Kapitel 7 - Ein Bruder, den sie nie hatte II

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Kapitel 7 - EinBruder, den sie nie hatte II

22:42 Uhr; Delta Sektor

Das erste was ich spürte, war das unaufhörliche Pochen in meiner Schläfe, als ich wieder zu mir kam. Blinzend öffnete ich die Augen und wurde vom Licht geblendet. Desorient sah ich mich um und stellte fest, dass ich in einem fensterlosen Raum saß, der nicht sehr hell beleuchtet war. Das einzige in dem Raum war der Tisch und die zwei Stuhle daran, auf einem davon saß ich.
„Aha. Du bist wach", ertönte eine Stimme hinter mir.
Ich drehte mich ruckartig um, was einen stechenden Schmerz durch meinen Kopf jagte. Die Fremde konnte ich allerdings nicht sehen, da er genau hinter mir an der Wand stehen musste. Erst jetzt realisierte ich, dass meine Hände auf dem Rücken gefesselt waren.
Die Besitzerin der Stimme trat nun in mein Sichtfeld. Es war eine junge Frau, ich schätzte sie auf Ende Zwanzig, mit dunkelblonden Haare, die zu einem lockeren Zopf zurückgebunden waren. Es war Sarah, die Frau aus dem Büro der Kontrollen.
„Wo bin ich?", fragte ich und kniff misstrauisch die Augen zusammen.
Sarah schlich sich ein Lächeln auf die Lippen. „Ich hätte ja eher gedacht, dass du zuerst fragst, wer ich genau bin."
Ich schnaubte. „Bekomme ich auch noch eine Antwort auf meine Frage?"
„Was denkst du denn, wo wir hier sind?", fragte sie zurück und hob eine Augenbraune. Sie lehnte sich auf den Tisch vor mir und sah mich erwartungsvoll an.
Ich antwortete nicht, sondern schaute mir den Raum genauer an. Es war eindeutig ein Verhörraum, ich hatte so einen schon einmal in dem Hauptgebäude der Regierung gesehen.
Misstrauisch sah ich wieder zu Sarah. „Gehörst du zu Regierung?"
Sie schien mehr als amüsiert und sah auf einen Punkt hinter mir.
„Wenn ja, solltest du wissen, dass ich zu den TVIs gehöre und...", begann ich, wurde aber von Lachen unterbrochen. Verwirrt versuchte ich hinter mich zu schauen, als ich von dort die Stimme eines Mannes vernahm. Zu ihm hatte Sarah gerade geschaut.
„Glaub mir, ich weiß sehr wohl wer du bist, Jinnic Marver", meinte Sarah, stützte sich mit den Händen auf dem Tisch ab und sah mich eindringlich an.
Damit erlangte sie sofort meine volle Aufmerksamkeit, sodass ich den Mann hinter mir beinah komplett vergaß. „Du kennst meinen Vollständigen Namen", hauchte ich überrascht. Diesen Namen kannte nur Mewt und Matthew, nicht einmal die anderen drei TVIs.
„Wir wissen noch sehr viel mehr über dich", grinste Sarah amüsiert.
Während ich sie nun völlig verdattert ansah, trat der Mann neben mich und damit endlich in mein Blickfeld. „Du bist nicht bei der Regierung, Jin." Ich blickte auf und sah in Augen mit unterschiedlichen Farben. Das linke Auge war braun, das linke blau.
„Torby", seufzte ich und atmete erleichtert aus. Ich war bei den Rebellen.
„Bleibst du jetzt ruhig? Dann können wir auch die Handschellen abnehmen", meinte er. Sein leicht belustigter Blick entging mir nicht. „Sarah bestand darauf, damit du sie nicht wieder angreifen kannst."
Ich sah zu Sarah, die ein Platzwunde neben der Augenbraun hatte, wo ich sie mit dem Ellenbogen erwischt hatte. Ich warf ihr einen entschuldigenden Blick zu, eh ich wieder zu Torby sah. „Ich tu nichts mehr."
Er nickte, schloss die Handschellen auf und nahm sie ab. Ich rieb mir gerade die Handgelenke, als die Tür des Raumes geöffnet wurde. Ein weiterer Mann trat ein. Er schien ungefähr in Torbys Alter zu sein, hatte kurze dunkelblonde, fast braune Haare, war sicherlich 1,90m groß und seine grauen Augen musterten uns drei. Bei mir blieben sie länger hängen. Torby, der noch immer neben mir stand, wandte er den Blick zu dem Neuankömmling und trat zurück.
„Was ist denn hier los?", fragte der Fremde und deutete vage auf die Handschellen, die Torby festhielt, und die Platzwunde über Sarahs Auge.
„Sie hat anscheinend ein kleines Aggression Problem, genau wie du", antwortete Torby grinsend und lehnte sich mit vor der Brust verschränkten Armen gegen die Wand.
Der Fremde warf ihm einen bösen Blick zu, dann ließ er sich mir gegenüber auf dem Stuhl nieder. „Du bist also Jinnic Marver."
Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Und ich wüsste gerne, woher ihr meinen vollständigen Namen kennt. Soweit ich weiß, kennen den außer mit nur zwei andere Menschen."
„Wohl eher mehrere", murmelte Torby, der immer noch an der Wand stand. „Sie hat das selbe Temperament, das du auch hast", fügte er an den anderen Mann gewandt hinzu.
Dieser seufzte bloß und warf ihm über die Schulter einen kurzen Blick zu, eh er wieder zu mir sah. Eine Weile sah er mir in die Augen, eh er einmal tief durchatmete. „Ich bin Caleb Marver."
Natürlich, warum hatte ich ihn nicht sofort erkannt? „Du...du bist mein Bruder", stotterte ich leise.
Er nickte ohne den Blick abzuwenden. „Mewt hat mit erzählt, dass er dich gefunden hat. Ich habe darauf meinen Leuten befohlen, nach dir Ausschau zu halten und dich hier her zu bringen. Allerdings meinte ich etwas freundlicher." Sein Blick huschte kurz zu Sarah, die nur mit den Schultern zuckte.
Ich überlegte kurz. „Dann war das an den Kontrollen einer deiner Leute."
„Richtig. Wir haben ein paar Leute bei den Spähern der Regierung eingeschleust, die unsere Leute durch die Kontrollen schleusen. Die im Büro waren übrigens auch meine Leute", erklärte er mit einem leichten Schmunzeln und einem Blick zu der Platzwunde, die ich selbst an der Schläfe hatte, da der Mann mich dort getroffen hatte. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass meine Kopfschmerzen daherkamen.
„Oh...", gab ich von mir und sah kurz zu Sarah, die nur die Augen verdrehte. „Na ja, was kann bei einer Marver anderes erwarten. Ich meine ihr seid doch alle ein wenig...", sie beendete ihren Satz nicht, da Caleb ihr einen belustigten Blick zu warf. „Oh, knabbert da einer daran, dass ihr fast eine achtzehnjährigen entwicht ist?", grinste er und drehte sich dann zu Jin um. „Die unfreundliche Frau da ist übrigens Sarah Allan, Ratsmitglied der Night Rebellen. Eigentlich ist sie aber netter. Meinen Stellvertreter Torby Mikels kennst du ja."
Caleb schien gerade etwas sagen zu wollen, kam aber nicht dazu, da erneut die Tür geöffnet wurde und eine Frau den Kopf in den Raum steckte. „Die Patrouillen sind zurück. Es gibt Probleme an der Nordgrenze, Caleb."
Der Anführer der Rebellengruppe erhob sich. „Ich komme. Torby, kannst du Jin hoch in mein Quartier bringen? Ich komme dann gleich nach."
Sein Stellvertreter nickte und stieß sich von der Wand ab.
„Vielleicht solltet ihr einen Umweg über die Krankenstation machen", meinte Caleb noch mit einem Blick zu mir. „Die Platzwunde sieht nicht gerade gut aus." Damit verschwand er auf dem Gang. Wow, das war dann mein Bruder. Ich erinnerte mich an das Gefühl, als ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Er war mir so bekannt vorgekommen. Und ich hatte recht gehabt. Zwanghaft versuchte ich mich abermals an die Zeit vor Luxanus zu erinnern, aber noch immer war dort in meinen Gedanken nur dichter schwarzer Nebel.
„Jin?" Torbys Stimme riss mich aus den Gedanken. „Kommst du?"
„Äh, ja klar", ich stand schnell auf. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass er zur Tür getreten war. Sarah schien den Raum schon verlassen zu haben, denn hier war sie nicht mehr. Der stellvertretende Anführer führte mich den Gang entlang, dann blieb er an einer Art Tresen stehen. Er griff nach etwas und reichte mir dann mein Handy, Schlüssel, Waffe und Personalchip. Ich steckte die Pistole zurück in das Hoster und ließ den Rest in meiner Jackentasche verschwinden, während ich ihm eine Treppe hinauf folgte. „Wo sind wir hier?", fragte ich, als wir wieder einen langen Gang entlanggingen. Bis jetzt hatte ich noch kein einziges Fenster gesehen, was darauf hinwies, dass wir vielleicht in einer unterirdischen Anlage waren.
