Kapitel 31 – Die andere Seite
22:43 Uhr; Delta Sektor, HQ der Night Rebellen
Kaum hatte ich die schwere Glastür aufgedrückt und hatte einen Schritt in das Innere des Rebellen Hauptquartiers getan, empfing mich ein leises Lachen. „Du kannst es auch nicht lassen, oder?"
Mein Blick blieb an Nathan hängen, der im Flur an der Wand lehnte und offensichtlich auf unsere Rückkehr gewartet hatte.
„Wehe du gehst bei Caleb petzten", murmelte ich, als Max hinter mir ins Gebäude huschte und Nathan aus zusammengekniffenen Augen betrachtete.
Nathan hob grinsend die Hände. „Von mir erfährt der Chef nichts."
Max schien nach der Aktion mit Andrew keine Lust mehr zu haben, sich nun auch noch mit Nathan anzulegen, denn er hob nur kurz zum Abschied die Hand und murmelte: „Ich bin oben", eh er seitlich die Treppe hinauf zu den Quartieren ging.
Ich sah ihm kurz nach, eh ich seufzte und wieder zu Nathan ging. „Hast du jetzt auf uns gewartet?"
Er stieß sich schulterzuckend von der Wand ab. „Ich habe Nachtdienst und hab euch auf den Überwachungskameras das HQ betreten sehen, also dachte ich mir, ich komm euch mal abfangen, bevor ihr Caleb in die Arme läuft."
„Sieht Caleb die Überwachungsvideos?", hackte ich misstrauisch nach.
Nathan schüttelte den Kopf. „Die bekommt er nur zu Gesicht, wenn er nach etwas Bestimmten sucht. Solange er also nicht auf die Idee kommt, dass ihr heute Abend unterwegs ward, sollte er nichts davon erfahren."
Das war das erste positive, das ich heute gehört hatte. Denn für einen weiteren Streit mit meinem Bruder fehlten mir gerade wirklich die Nerven.
„Du siehst ein wenig mitgenommen aus", stellte Nathan fest, als hätte er meine Gedanken gelesen. Mit einer Handbewegung deutete er den Gang entlang. „Ich muss zurück in die Zentrale. Wenn du willst, kannst du mitkommen."
„Ich werde die nächsten Stunden eh nicht schlafen können, also warum nicht", stimmte ich zu und folgte ihm den Gang entlang. Würde ich jetzt alleine in Calebs Gästezimmer sitzen, würde ich mir nur den Kopf darüber zerbrechen, was heute alles passiert ist.
Als wir in der Zentrale ankamen, blickte ich mich überrascht in dem großen Raum um, der verlassen dalag. „Bis du alleine, wenn du Nachtdienst hast?", fragte ich verwundert.
Nathan winkte mich zu einem der Schreibtische links, wo als einziger noch zwei Bildschirme eingeschaltet waren. Ansonsten war nur der große Bildschirm an der vorderen Wand an, an dem Überwachungsvideos, aktuelle Nachrichten und sonstige Daten und Informationen eingeblendet waren.
„Nachtdienst hat immer ein Ratsmitglied. Ist ein wenig nervig, aber ja, man ist alleine hier." Er deutete mir an auf dem Stuhl platzt zu nehmen, während er sich selbst den Schreibtischstuhl des Nachbartisches heranzog. Kurz loggte er sich am Computer ins System ein, woraufhin sich sämtliche Fenster mit Daten zur Überwachung des Hauptquartiers öffneten. Nathans Blick wanderte darüber, er schien aber nichts Auffälliges zu bemerkten und wandte sich wieder mir zu. „Willst du darüber reden was passiert ist? Du siehst ziemlich aufgewühlt aus."
Einen Moment starrte ich auf meine Füße, eh ich mir selbst einen Ruck gab. „Ich glaube, ich habe mich gerade sowohl mit Jason als auch mit Andrew zerstritten."
„Warum das?", hackte Nathan verwundert nach.
Ich zuckte erst mit den Schultern, endschied mich aber dann doch mich ihm anzuvertrauen. „Du weißt doch, dass wir früher zu Xernox gehört haben, oder?"
Er nickte.
„Wir waren dort acht TVIs und waren in zwei Gruppen eingeteilt worden. Jason, Andrew, Lauren und ein Mädchen namens Jurin waren eine Gruppe, während ich in der anderen Gruppe mit Max, Raven und Lennox war. Seitdem wir das herausgefunden haben, scheint Andrew mir irgendwie nicht mehr richtig zu vertrauen."
„Nur weil ihr in anderen Gruppen ward?"
Ich schüttelte den Kopf. „Ich glaube, weil meine Gruppe von Liam McChash betreut wurde. Andrew hat mir vorhin vorgeworfen, dass sie mir nicht mehr vertrauen könnten, da ich zu viel mit Liam zu tun haben würde."
„Stimmt das?"
Perplex sah ich zu ihm und sah einen seltsamen Ausdruck in seinen Augen, den ich nicht deuten konnte. „Hast du mich das gerade wirklich gefragt?"
Nun war es Nathan, der mit den Schultern zuckte. „Ich habe gelernt, alles zu hinterfragen."
Aufgrund dieser Aussage konnte ich ihm eigentlich nicht böse für diese Frage sein, denn schließlich hatte ich mir in letzter Zeit dasselbe angewöhnt. „Nein, es stimmt nicht. Ich kann mich nicht an die Zeit erinnern, als ich bei Liam war, daher weiß ich auch beim besten Willen nicht, ob ihm trauen kann oder nicht. Aber ich will nur endlich wissen, was in dieser Stadt los ist. Denn es scheint mehr zu ein als nur ein Konflikt zwischen den Rebellen und Tresher zu sein."
„Und was ist zwischen dir und Jason vorgefallen? Ich hatte bis jetzt immer den Eindruck, dass er so etwas wie ein Bruder für dich ist."
„Ich habe etwas herausgefunden, das ihm nicht wirklich gefallen hat. Und vor allem wusste er nicht, wie er damit umgehen sollte und hat seine Wut an mir ausgelassen."
Ich starrte zwar auf den Bildschirm vor mir, allerdings merkte ich aus dem Augenwinkel, wie Nathan mich musterte. „Du wirst mir nicht verraten, was du herausgefunden hast, nicht wahr?"
Nun wandte ich meinen Blick von dem Bildschirm ab und sah Nathan direkt an. „Vielleicht wenn du mir versprichst, es niemandem zu erzählen. Vor allem nicht meinen Geschwistern."
„Jin", setzte Nathan eindringlich an. „Eigentlich sollte dir aufgefallen sein, dass ich gar nichts an deine Geschwister oder sonst wen weitergegeben habe, was du mir anvertraut hast."
„Wo ich mir die Frage stellt, wieso das so ist. Du hast den dich Rebellen angeschlossen und arbeitest für Caleb, trotzdem hältst du einiges von ihm fern", sprach ich das aus, was mir gerade durch den Kopf ging.
Nathan seufzte leise und wandte den Blick ab. „Nur weil ich zu den Rebellen gehöre, heißt es ja noch lange nicht, das ich alles gut heiße, was Caleb und Aiden tun."
Wieso hatte ich gerade das Gefühl, dass hinter seiner Aussage mehr steckte, als auf den ersten Blick annehmbar?
Bevor ich allerdings weiter darüber nachdenken konnte, ergriff Nathan wieder das Wort. „Also, vertraust du mir und sagst mir, was du herausgefunden hast?"
Diese Frage konnte man jetzt zweierlei sehen. Einmal als Vertrauensprobe und einmal, weil er vermutlich ahnte, dass Jason und ich uns nicht aus einem unbedeutendem Grund heraus so zerstreiten würden. Andererseits, hatte es keinen einzigen Moment gegeben, in dem ich Nathans Vertrauen in Frage gestellt hatte.
„Ich war bei Liam", meinte ich schließlich und beobachtete seine Reaktion genau.
Er schien Überrascht zu sein, aber nicht so sehr, wie ich erwartet hatte. Eher so, als hätte er es von mir beinah erwartet. Ebenfalls sah ich auch keinen Vorwurf in seinen Augen, sondern eher Verwunderung. „Und weiter?"
„Dadurch habe ich herausgefunden, dass Jason Liams Neffe ist."
„Und das wollte er nicht wahrhaben", erriet Nathan. „Würde ich an seiner Stelle vermutlich auch nicht."
Ich kniff die Augen zusammen. „Irgendwie bist du nicht so überrascht, wie ich erwartet hatte", stellte ich fest.
„Ich schnüffle auch hier und dort ein wenig herum, Jin", schmunzelte Nathan.
„Wusstest du das etwa?", hackte ich nach und wusste nicht, wie ich reagieren sollten, wenn das wirklich wahr war. Doch Nathan schüttelte den Kopf. „Ich wusste, dass Liam einen Neffen hat, über dessen Verbleib seit Jonas McChash Verschwinden nicht viel bekannt ist. Aber ich hätte beim besten Willen nie gedacht, dass Jason das ist. Glaubst du, er fängt sich wieder?"
„Ich weiß nicht", gab ich ehrlich zu. „Er war ziemlich sauer, dass ich ihm das erst jetzt gesagt habe, obwohl ich es schon zwei Tage weiß. Aber ich glaube, dass er eigentlich nur mit der gesamten Situation überfordert ist. Also werde ich ihm erstmal Zeit lassen."
„Danke, dass du mir das anvertraut hast, Jin", murmelte Nathan, nach dem einige Augenblicke keiner etwas gesagt hatte.
„Im Moment bist du einer der einzigen, dem ich wirklich vertraue", erwiderte ich. „Und der einzige, der auch mir vertraut und nicht versucht, mich andauernd irgendwo festzuhalten, da mir irgendwas passieren könnte. Warum du das tust, verstehe ich zwar noch nicht so ganz..."
Ein leichtes Schmunzeln legte sich auf Nathans Züge, während er mir in die Augen sah. „Weil ich dich mag, Jin."
Eine Weile erwiderte ich einfach nur seinen Blick. Ich war es nicht gewohnt, dass jemand anderes als Matthew und den anderen vier TVIs Zuneigung mir gegenüber offen zeigten und war daher ein wenig unbeholfen in solchen Situationen.
Nathan schien dies zu wissen, denn sein Schmunzeln blieb, während er seinen Blick wieder über Bildschirme gleiten ließ. Eine Weile saßen wir schweigend da und hingen jeder seinen Gedanken nach, eh Nathan herzhaft gähnte. „Es gibt einen großen Nachteil an der Nachtschicht. Wenn man hier alleine rumsitzt, schläft man schnell ein. Daher ist mein Kaffeekonsum in diesen Nächten nicht gerade gesund", erklärte er, als er aufstand und zur Kaffeemaschine ging, die hinter uns stand. „Möchtest du auch einen?"
Da meine Gedanken mich eh noch Stunden wachhalten würden, würde da ein Kaffee auch nicht mehr viel Schaden anrichten. „Gerne." Ich stand ebenfalls auf und nahm die dampfende Tasse entgegen, als er sie mir reichte. „Ist dir schon mal aufgefallen, dass wir in den einzigen ruhigen Momenten immer Kaffee trinken?", murmelte ich und erinnerte mich zurück an den Moment, wo wir uns kurz vor unserem Angriff auf das Reckt HQ getroffen hatten und kurz bevor wir später beobachtet hatten, wie Timo verhaftet wurden, hatten wir auch Kaffee getrunken.„Wird das jetzt zur Angewohnheit?" Ich sah auf zu Nathan, der dicht vor mir stand und gerade seine eigene Tasse wieder auf den Tisch neben uns stellte.
„Lass es uns doch dazu machen", erwiderte er leise, während er meine Tasse ebenfalls neben uns stellte, wobei ich spürte, wie er die freie Hand leicht auf meine Taille legte. Für einen Augenblick sah er mich abwartend an, ob ich zurückschrecken würde. Als ich dies allerdings nicht tat, ging er noch einen Schritt weiter und fuhr vorsichtig mit der anderen Hand von meiner Schulter hoch zu meiner Wange, wo er sie schließlich liegen ließ.
Das war einer der Momente, vor dem ich mich ehrlich gesagt gefürchtet hatte, da ich absolut nicht wusste, wie ich reagieren sollte. Überfordert erwiderte ich einfach nur seinen Blick und wartete unbeholfen ab, was er tun würde.
Nathan schien irgendwoher zu ahnen, wie wenig ich mit dieser Situation umgehen konnte, denn er zog sich nicht zurück. Fast hätte ich dies erwartet, denn es war leicht falsche Schlüsse zu ziehen, wenn der andere nicht reagierte.
„Du würdest mich davon abhalten, wenn du es nicht wollen würdest, oder?", versicherte er sich allerdings leise murmelnd noch mal und ich konnte an seinem leichten Zögern merken, dass er Sorgen hatte, mich so sehr überfordert zu haben, dass ich mich nicht wehren würde.
Bei jedem anderen wäre ich vermutlich auch schon längst zurückgewichen und hätte ihn gefragt was das sollte, da ich mit einer solchen Art von zwischenmenschlichen Beziehungen bis jetzt nicht viel anfangen konnte. Aber bei Nathan war es anders. Ich vertraute ihm und genoss seine Gesellschaft, aber auf eine andere Art und Weise als ich es bei Jason oder Max tat. Nur war ich bis gerade einfach nicht in der Alge dazu gewesen, zu verstehen, was das zu bedeuten hatte.
Zögerlich legte ich meine Hand auf die von Nathan, die an meiner Wange lag. Das Lächeln von diesem wurde daraufhin nur breiter. Bestärkt durch meine Reaktion kam er mir nun langsam näher, bis ich ganz leicht seine Lippen an meinen spürte. Ermutigt durch ihn, kam ich Nathan etwas entgegen und lockerte meine verspannte Haltung. Ich hatte noch nie jemanden geküsst, geschweige denn war ich je jemanden auf diese Weise nahegekommen, daher konnte es sein, dass ich mich gerade absolut unbeholfen anstellte.
Falls ja, schien es Nathan allerdings nicht zu interessieren, denn er legte nun die Hand, die bis gerade an meiner Taille geruht hatte, an meine andere Wange und umfasste so mein Gesicht, während er den Kuss leicht vertiefte.
Überfordert mit den ganzen Gefühlen, spürte ich das vertraute Kribbeln des T-Virus, der auch immer dann erwachte, wenn starke Emotionen im Spiel waren.
Trotzdem gelang es mir einen Moment später, mich komplett auf Nathan einzulassen und den Kuss vorsichtig zu erwidern.
Irgendwann löste Nathan sich sanft von mir und lehnte seine Stirn leicht an meine, als ich die Augen öffnete.
„Deine Augen leuchten", murmelte er schmunzelnd.
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SKYLINE - Rebellion
Science-FictionTeil 2 der Skyline Reihe. Jin und die TVIs haben es zwar geschafft, die Blutproben zu zerstören, mit denen Daniel Tresher versuchte neue TVIs zu schaffen, aber sie konnten die Machtgier von Tresher nicht stoppen. Zu allem Übel wurde dieser nun zum P...