Kapitel 7 - Der gelbe Schein

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Am nächsten Tag hatte ich in der zweiten Stunde Aufgabenzeit mit zwanzig anderen Schülern bei einem glatzköpfigen Mann, den alle nur Elsaß nannten. Ich wusste nicht wieso.

Als ich den Raum betrat, sah ich lauter Mitschüler, die durch den Raum wuselten, in Grüppchen standen oder sich bereits gesetzt hatten, um fleißig in ihre Hefter zu kritzeln. Nahezu alle Plätze waren bereits besetzt. Obwohl Moi mir gestern das Schulhaus gezeigt hatte, verirrte ich mich immer noch viel zu oft in den endlos wirkenden Schulgängen und kam meist erst knapp vor Stundenbeginn im richtigen Raum an. Da musste ich mir definitiv noch etwas einfallen lassen. So ging das ja nicht weiter! Vielleicht lag im Sekretariat ein Aufbauplan der Schule aus, den ich mir abfotografieren konnte?

Ich schaute mich in Gedanken versunken um. Vorne in der zweiten Reihe war noch ein kompletter Tisch frei, der seitlich an einen anderen mündete. Dort saß Dante – wieder ganz in schwarz gehüllt. Weil aber andernfalls nur noch ein Stuhl direkt vor dem Lehrerpult unbesetzt war und ich mir die Pleite mit Frau Kümmel nicht auch in anderen Fächern antun wollte, setzte ich mich zu ihm.

„Morgen", zwitscherte ich und schenkte Dante ein freundliches Lächeln, dass er nur mit einem Stirnrunzeln kommentierte. Was für ein Morgenmuffel! „Gut geschlafen?", fragte ich mit provozierend süßer Stimme, bevor sich ein Grinsen auf meine Lippen schlich, da Dante mich aus seinen dunklen Augen gereizt anfunkelte.

„Nein, hab ich nicht", seufzte er schließlich, während er sich in erschöpfter Geste über Stirn und Nase rieb. Dunkle Ringe untermalten seine Augen, die er einige Sekunden lang schloss.

Ich griff in meine Schultasche, um meinen Block auszupacken, ehe ich ihn fragte, warum.

„Geht dich einen Scheißdreck an, Gleichgesicht."

Irritiert drehte ich mich zu ihm um, wollte nachhaken, was denn ein ‚Gleichgesicht' sei, aber seine bedrohlich zusammengezogenen Augenbrauen ließen mich inne halten. Was hatte der denn nur für ein Problem? Sollte das ein Angriff sein?

„Kein Grund, gleich beleidigend zu werden", murmelte ich kopfschüttelnd. Ich hatte ihm doch überhaupt nichts getan, aber trotzdem kam der mir mit einer Laune entgegen. Unfassbar!

Für einen kurzen Moment, eine Nanosekunde lang, lugte ich aus den Augenwinkeln noch einmal zu Dante und musste überraschender Weise feststellen, dass er mich intensiv musterte. Dabei ruhte ein eigenartiger Ausdruck auf seinem Gesicht, der mich zutiefst verunsicherte. Forschend, prüfend blickte er drein, als wollte er meine Seele durchdringen. Die dunkelsten Ecken meines Verstandes analysieren.

„Interessant", sagte er schließlich. Ein schmales Lächeln schlich sich auf seine Lippen, das ihn beinahe nett aussehen ließ.

Ich legte meine Stirn in Falten und musste dabei hoffnungslos blöde aussehen, denn Dante begann, leise vor sich hin zu lachen.

„Ich kann dich riechen – trotz des Parfüms. Wusste gar nicht, dass hier auch andere sind", wisperte Dante, der sich über seinen Tisch hinweg zu mir gebeugt hatte. „Wie viele seid ihr?"

„Ich hab keinen blassen Schimmer, was du meinst, aber ich find's nicht witzig. Außerdem ist das mein Lieblingsparfüm", murrte ich, während ich mich ordentlich auf meinen Stuhl setzte und erwartungsvoll zu dem Mann namens Elsaß schaute.

Er erhob sich gerade von seinem Stuhl, um den Beginn der Aufgabenzeit zu verkünden, als ein Mädchen mit brauner Ansteckkrawatte, die schief hing, durch die Tür geeilt kam. Ihre langen, blonden Haare wirbelten umher, einige Strähnen klebten an ihrer Stirn. Mois Gesicht war puterrot verfärbt, als wäre sie einen Marathon gerannt.

Sie ließ ihre braune Ledertasche neben mir auf den Tisch sinken, dann strich sie sich mit fahrigen Fingern ihre gelbe Bluse glatt.

„Was hat dich denn aufgehalten?", fragte ich grinsend.

Seufzend plumpste sie auf dem Stuhl zu meiner Rechten und zuckte die Schultern. „Ich...", keuchte sie außer Atem, „ich hab...verschlafen. Bin mit dem Fahrrad gefahren...zu schnell. Ich..." Sie wühlte in ihrer Tasche, bis sie eine große Wasserflasche in den Händen hielt, aus der sie hastig trank. Dabei schaute sie aus wie eine Verdurstete, die in der Wüste gerade die rettende Oase gesichtet hatte.

„Ich hätte dich gar nicht wie einen Menschen eingeschätzt, der so chaotisch ist, dass er verschläft."

Ein Schatten senkte sich über ihr Gesicht. „Tu ich normalerweise auch nicht. Ich bin immer pünktlich."

Ein Bewegung neben mir, ließ mich nach links zu Dante schauen, der gerade dabei war, aufzustehen. Wo wollte der denn hin? Er schlenderte nach vorne zum Lehrerpult wie viele andere Schüler auch, um sich von Elsaß einen gelben Schein unterschreiben zu lassen.

„Wofür sind die?", fragte ich Moi und deutete nach vorne.

„Durftet ihr das in deiner alten Schule nicht?", fragte sie mit überrascht geweiteten Augen. „Wenn man möchte, kann man in der Aufgabenzeit auch in die Bibliothek gehen oder nach draußen auf den Hof, sich auf die Bänke setzen. Das nutzen die Meisten gerne."

Nein, das hatte es in meiner Schule tatsächlich nicht gegeben. Bei uns mussten alle im Unterrichtsraum bleiben, damit der verantwortliche Lehrer auch prüfen konnte, dass wir alle auch ja eifrig unsere Aufgaben erledigten.

„Das ist cool", kommentierte ich geistreich und schaute Moi fragend an. „Woll'n wir auch gehen?"

Sie schüttelte mit dem Kopf, schlug nur ihren Block auf. „Ich arbeite lieber hier. Möchte nämlich wirklich meine Hausaufgaben machen. Wir sollen uns zu morgen in Astronomie mit dem Wien'schen Verschiebungsgesetz auseinandersetzen."

„Gut", murmelte ich, „dann bleib ich auch hier."

Die Tür öffnete sich und ein Großteil der Schüler lief mit gelbem Zettel in der Hand nach draußen in die Freizeit. Nur zwei Jungen waren die Einzigen, die in den Raum hinein statt hinaus traten. Alex' dunkelbraune Haare schimmerten im Neonlicht, als er an uns vorbei in die letzte Bankreihe huschen wollte. Dicht gefolgt von Ole.

Als Moi aufschaute, erkannte ich, dass ihr der Atem stockte. Alex und sie starrten sich einige Augenblicke an, dann war der Moment auch schon wieder vorbei. Plötzlich sprang Moi von ihrem Stuhl auf, packte ihren Block und die Stifte in ihre Tasche, ehe sie nach vorne zum Lehrertisch eilte. Verwirrt legte ich den Kopf schief. Sie ließ sich ebenfalls einen gelben Schein ausstellen; war aus dem Raum verschwunden, noch bevor ich bis drei zählen konnte.

Hatte sie etwa...Angst vor Alex?

Feuertanz [Band 1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt