Kapitel 10 - Oder doch nicht?

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Die restliche Woche ließ sich Dante nicht blicken. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Ich hatte meine Klassenlehrerin unter scheinheiliger Argumentation gefragt, ob sie wüsste, was mit ihm ist. Erst wollte sie es mir nicht sagen, doch nachdem ich ihr erklärt hatte, dass ich ihm lediglich die Unterrichtsmaterialien vorbeibringen wollte, was natürlich gelogen war, verriet sie es mir.

Ich machte mir ehrlich Sorgen um ihn. Er hatte von Leuten im Wald gesprochen, von Tarnern und Gleichgesichtern. Dazu fand sich nichts in den Unweiten des Internets. Ich musste wissen, was er gemeint hatte. Warum er so panisch abgehauen war und sich seit dem Vorfall nicht mehr gemeldet hatte.

Und ich musste mich beeilen. Moi und ich würden uns in knapp einer Stunde bei ihr treffen, sodass uns ihre Mutter nach Beltz fahren konnte. Die kleine Bucht dort war scheinbar sogar den hier Einheimischen unbekannt, denn Mois Mutter wusste erst nicht, wo der Strand lag.

Innerlich aufgewühlt drückte ich auf die Klingel des riesigen, weißen Hauses, das von einem bestimmt zwei Meter hohen, aristokratisch aussehenden Zaun umrahmt wurde. Das Anwesen strahlte einen Reichtum aus, den die Bruchbude von mir und meiner Mutter nicht in tausend Jahren je haben könnte.

Der Rasen des Vorgarten war kurz und saftig grün, kein einziges Unkraut lugte zwischen den kräftigen Halmen hervor.

Hier sollte Dante – der Junge mit den zerschlissenen Klamotten und den gefärbten Haaren – wirklich wohnen? Ich war skeptisch.

Als mir besagter Kerl jedoch die Tür öffnete, war jede Skepsis verflogen. Er versuchte mir die Tür sofort vor der Nase zu zuschlagen, nachdem er mich offensichtlich erkannte, doch ich schob reflexartig meinen Fuß dazwischen.

„Hey, Dante. Ich wollte doch nur frage-."

„Verschwinde!", fuhr er mir ins Wort. „Los, haus ab!"

„Nein", erwiderte ich und stemmte mich mit all meiner Kraft gegen die Tür, damit Dante sie nicht ins Schloss drücken konnte. So leicht ließ ich mich gewiss nicht abspeisen.

„Verpiss dich, Zoe."

Hinter ihm hörte ich Schritte. Ein hochgewachsener, edel gekleideter, aber erstaunlich kräftiger Mann beendete unser kleines Gerangel. „Was ist denn hier los?"

„Nichts", murmelte Dante, der sich ein paar Schritte von der Tür entfernte, sodass ich keine Angst mehr hatte, er würde mich einfach aussperren.

„Hallo, ich bin Zoe", stellte ich mich freundlich lächelnd vor. „Ich wollte nur die Schulsachen vorbeibringen." Und mit dem Nicht-Punk reden, ergänzte ich in Gedanken.

Der Mann streifte sein polarweißes Hemd glatt, während er sich ebenfalls ein Lächeln auf die Lippen zwang. „Das ist sehr nett von dir."

Wir starrten uns alle einige Sekunden lang an.

Keiner der beiden machte Anstalten, mich ins Haus zu bitten.

„Dürfte ich vielleicht...? Saft und Kekse wären toll, wenn sie die da haben", flötete ich. Obwohl ich gerade nicht halb so sicher selbstsicher war, wie ich tat, schlenderte ich erhobenen Hauptes ins Hausinnere an Dante und dem Mann vorbei.

„Natürlich", wisperte Dantes Vater, vermutete ich zumindest, perplex. „Ich schaue, was wir da haben. Dante? Würdest du deinen Gast bitte nach draußen auf die Terrasse führen?"

„Meinetwegen."

Sobald der Mann hinter der Tür am Ende des weiß gestrichenen, mit dunkelbraunem Holz ausgelegten Flures verschwand, packte Dante mich fest an der Schulter.

„Was willst du hier?", zischte er.

„Mit dir reden. Ich möchte wissen, warum du neulich so panisch abgehauen bist und warum du seit dem nicht mehr zur Schule kommst. Was ist denn los?"

In Dantes Augen brodelte es wieder. Flammen zuckten. Glühendes Rot. Dann war es auch schon vorbei.

„Das geht dich nichts an. Es ist... Man, kannst mich nicht einfach in Ruhe lassen? Bitte!", versuchte er mich mit verzweifelter Miene mich zum Gehen zu bewegen.

„Aber warum denn?", fragte ich verwirrt. „Ich möchte nur wissen, was-."

„Es geht dich aber nichts an, verdammt nochmal."

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich erinnerte mich an Dantes dunkle Augenringe, an die Müdigkeit, die ihn immer zu umgeben schien wie ein geisterhafter Schatten. Seine Worte...sein Auftreten... War das alles vielleicht eine Reaktion seines Körpers auf den Schlafmangel? Oder sah er Gespenster, wo gar keine waren?

„Und du würdest es auch nicht verstehen", setzte er hinterher.

„Ich will dir gar nicht zu nahe treten", sagte ich nun verständnisvoll. Ich konnte mich noch gut an die Zeit erinnern, in der ich selbst mit solchen Probleme zu kämpfen hatte. Das war noch nicht allzu lange her. „Ich weiß, dass chronischer Schlafmangel blöd sein kann. Und ich weiß auch wie das ist, wenn man dann mitten in der Nacht aufwacht und...Dinge...erkennt. Aber die sind gar nicht da, weißt du. Das habe ich aber erst begriffen, als ich da mit jemandem drüber geredet habe."

„Wie meinst du das?"

„Als ich zu einer Therapeutin gegangen bin. Es hilft, sich Leuten gegenüber zu öffnen, die wissen, was du durchmachst. Vielleicht solltest du-."

„Willst du mir gerade verklickern, dass ich einen an der Klatsche habe?"

„So meine ich das gar nicht", erwiderte ich.

Einige Sekunden blickte Dante mich schweigend an, um seine Augenbrauen zuckte es verdächtig. Wahrscheinlich überlegte er, ob er mich in hohem Bogen aus seinem Haus kicken oder doch lieber mit einer der hier im Flur stehenden Vasen erschlagen sollte. Zu meiner Überraschung erhellte sich sein Gesicht jedoch und ein nahezu begeistertes Funkeln strahlte in seinen Augen.

„Komm' mit", sagte er.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 17, 2019 ⏰

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