Kapitel 9 - Irrtum

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Moi hatte tatsächlich nicht gelogen. Als wir fertig umgezogen aus den Umkleidekabinen schritten – ich mit meinem nigelnagelneuen Anti-Schweiß-Shirt und schwarzen Shorts –, sollten wir nach draußen in die Mittagshitze zum Basketballplatz, den Moi mir damals gezeigt hatte, um Platzrunden auf der angrenzenden Fußballwiese zu rennen. Während ich locker mit den Jungen an vorderster Front mithalten konnte, fiel Moi hingegen schon nach wenigen Schritten schwerschnaufend nach hinten.

Nach etwa zwei Minuten, in denen ich extra langsamer lief, damit sie zu mir aufholen konnte, wurde sie bereits von den Ersten überrundet. Auch von Alex, der sich darüber scheinbar kostbar amüsierte. Schließlich blieb ich am Rand der Wiese, wo die Gräser gut einen halben Meter hoch waren und nervtötend an den Waden kitzelten, stehen, um auf sie zu warten.

„Du bist etwas so sportlich wie ich musikalisch", neckte ich sie, als sie endlich bei mir angekommen war.

„Sei einfach", keuchte Moi laut, „leise." Ihre blonden Haare wippten bei jedem Schritt auf und ab, was von hinten aussah, als hätten sie ein Eigenleben entwickelt.

„Wir könnten unter der Woche mal joggen gehen", schlug ich vor. „Vielleicht verbessert das deine Kondition!"

Moi lachte unter einem Hustenanfall der Erschöpfung auf, so dass sie dabei klang, als würde sie gleich auf der Stelle zusammenbrechen und krepieren. Um ehrlich zu sein, bereitete mir das Sorgen. Sie war doch so schlank! Wie konnte sie da so dermaßen unsportlich sein?

„Geht's?", fragte ich und legte ihr meine Hand beruhigend auf die schmale Schulter.

„Ja, klar", wisperte sie außer Atem. „Ich werde es wohl leider überleben."

„Vielleicht könntest du anfangen, dir bei dreißig Grad im Schatten kein langärmliges Shirt anzuziehen", murmelte ich sie von Kopf bis Fuß musternd. „Oder Turnschuhe mit weicher Sohle zu kaufen. Läuft sich angenehmer."

Moi machte eine wegwerfende Handbewegung, ehe sie sah, dass alle Schüler aufhörten zu rennen, weshalb sie sich unter erleichtertem Seufzen ins kurz gemähte Gras fallen ließ. An Ort und Stelle.

Drüben bei der Weitsprunganlage, die man von hier gut sehen konnte, wuselten einige Menschen aus meinem Jahrgang herum. Sie trugen kein Sportzeug, sondern hielten Klemmbretter und Stifte in den Händen. Unter ihnen befand sich auch Dante, der aber nicht den vom Lehrer gezeigten Baum betrachtete. Sein Blick glitt an den Büschen vorbei, über den Himmel, bis zu uns hin.

Wir schauten uns an. Er machte einige Schritte auf mich zu, winkte mich schließlich zu sich. Als ich schnell zu unserer Sportlehrerin schaute, musste ich feststellen, dass ich und Moi sie überhaupt nicht zu interessieren schienen. Unsicher kam ich Dante entgegen.

„Ich wollte noch mal mit dir reden", wisperte er. Spähte paranoid, wie diese verrückten Spinner, die glaubten von der NSA abgehört zu werden, nach links und rechts. Durch seinen müden Gesichtsausdruck gab das eine eigenartige Kombination ab.

„Ah, ja", meinte ich. „Dann schieß mal los. Was brennt dir auf dem Herzen?"

„Du meintest vorhin, dass du nach Beltz radeln wollt. An die kleine Bucht dort. Zum Baden. Mit...Max."

Ich wusste ehrlich nicht, was er daran so seltsam fand. Außerdem hatte ich ihm gar nicht zugesichert, dass ich mit Max fahren wollte...War er etwa eifersüchtig? Warum? Irgendwie kam mir das echt komisch vor. Oder lag es nicht an Max oder mir, sondern am Strand?"

„Ich finde nicht gut, dass du da mit ihm hin willst", seufzte Dante schließlich. Er drehte sich wieder nach allen Seiten um, bevor er seine Stimme senkte und sich zu mir beugte. Seine roten Haarsträhnen kitzelten mich an der Stirn. „Da...befinden sich nämlich einige von uns. Viele im Wald in der Nähe, aber manche auch in dem alten Fischerhaus."

„Ich verstehe nicht, was du sagen willst. Max ist ein netter Typ."

„Zoe", betonte Dante meinen Namen scharf, „ich weiß, wie das ist. Ich möchte auch nicht mitten im Wald zwischen Insekten und Blättern leben, in selbst gegrabene Löcher scheißen oder warten, dass einer von den Tarnern endlich vorbeikommt, um etwas anständiges zum Essen mitzubringen."

Ich wollte etwas erwidern, als er seinen Redeschwall zum Atmen unterbrach, aber in meinem Kopf verpufften die Fragezeichen und hinterließen nur noch Leere. Ich konnte mich nicht einmal mehr fragen, wovon zum Teufel er sprach. Seine Worten klangen so skurril in meinem Innern nach, hallten in meinen Adern wider, dass ihn nur perplex anstarren konnte.

„Aber ehrlich, Zoe", setzte Dante erneut an, „Menschen? Wir befreunden uns nicht mit Gleichgesichtern. Das ist viel zu riskant."

„Was laberst du da eigentlich? Das hört sich an, als wärst du kein..." Ich wollte es nicht einmal aussprechen, so blöd kam mir dieser Gedanke vor. War Dante vielleicht verwirrt? Hatte er Wahnvorstellungen? Halluzinationen? Oder war das ein...Spiel?

Für einen Augenblick starrten Dante und ich uns einfach nur an. Dann veränderte sich sein Blick, er runzelte die Stirn, musterte mich von oben bis unten. Seine Nasenflügel bebten, als würde er meine Witterung aufnehmen. Mich riechen.

„Oh, scheiße", kommentierte er sein merkwürdiges Verhalten schließlich. Er schaute mich an, als hätte ich ihn mit dem Fuß aus voller Kraft ins Gesicht getreten. Seine Wangen fingen Feuer, das sich bis in seine Augen erstreckte, wo Flammen rot zu zucken schienen.

Eine Gänsehaut breitete sich knisternd über meinen Nacken den Rücken und die Arme hinunter aus, dass ich erschauderte.

„Vergiss, was ich gesagt habe", stauchelte Dante, der panisch nach hinten zurückwich. „Bitte."

Dann rannte er weg. Nicht zu seinen Mitschülern bei der Weitsprunganlage, sondern die Treppe hinaus bis zum Schulhof mit dem Rondell. Dante ließ mich hier stehen und gab mir dabei das Gefühl, er würde wohl nie wieder zurückkommen.


Feuertanz [Band 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt