Kapitel 2 - Neues Zuhause

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"Wann sind wir da?", fragte ich gefühlt zum hundertsten Mal – nachdem wir schon knappe fünf Stunden Fahrt hinter uns gebracht hatten.

Zum Glück hatte meine Mutter mich noch nicht aus dem Wagen geschmissen. Ihre Lippen hatte sie zu einem schmalen Strich gepresst, ihre Stirn war gerunzelt. Man sah ihr an, dass sie ziemlich genervt war.

"Gleich. Vielleicht noch fünf Minuten. Schau, dort oben sieht man schon die Dachspitze durch die Bäume blitzen."

Ich hielt meinen Atem an, als ich das dreckige, dunkelgraue Dach sah.

"Also so habe ich mir das jetzt nicht vorgestellt."

"Ich weiß, die Farbe ist ein bisschen gewöhnungsbedürftig. Aber keine Angst, es geht schon."

Immer mehr konnte man sehen, bis ich auch die Wandfarbe erkannte.

"Das Haus ist braun, Ma. Kackbraun. Das sieht aus, als hätte da jemand gegen geschi-."

"Es ist halt schon alt", unterbrach sie mich sofort.

„Deine Definition von ‚geht schon' ist aber auch interessant."

Mein Gesicht verzog sich merklich. Alles in mir schrie nach purer Enttäuschung. Sie hatte Recht gehabt: Das Haus wurde tatsächlich keiner Beschreibung gerecht. Potthässlich traf es wohl noch am besten.

Wir bogen von der Straße auf einen Kiesweg. Rechts und links standen echt schicke, pinke Rosenbüsche in voller Blüte. Na wenigstens etwas.

"So, aussteigen. Wir sind da."

Vor mir türmte sich ein ranziges Monstrum an Haus auf. Die ehemals helle Farbe blätterte von der Wand, an einigen Stellen konnte man sogar die Grundsteinmauer sehen.

"Und hier soll ich wohnen?", meckerte ich vor mir hin.

"Zoe, bitte."

Ich nickte ergeben. "Schon gut, ich sage ja gar nichts mehr."

Meine Mutter schloss die dunkelblau lackierte Eingangstür mit ihrem flippigen Schlüsselbund auf. Wenn ich behauptet hatte, dass meine Zimmertür ohrenbetäubend laut Quietschen würde, dann sorgte diese hier für einen plötzlichen Soforttod aller Gehörgänge im Umkreis von zehn Kilometern. Heiliger! Diese Scharniere hatten ihre letzte Ölung wohl am fünften Geburtstag unserer Nachbarin bekommen. Und die war mittlerweile schon zweiundneunzig Jahre alt.

„Ich möchte wirklich keinen Kommentar von dir hören", mahnte mich meine Mutter.

Zur Verteidigung hob ich meine Hände. „Hatte ich gar nicht vor. Ehrlich nicht. Ist doch echt schick hier", meinte ich und blickte mich im Flur um, der voller Spinnenweben und Staub war. Die dunklen Möbel waren teilweise mit vergilbten Tüchern abgedeckt. „Putzen ist doch auch voll überbewertet. Hier atmet man noch richtig Natur."

Ein Seitenblick zu meiner Mutter verriet mir, dass der Anblick sie schockierte. Am besten hielt ich jetzt meine Klappe. Ihr Mund war leicht geöffnet und sie hatte vor Schreck ihre abgewetzte, pinke Lederhandtasche auf den dreckigen Holzfußboden fallen lassen. Zumindest vermutete ich, dass es Holzdielen waren.

„Was ist denn hier passiert?", fragte sie mit zittriger Stimme.

„Steht wohl schon eine Weile leer. Oder es ist Teil eines Wie-lange-dauert-es-bis-Häuser-verfallen-Experiments."

So viel zu ‚Klappe halten'.

„Das glaub ich einfach nicht. Gerbod, a-also mein Vater, hat hier noch bis zuletzt gewohnt, meinten die. Er hätte das Haus niemals so...so verenden lassen. Das kann ich mir nicht vorstellen", wisperte sie. „Oh, bei Gott! Wie soll'n wir denn hier leben?"

Ich verkniff mir mein ‚Ich hab's doch gleich gesagt' und griff stattdessen nach ihrer Handtasche, um sie zurück in unsere alte Karre an Auto zu schmeißen.

„Na dann räumen wir halt auf! Ganz einfach", rief ich mit aller Euphorie, die ich in dieser Situation aufbringen konnte. „Mal schauen, ob ich irgendwo Besen finde."

Und so kam es, dass wir nach der ziemlich langen und ermüdenden Autofahrt eine gefühlte Ewigkeit nach Putzsachen suchten. Nachdem wir nicht einmal Lappen gefunden hatten, machte ich mir eigentlich keine Hoffnungen mehr auf einen Staubsauger. Dafür hatte ich im ranzigen Gartenschuppen draußen einen verbogenen Hexenbesen aufgestöbert und sogar eine Müllschippe mit Kehrer. Selbst der Wasseranschluss funktionierte – wenn auch nur im ersten Stock. Irgendwo in dem verdammt gruselig wirkenden Keller, der tatsächlich mit einer intakten Glühbirne ausgestattet war, hatte meine Mutter eine alte Waschschüssel gefunden, in die sie Wasser einließ. Die Tücher, mit denen die Schränke abgedeckt waren, hatten wir als Putzlappen zweckentfremdet.

Nachdem der gröbste Dreck vom Fußboden in die Ecke neben der Eingangstür gekehrt war und auch die Schränke wieder halbwegs sauber ausschauten, konnte ich so langsam verstehen, weshalb meine Mutter gesagt hatte, die Zimmer würden ‚atemberaubend' aussehen. Es stimmte. Das Haus war im Kolonialstil eingerichtet. Die dunkelbraunen Möbel harmonierten mit den weißen Wänden, die dafür sorgten, dass die Zimmer groß wirkten. Von der Decke im Flur hingen goldene – immer noch eingestaubte, spinnennetzbehangene – Kronleuchter, deren Glühbirnen aber leider kaputt waren. Die Küche war mit blauen Fliesen eingelegt und ein großer, dunkler Holztisch mit stark verschnörkelten, weißen Polsterstühlen stand direkt neben den großen Fenstern. Der Herd sah aus, als stammte er aus einem anderen Jahrhundert und einen Geschirrspüler konnte ich, zu meinem Leidwesen, auch nicht entdecken.

Ja, doch, das Haus hatte irgendwie einen gewissen Flair.

Ich war gerade dabei die Fenster im Erdgeschoss von draußen zu putzen, als ich aus den Augenwinkeln eine Person an der Auffahrt zu unserem Grundstück entdeckte. Überrascht drehte ich mich um, stieß dabei mit meinem Fuß aber die Schüssel voll Wasser um, die ich auf den Kies gestellt hatte. Das Dreckwasser lief mir dabei über meine hellgrünen Turnschuhe.

„Was für'n Scheiß!", entfuhr es mir.

Ich trat hastig einige Schritte zurück, kollidierte dabei mit der braunen Außenfassade unseres Hauses. Als ich aufblickte, war die Person bereits wieder verschwunden.


Feuertanz [Band 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt