent, doch nach wenigen Minuten hatte sich das Wasser rot gefärbt. Sie hörte auf zu trinken und folgte dem Bach stattdessen flussaufwärts, um dem Blut auf den Grund zu gehen.

Vielleicht war es ein verwundetes Reh, an dem sie sich Genüge tun konnte. Zielstrebig folgten ihre Augen den dunkeln Wirbeln im Wasser, bis sie in der Ferne einen Körper ausmachen konnte. Ihr Schritt beschleunigte und verlangsamte sich, als sie das goldene Fell und die weit aufgerissenen, schimmernden Augen erkannte.

Das Wasser umfloss seinen starren Körper, sein Fell trieb leicht hin und her wie Seegras. Angespannt sah sie sich um und lauschte, doch sie konnte keinen anderen lebendigen Wolf ausmachen. Langsam näherte sie sich ihm. Sie stubste ihn einmal mit der Schnauze an, doch der Wolf mit dem goldenen Fell regte sich nicht.

fireweed #traumtaenzerawards2019Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt