Kapitel 2

117 7 10
                                    

Hunter

Ich öffnete den Klettverschluss meiner Boxhandschuhe, zog sie aus und legte sie zurück ins Regal, wo sie hingehörten. Naja zumindest noch die nächsten Tage, bis wir umziehen würden. Ich hasste Umzüge, sie konnten einem alles kaputt machen. Zehn Jahre war es inzwischen her, seit ich das am eigenen Leib erfahren hatte. Und es hatte mich abgehärtet. Ich war zu einem Arschloch geworden. Nicht direkt, mit acht wäre das verdammt früh gewesen, aber als ich auf die Middle School gekommen war, hatte es angefangen. Manchmal hasste ich mich selbst dafür, aber dann erinnerte ich mich wieder an sie und wurde zum Unnahbaren. Seit diesem Umzug hatten wir keinen Kontakt mehr zueinander. Und das obwohl wir beste Freunde gewesen waren. Mir fielen die Umzugskartons auf, die noch unberührt neben meiner Zimmertür standen. Langsam war es echt an der Zeit, alles einzupacken, auch wenn sich mein Innerstes dagegen sträubte. Als ich die Wintersachen aus meinem Kleiderschrank in die Kartons packte, fiel mir das Fotoalbum in die Hände. In letzter Zeit hatte ich seltener darin geblättert, es tat immer noch weh. Die einzigen Erinnerungen an sie, die mir noch blieben, waren dort gesammelt. Sie hatte es mir an dem Tag gegeben, an dem sie gefahren waren.

*Flashback*

"Hunter!", meine beste Freundin kam auf mich zugelaufen. "Ich dachte ihr fahrt heute", schaute ich sie fragend an. "Ja", ihr Blick wurde traurig, aber sie fing sich schnell wieder, "aber ich gehe doch nicht, ohne mich von meinem besten Freund zu verabschieden", erklärte sie und schüttelte ihren Kopf so stark, dass ihre Zöpfe durch die Gegend flogen. Normalerweise ärgerte ich sie damit, aber heute war mir nicht danach. "Ich hab noch was für dich", sagte sie strahlend und ich musste lachen, weil man ihre Zahnlücken sah. "Hey, das ist wichtig", beschwerte sie sich und stemmte ihre Hände in die Taille. "Tut mir leid", lachte ich und versuchte mich zu beruhigen. Lilian zog ein Buch aus der Tüte, die sie dabei hatte. Dann drehte sie es um. Auf der Vorderseite stand mit Glitzerstift geschrieben beste Freunde. "Das ist, damit du mich nicht vergisst", erklärte sie. "Lilian kommst du, wir müssen jetzt wirklich los", rief ihre Mutter sie von der anderen Straßenseite. Ich umarmte meine allerbeste Freundin ein letztes Mal ganz fest und als ich sie losließ, sah ich, dass ihr eine Träne die Wange kullerte. auch ich hätte am liebsten geweint, aber ich wollte nicht, dass Lilian noch trauriger wurde, also bemühte ich mich, nicht zu weinen. Als sie im Auto saß und losfuhr, winkte ich Lilian und sie winkte zurück meine Eltern standen inzwischen auch draußen, immerhin kannten sie Layla, Lilians Mama, schon seit der High School und waren auch befreundet gewesen. Nachdem ich das Auto nicht mehr sehen konnte, ging ich rein und setzte mich in meinem Zimmer auf den Boden, um mir das Buch anzugucken.

*Flashback Ende*

Damals hatte ich gedacht, wir würden uns bald wiedersehen, aber das war bis heute nicht passiert. In letzter Zeit dachte ich öfter darüber nach, das alles einfach hinter mir zu lassen, aber Lilian war damals meine beste Freundin gewesen und je häufiger ich darüber nachdachte, desto sicherer war ich, dass wir längst ein Paar wären, wenn sie noch hier wohnen würde. Wir waren einfach unzertrennlich gewesen. Seufzend legte ich das Fotoalbum in den Umzugskarton und stapelte meine Pullis darüber. Mein Handy vibrierte . Als ich sah, dass es schon halb acht war, wunderte ich mich, wieso ich schon seit vier Stunden packte- auch wenn ich vermutlich den größten Teil der Zeit mit meinen Gedanken und dem Fotoalbum verbracht hatte. Dann schnappte ich mir mein Handy und las die Nachricht von Tyler. Lust heute Abend was zu starten? Schnell antwortete ich Sorry Bro, muss packen, morgen vielleicht. Dann legte ich mein Handy weg und lief ins Esszimmer. "Oh Hunter", fing meine Mutter mich ab, "wo du gerade da bist, kannst du vielleicht Amelia abholen? Ich muss mich ums Essen kümmern." Ich nickte bloß, holte mein Handy und meine Schlüssel aus meinem Zimmer und setzte mich in mein Auto. Mir machte es überhaupt nichts aus, meine kleine Schwester abzuholen. Sie war ein Engel und mit ihren zehn Jahren einfach total süß. "Hunter!", rief Amelia enthusiastisch als sie mich sah und umarmte mich. Zusammen fuhren wir nach Hause und sie erzählte mir die gesamte Fahrt von ihrem Schultag. Meine Mutter begrüßte uns beide als wir durch die Tür kamen und bat uns, den Tisch zu decken. Während wir noch dabei waren, kam auch mein Vater nach Hause.