„Im Hauptquartier der Night Rebellen", erklärte Torby und stieß die nächste Glastür auf. Dahinter lag schon der nächste Gang. „Im Delta Sektor."
„Deshalb habt ihr diesen Sektor eingenommen", vermutete ich.
„Ja, es ist unser Hoheitsgebiet. Die Regierung machte uns hier immer mehr Ärger und hatte mehrere Male fast unser HQ entdeckt."
„Ist das Hauptquartier unterirdisch?"
Torby schüttelte den Kopf. „Größtenteils, aber nicht komplett. Unsere Zentrale und das Hauptgebäude sind oberirdisch. Und einige Quartiere." Grinsend deutete er auf die nächste Tür, dieses Mal eine schwere Metalltür, die er aufstieß. Ich trat vor ihm nach draußen und sah mich in der kühlen Nacht um, während er hinter uns die Tür schloss.
„Das da ist das Hauptgebäude." Torby deutete auf das große Gebäude, das vor uns lag. Gerade standen wir auf einer Art Vorplatz, der von einer Mauer eingegrenzt war. Da die Mauer das Gelände auch vor neugierigen Blick schützte, konnte sich die Rebellen hier uneingeschränkt bewegen. Schnell folgte ich Torby, der schon wieder weitergegangen war. Mein Blick wanderte über das Hauptgebäude. Eigentlich viel es nicht besonders auf. Es sah aus, wie die großen Wohngebäude dieses Sektors. An dem Hauptgebäude war ein etwas kleineres Gebäude, dessen oberste Etage eine große Fensterfront besaß, hinter der Licht brannte. Ich vermutete mal, dass das die Zentrale war, von der Torby gesprochen hatte. Ansonsten schien oberirdisch nicht mehr viel zu sein.
„Wieso habt ihr mich jetzt plötzlich hierhergeholt, wenn ihr schon seit sieben Monaten wisst, dass ich Calebs Schwester bin?", frage ich Torby. Die Frage spuckte mir tatsächlich schon seit einigen Minuten im Kopf herum.
„Woher weißt du, dass wir seit sieben Monaten schon bescheid wissen?" Torby ließ sich zurückfallen, so dass wir nun neben einander hergingen und auf mich herabsah, da er locker einen Kopf größer war.
„Von Mewt", erklärte ich schlicht.
Der stellvertretende Rebellen Anführer verdrehte die Augen. „Der plappert auch zu viel, wenn der Tag lang ist", murmelte er genervt. Anscheinend mochte er Mewt nicht besonders. „Zu deiner ursprünglichen Frage: Caleb meinte, dass es sicher wäre, wenn du hier seien würdest. Er denkt, dass die Regierung herausfindet, dass du eine unserer Informanten bist, da sie im Moment nach diesen suchen. Wenn du mich fragst, er wollte bloß das du hierherkommst, damit er seine Schwester kennen lernen kann. Deine Geschwister suchen schon seit vielen Jahren nach dir."
„Und ich wusste bis vor ein paar Tagen nicht einmal, das ich überhaupt Geschwister habe", murmelte ich leise. Wir betraten das Hauptgebäude durch eine große Eingangstür, vor der zwei Rebellen Wache hielten. Innen war es fast wie ein Hotel aufgebaut. Ich folgte Torby die Treppe hinauf in fünfte Stockwerk. Wenn ich mich nicht vorhin getäuscht habe, müsste das die oberste Etage sein. Der blonde steuerte auf eine Tür am Ende des Ganges zu und gab an dem kleinen Schaltfeld daneben einen Code ein, worauf die Tür aufsprang. „Das ist Caleb Quartier. Wie gesagt, er kommt gleich hoch", erklärte Torby und deutete mir an, einzutreten. „Ich muss wieder runter. Hab jetzt gleich Nachtwache. Wenn was ist, Caleb hat da", er deutete auf die Kommode neben der Tür, „irgendwo einen Zettel mit Handynummern liegen. Seine und auch meine steht das drauf. Ruf sonst einfach an."
„Okay."
„Bis morgen."
Ich nickte ihm zum Abschied zu, eh er die Tür schloss. Etwas unentschlossen ging ich in den nächsten Raum, um nicht doof im Flur herumzustehen. Es sah aus wie ein Wohnraum. Eine Sofagarnitur mit einem flachen Tisch und einem Fernseher standen auf der rechten Seite vor zwei Fenstern. Links neben mir war eine kleine Küche. Ansonsten gab es noch einen Schreibtisch und rechst lag ein Flur, der zu drei weiteres Räumen abführte.
Das leichte vibrieren meines Handys lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich holte es hervor und sah zwei Nachrichten auf dem Display aufleuchten.

SKYLINE - RebellionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt