Callum
Im Nachhinein fühlte es sich an, als wäre Callum durch sein kleines Dorf zu Tarrens Hütte geflogen, so schnell rannte er durch die staubigen Kieselwege. Die Kinder in den Gassen schauten ihm nach, die Bettler an den Straßenecken hielten ihre zittrigen Hände nach ihm aus und flehten um etwas Münzen oder Essbares aber Callum beachtete sie gar nicht.
Als Tarrens kleine schräge Hütte in Sicht kam, wurde er langsamer und blieb kurz vor der Tür stehen. Er musterte sie, wie sie total schief in ihren Angeln hing, die weiße Farbe schon ganz verwaschen und mit Dreck verschmiert, das Holz darunter schon mehrmals gesprungen.
Für alle die Tarren nicht kannten, und das war gewiss nicht einmal eine Handvoll Leute, sah seine kleine Behausung aus, wie die reinste Absteige. Doch der Schein trog - war sogar gewollt. Tarren war zwar lange kein reicher Mann, aber sobald man in seiner Hütte stand, ließ das Bett aus Daunen, der Schmuck an den Porzellanhänden und die Duftwässerchen, die den Raum in einen Palast aus Gerüchen verwandelten, darauf schließen, dass er nicht so arm war, wie er vorzugeben pflegte. Auch wenn er Callum gegenüber immer behauptete er habe sich das Geld für diese Sachen mühsam zusammengespart, wusste es Callum besser.
Es waren Geschenke. Geschenke, auf die er selber gut und gerne verzichten konnte.
Während er hier vor Tarrens Tür stand, die Hand schon halb erhoben um anzuklopfen, holte sein Verstand ihn langsam ein. Er fragte sich ob er das, was er vorhatte von Tarren zu erbitten, überhaupt von ihm verlangen konnte. Sein Mut schwand und Callum ließ seine Hand zaghaft wieder sinken.
Vielleicht war das ganze doch eine reine Schnapsidee.
Er wollte sich gerade wieder zum Gehen abwenden, als sein Magen rumorte. Nein. Nein, er musste etwas ändern und hiermit würde es anfangen. Er klopfte, trat einen Schritt zurück und wartete auf Tarren.
Dieser öffnete die Tür und als die kurze Verwirrung aus seinem Gesicht gewichen war, machte sie Platz für ein breites Grinsen. »Sieh an, sieh an. Was verschafft mir denn die Ehre, eines solch reizenden jungen Mannes vor meiner Eingangstüre?«
Was ein Vollidiot. Callum verdrehte die Augen und stieß ein Kichern aus. Halb aus Belustigung, halb aus Hysterie. »Du bist so ein Trottel! Ich - ich muss dich um etwas bitten. Aber nicht hier.« Er blickte sich zu seiner linken und seiner rechten Seite um und nickte dann hinter Tarren in die Hütte.
Tarren wurde sofort ernst. »Ist was passiert?«
»Nein. Naja schon, aber nichts Ernstes. Ich erzähls dir sofort, geh erst mal rein.«
Er drehte sich auf der Stelle um, ging Richtung Tisch und nahm auf einem der drei Stühle Platz. Einen für seinen Vater, einen für seine Mutter und einen für den kleinen Tarren, erinnerte Callum sich. Genau drei Stühle. Sie standen noch immer hier. Nach all den Jahren. Callum folgte ihm herein, schloss die Tür hinter sich und setzte sich auf den Stuhl gegenüber von Tarren.
»Also, ich weiß gar nicht so genau, wie ich anfangen soll. Aber erinnerst du dich noch an gestern, als wir auf dem Marktplatz standen?«, fragte Callum ihn.
Seine Augen verengten sich. »Ja, tu ich. Wieso?«
Callum schwor sich nicht drauf zu bestehen, sollte Tarren Nein sagen. Er war sich selber so unsicher, er würde dem Schicksal die Entscheidung überlassen. Er öffnete den Mund und setzte alles auf eine Karte. Auf seinen Joker.
Auf Tarren.
Er hielt den Blick zwischen sich und Tarren fest, während er seine Hand in seine kleine Hosentasche schob und die Pergamentrolle herauszog, die er vor wenigen Minuten von einem rostigen Nagel abgerissen hatte. Zwischen ihnen spannte sich die Luft. Tarren wusste, dass hier etwas faul war. Vorsichtig ließ Callum das Pergament auf der Mitte des Tisches nieder, ohne Tarren aus den Augen zu lassen.
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Wooden Shadows - Callum Cadena Chronicles #1
Fantasía"Wenn das der Beginn seiner Reise war - wie würde dann erst das Ende aussehen?" Nach dem Tod seiner Mutter bleibt dem Waisenjungen Callum Cadena nichts außer Hunger und Angst. Seine letzte Chance dem Tod zu entfliehen, sieht er im Aufruf der Kaiseri...