"Also", begann mein Vater, "ich habe heute nochmal mit meinem Chef gesprochen, wegen des Umzugs. Mittwoch kommt der Umzugswagen, das heißt bis dahin müsst ihr alle Kartons gepackt haben. Ich fahre dann schon mit, ihr kommt Freitagabend nach. Dann habt ihr das Wochenende Zeit, euch einzurichten. Montag gehts mit der Schule los, da ist auch schon alles geklärt." Heute in einer Woche würden wir in Los Angeles sein. Neue Schule und neue Freunde. Für mich war das alles nicht ganz so schlimm, ich hatte nicht mal mehr ein Jahr Schule vor mir, dann konnte ich machen was ich wollte. Meine Schwester hingegen war mittendrin und ihr würde es sicher schwerer fallen, sich einzuleben. Sie war nur zwei Jahre älter als Lilian bei ihrem Umzug gewesen war. Wobei, ich wusste ja nicht, ob Lilian der Umzug gut getan hatte oder nicht. "Also ich gehe jetzt weiter packen", verabschiedete ich mich vom Tisch und machte mich auf den Weg in mein Zimmer. Nach zwei weiteren Stunden war ich so gut wie fertig, bis auf meine Badesachen und ein paar Klamotten war alles eingepackt. Leise klopfte es an meiner Tür, danach öffnete sie sich einen Spalt und Amelia kam hindurchgeschlüpft. "Hey Amelia, solltest du nicht schon längst schlafen?" Meine kleine Schwester zuckte nur mit den Schultern und lief auf mein Bett zu. "Du denkst über Lilian nach oder?", fragte meine Schwester nach einer Weile und ich fiel kurz in eine Schockstarre. Sie lag auf dem Bauch auf meinem Bett, hatte eins ihrer Bücher vor sich liegen, schaute aber mich direkt an. "Ich erinnere mich nicht an sie, dafür war ich zu klein, aber ich weiß, dass sie weggezogen ist und jetzt ziehst du auch um", erklärte sie, wie sie auf diese Idee kam. Meine Schwester war wirklich schlau und sie konnte verdammt schnell erkennen, wie Leute sich fühlen. "Naja, jetzt wo du wegziehst kann sie dich doch gar nicht mehr finden, könnte doch sein, dass sie dich sucht und wieder hierher kommt." Ich lachte. So hatte ich das Ganze noch nicht gesehen. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass das irgendwann passiert. Vielleicht erinnert sie sich nicht mal mehr an mich, sie", ich setzte mich neben meine Schwester aufs Bett und holte auf dem Weg das Fotoalbum aus dem Umzugskarton, "war zwar meine beste Freundin, aber das Ganze ist 10 Jahre her. Irgendwann muss das Leben weitergehen, man findet neue beste Freunde." "So wie du Tyler?", fragte meine Schwester. "So ähnlich. Schau mal, das hier hat Lilian mir an dem Tag gegeben, an dem sie gefahren ist." Ich hielt ihr das Fotoalbum hin und ging nachdem sie es genommen hatte ins Badezimmer, wo ich mich fertigmachte und eine Jogginghose und T-Shirt anzog. "Sie sieht nett aus", meinte meine Schwester als ich zurück in mein Zimmer kam. Ich nickte. Während ich an meinem Handy war, schaute meine Schwester sich das Fotobuch zu Ende an und las dann weiter.

Irgendwann schliefen wir beide ein. Mein letzter Gedanke war, dass ich endlich aufhören musste, an Lilian zu denken. Ich kam mir manchmal selbst wie eine Art Stalker vor, aber sie hatte mir damals echt viel bedeutet, auch wenn wir noch sehr jung gewesen waren.

------------------------------------------------------------

So ich habe mir überlegt, nach jedem Kapitel ein paar Fragen zu stellen. Also:

1) Was haltet ihr davon, dass Hunter immer noch an Lilian hängt? Findet ihr es nach 10 Jahren übertrieben?

2) Was glaubt ihr, wie sich Hunters Image als Arschloch bemerkbar macht?

3) Glaubt ihr Hunter lässt sich zu einer letzten Party mit seinen Freunden überreden?

Wild loveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt